Bettina Klein: Der Wehrbeauftragte des Bundestages, Reinhold Robbe, hält die Misshandlungen von Rekruten in der Coesfelder Kaserne für einen Einzelfall. Im neuen Jahresbericht für 2006 gäbe es nicht einen annähernd vergleichbaren Fall in dieser Dimension, sagte Robbe der Chemnitzer "Freien Presse" laut Vorabbericht. Heute wird sein Bericht im Bundestag erst offiziell vorgestellt.
Das Verfahren im Zusammenhang mit den Misshandlungen hat gestern begonnen. Es ist einer der größten Strafprozesse in der Geschichte der Bundeswehr. Die Staatsanwaltschaft wirft insgesamt 18 ehemaligen und aktiven Ausbildern die schwere Misshandlung und Entwürdigung von Untergebenen vor. Die Vorfälle in der Coesfelder Freiherr-vom-Stein-Kaserne waren 2004 bekannt geworden.
Die Vereinigung Darmstädter Signal versteht sich als sehr kritische Beobachterin der Bundeswehr. Helmuth Prieß, Oberstleutnant a.D., ist Sprecher des Arbeitskreises und jetzt hier bei uns am Telefon. Guten Morgen!
Helmuth Prieß: Guten Morgen, Frau Klein!
Klein: Herr Robbe spricht von einem Einzelfall noch einmal. Ihre Vereinigung hat anlässlich des gestern begonnenen Prozesses davon geredet, dies sei der Geist gewesen, der in der Bundeswehr geherrscht habe damals, also 2004. Was meinen Sie damit?
Prieß: Also dass es sich immer um Einzelfälle handeln soll, das kennen wir ja schon seit vielen, vielen Jahren als Erklärung der Spitzenpolitiker und der militärischen Führung der Bundeswehr. Wir haben ja zahlreiche Fälle wie Schneeberg und Hammelburg und Zweibrücken und Detmold, wo sozusagen immer wieder eine Kette von Vorgängen ist, die wie Eisberge auftauchen, denn darunter verbergen sich natürlich viele Vorgänge, die so noch nicht bekannt werden, es werden ja nur die schlimmsten in der Regel bekannt. Und auch Coesfeld wurde ja nur durch Zufall bekannt, weil irgendein Soldat in einem Gespräch an ganz anderer Stelle davon gesprochen hatte und einer dann plötzlich wach wurde und gesagt hat, was ist denn da passiert?
Klein: Aber genau das bezweifelt der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe. Er sagt, das sein nicht Spitze eines Eisberges. Zweifeln Sie da an seiner Kompetenz?
Prieß: Ja doch, das würde ich schon sagen. Ich denke, dass zumindest nicht differenziert genug der Frage nachgegangen wird, wie kommt es dazu? Das Erste ist doch, dass wir insgesamt in der Gesellschaft eine Zunahme von Gewaltbereitschaft und Oberflächlichkeit haben. Das Zweite: Soldat sein verändert den Menschen. Eine Uniform anzuhaben und auch eine Waffe, möglicherweise auch noch mit Munition, wie in Afghanistan, wir denken an die Schädelvorgänge, dies alles sozusagen schafft eine neue Form von Männlichkeit, auch innerhalb dieser überwiegend ja von Männern geprägten Gesellschaft. Dazu kommt, dass auch Gewalt im Militär seit eh und je strukturbedingt ist. Und wenn dann die Soldaten durch Bilder im Ausland, auch Erlebnisse im Ausland, wenn sie selbst dort eingesetzt waren, dazu noch animiert werden, eine kriegsnahe Ausbildung durchzuführen, wie wir das seit gut zehn Jahren in der Bundeswehr erleben können, und der Inspekteur des Heeres sagt, wir brauchen den archaischen Kämpfer, das heißt den urwüchsigen Kämpfer, dann darf man sich nicht wundern, wenn so etwas dabei herauskommt. Wobei ich sagen möchte, es ist natürlich nicht jede Einheit so wie die, die damals in Coesfeld eine bestimmte Besetzung hatte. Dort hat ein besonders schlimmer Ungeist geherrscht, und dass die Herren im Augenblick leugnen ist ja vor Gericht sozusagen keine Neuigkeit. Das weiß jeder, der mal Gerichtsverfahren verfolgt hat.
