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Kroatien
Künstler gehen gegen die Regierung auf die Straße

"Der kroatische Staat ist legitimer Nachfolger der faschistischen Marionettenrepublik von Ante Pavelic" - das ist nur eine Aussage, mit der Regierungsmitglieder der neuen kroatischen Führung für Ärger sorgen. Vor allem Kulturschaffende fürchten eine Rückkehr zur nationalistischen Politik der Neunzigerjahre. Sie gehen nun gegen die Regierung auf die Straße.

Von Bojana Radetic und Mirko Schwanitz | 03.02.2016
    Protest der