Klein: Also Sie beobachten auch in der Bundeswehr eine strukturelle Gewaltbereitschaft, die weit über die genannten Einzelfälle hinausgeht?
Prieß: Ich sagte Ihnen ja, es ist doch klar, dass auch durch Untersuchungen in anderen Armeen überall immer wieder sozusagen Entgleisungen vorkommen, die eben ein Strukturelement militärischen Handelns sind. Denken Sie nur an das, was unter noch schlimmeren Bedingungen und noch schlechterer Ausbildung amerikanische Soldaten sich sowohl in Afghanistan wie auch erst recht in Irak leisten und an anderer Stelle in Indochina, wo überall schon etwas passiert ist. Die Bundeswehr ist da in letzte Gefahrenlagen ja noch gar nicht hineingekommen. Und ich finde es bedenklich, dass neben dieser grundsätzlichen Problematik, die durch eine verbesserte Ausbildung, die durch stärkere soziale und Fürsorgekompetenz ersetzt werden müsste, dazu gehört auch interkulturelle Kompetenz, dazu gehört auch ein Stück Menschlichkeit, und die ständige Brüllerei, die in den Kasernen auch während dieser geübten Geiselnahme und Folter stattgefunden hat, die muss ja auch mal ein Ende haben. Man kann übrigens, das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen, Folter und Unmenschlichkeit kann man nicht vorüben. Und das, was da gemacht worden ist, zeigt, dass hier junge Männer unter Führung eines Hauptmannes, dem man ja immerhin schon Verantwortung zumuten darf, völlig entgleist sind.
Klein: Die werden jetzt auch ja juristisch zur Rechenschaft gezogen. Der Prozess hat gestern begonnen. Herr Prieß, aus dem, was Sie schildern, was wären denn die Konsequenzen, die die Bundeswehr selbst oder auch die Politik ziehen müsste?
Prieß: Also die juristische Konsequenz ist ja eine Selbstverständlichkeit. Das Gleiche gilt für die Disziplinarmaßnahmen, die innerhalb der Bundeswehr in solchen Fällen zu treffen sind und ja wohl auch getroffen wurden. Aber das kann man unter Selbstverständlichkeit abhaken. Das, was sich ja in der Bundeswehr ergibt, ist, dass ja durch die Behauptung es sind Einzelfälle, ja gar keine Maßnahmen getroffen werden, dem nächsten Fall vorzubeugen, zum Beispiel nicht näher untersucht wird, dass eigentlich der unselige Korpsgeist innerhalb der Bundeswehr, bei einigen Einheiten im besonderen Maße ausgeprägt, dazu führt, dass die Bereitschaft, sich nicht zu äußern, und Vorgänge und Rüpelhaftigkeiten und Befehle, die nicht zu dienstlichen Zwecken dienen oder Vergehen oder andere Dinge beinhalten, die nicht zu melden. Also zum Beispiel müssen bei der Einstellung von Soldaten in die Bundeswehr Psychologen, und zwar nachdenkliche Psychologen, darauf achten, dass eher sensible und nicht die Haudegen-Typen zur Bundeswehr kommen. Das muss auch innerhalb der weiteren Förderung und Beförderung der Bundeswehr und bei der Personalplanung, wen setzte ich wohin, berücksichtigt werden. Es muss in der Ausbildung, sowohl bei den Ausbildungsstätten in Hammelburg und anderen Bereichen, wo auf die Auslandseinsätze hin ausgebildet wird, muss mehr sozusagen die von mir bereits geforderte soziale und interkulturelle Kompetenz eingehen, und es muss , das muss man auch sehr deutlich sagen, den Wehrpflichtigen Mut gemacht werden, ihre Rechte wahrzunehmen. Und die Vorgesetzten sind stärker in Rechtsausbildung darauf hinzuweisen, dass sie sich an bestimmte Pflichten aber auch strikt zu halten haben.
Klein: Helmuth Prieß war das, Oberstleutnant a.D. und Sprecher des Arbeitskreises Darmstädter Signal, zum Auftakt des gestrigen Prozesses im Zusammenhang mit den Misshandlungen gegen Rekruten in Coesfeld. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Prieß.
Prieß: Wiederhören, Frau Klein.
Das Verfahren im Zusammenhang mit den Misshandlungen hat gestern begonnen. Es ist einer der größten Strafprozesse in der Geschichte der Bundeswehr. Die Staatsanwaltschaft wirft insgesamt 18 ehemaligen und aktiven Ausbildern die schwere Misshandlung und Entwürdigung von Untergebenen vor. Die Vorfälle in der Coesfelder Freiherr-vom-Stein-Kaserne waren 2004 bekannt geworden.
Die Vereinigung Darmstädter Signal versteht sich als sehr kritische Beobachterin der Bundeswehr. Helmuth Prieß, Oberstleutnant a.D., ist Sprecher des Arbeitskreises und jetzt hier bei uns am Telefon. Guten Morgen!
Helmuth Prieß: Guten Morgen, Frau Klein!
Klein: Herr Robbe spricht von einem Einzelfall noch einmal. Ihre Vereinigung hat anlässlich des gestern begonnenen Prozesses davon geredet, dies sei der Geist gewesen, der in der Bundeswehr geherrscht habe damals, also 2004. Was meinen Sie damit?
Prieß: Also dass es sich immer um Einzelfälle handeln soll, das kennen wir ja schon seit vielen, vielen Jahren als Erklärung der Spitzenpolitiker und der militärischen Führung der Bundeswehr. Wir haben ja zahlreiche Fälle wie Schneeberg und Hammelburg und Zweibrücken und Detmold, wo sozusagen immer wieder eine Kette von Vorgängen ist, die wie Eisberge auftauchen, denn darunter verbergen sich natürlich viele Vorgänge, die so noch nicht bekannt werden, es werden ja nur die schlimmsten in der Regel bekannt. Und auch Coesfeld wurde ja nur durch Zufall bekannt, weil irgendein Soldat in einem Gespräch an ganz anderer Stelle davon gesprochen hatte und einer dann plötzlich wach wurde und gesagt hat, was ist denn da passiert?
Klein: Aber genau das bezweifelt der Wehrbeauftragte Reinhold Robbe. Er sagt, das sein nicht Spitze eines Eisberges. Zweifeln Sie da an seiner Kompetenz?
Prieß: Ja doch, das würde ich schon sagen. Ich denke, dass zumindest nicht differenziert genug der Frage nachgegangen wird, wie kommt es dazu? Das Erste ist doch, dass wir insgesamt in der Gesellschaft eine Zunahme von Gewaltbereitschaft und Oberflächlichkeit haben. Das Zweite: Soldat sein verändert den Menschen. Eine Uniform anzuhaben und auch eine Waffe, möglicherweise auch noch mit Munition, wie in Afghanistan, wir denken an die Schädelvorgänge, dies alles sozusagen schafft eine neue Form von Männlichkeit, auch innerhalb dieser überwiegend ja von Männern geprägten Gesellschaft. Dazu kommt, dass auch Gewalt im Militär seit eh und je strukturbedingt ist. Und wenn dann die Soldaten durch Bilder im Ausland, auch Erlebnisse im Ausland, wenn sie selbst dort eingesetzt waren, dazu noch animiert werden, eine kriegsnahe Ausbildung durchzuführen, wie wir das seit gut zehn Jahren in der Bundeswehr erleben können, und der Inspekteur des Heeres sagt, wir brauchen den archaischen Kämpfer, das heißt den urwüchsigen Kämpfer, dann darf man sich nicht wundern, wenn so etwas dabei herauskommt. Wobei ich sagen möchte, es ist natürlich nicht jede Einheit so wie die, die damals in Coesfeld eine bestimmte Besetzung hatte. Dort hat ein besonders schlimmer Ungeist geherrscht, und dass die Herren im Augenblick leugnen ist ja vor Gericht sozusagen keine Neuigkeit. Das weiß jeder, der mal Gerichtsverfahren verfolgt hat.
Klein: Also Sie beobachten auch in der Bundeswehr eine strukturelle Gewaltbereitschaft, die weit über die genannten Einzelfälle hinausgeht?
Prieß: Ich sagte Ihnen ja, es ist doch klar, dass auch durch Untersuchungen in anderen Armeen überall immer wieder sozusagen Entgleisungen vorkommen, die eben ein Strukturelement militärischen Handelns sind. Denken Sie nur an das, was unter noch schlimmeren Bedingungen und noch schlechterer Ausbildung amerikanische Soldaten sich sowohl in Afghanistan wie auch erst recht in Irak leisten und an anderer Stelle in Indochina, wo überall schon etwas passiert ist. Die Bundeswehr ist da in letzte Gefahrenlagen ja noch gar nicht hineingekommen. Und ich finde es bedenklich, dass neben dieser grundsätzlichen Problematik, die durch eine verbesserte Ausbildung, die durch stärkere soziale und Fürsorgekompetenz ersetzt werden müsste, dazu gehört auch interkulturelle Kompetenz, dazu gehört auch ein Stück Menschlichkeit, und die ständige Brüllerei, die in den Kasernen auch während dieser geübten Geiselnahme und Folter stattgefunden hat, die muss ja auch mal ein Ende haben. Man kann übrigens, das möchte ich mit aller Deutlichkeit sagen, Folter und Unmenschlichkeit kann man nicht vorüben. Und das, was da gemacht worden ist, zeigt, dass hier junge Männer unter Führung eines Hauptmannes, dem man ja immerhin schon Verantwortung zumuten darf, völlig entgleist sind.
Klein: Die werden jetzt auch ja juristisch zur Rechenschaft gezogen. Der Prozess hat gestern begonnen. Herr Prieß, aus dem, was Sie schildern, was wären denn die Konsequenzen, die die Bundeswehr selbst oder auch die Politik ziehen müsste?
Prieß: Also die juristische Konsequenz ist ja eine Selbstverständlichkeit. Das Gleiche gilt für die Disziplinarmaßnahmen, die innerhalb der Bundeswehr in solchen Fällen zu treffen sind und ja wohl auch getroffen wurden. Aber das kann man unter Selbstverständlichkeit abhaken. Das, was sich ja in der Bundeswehr ergibt, ist, dass ja durch die Behauptung es sind Einzelfälle, ja gar keine Maßnahmen getroffen werden, dem nächsten Fall vorzubeugen, zum Beispiel nicht näher untersucht wird, dass eigentlich der unselige Korpsgeist innerhalb der Bundeswehr, bei einigen Einheiten im besonderen Maße ausgeprägt, dazu führt, dass die Bereitschaft, sich nicht zu äußern, und Vorgänge und Rüpelhaftigkeiten und Befehle, die nicht zu dienstlichen Zwecken dienen oder Vergehen oder andere Dinge beinhalten, die nicht zu melden. Also zum Beispiel müssen bei der Einstellung von Soldaten in die Bundeswehr Psychologen, und zwar nachdenkliche Psychologen, darauf achten, dass eher sensible und nicht die Haudegen-Typen zur Bundeswehr kommen. Das muss auch innerhalb der weiteren Förderung und Beförderung der Bundeswehr und bei der Personalplanung, wen setzte ich wohin, berücksichtigt werden. Es muss in der Ausbildung, sowohl bei den Ausbildungsstätten in Hammelburg und anderen Bereichen, wo auf die Auslandseinsätze hin ausgebildet wird, muss mehr sozusagen die von mir bereits geforderte soziale und interkulturelle Kompetenz eingehen, und es muss , das muss man auch sehr deutlich sagen, den Wehrpflichtigen Mut gemacht werden, ihre Rechte wahrzunehmen. Und die Vorgesetzten sind stärker in Rechtsausbildung darauf hinzuweisen, dass sie sich an bestimmte Pflichten aber auch strikt zu halten haben.
Klein: Helmuth Prieß war das, Oberstleutnant a.D. und Sprecher des Arbeitskreises Darmstädter Signal, zum Auftakt des gestrigen Prozesses im Zusammenhang mit den Misshandlungen gegen Rekruten in Coesfeld. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Prieß.
Prieß: Wiederhören, Frau Klein.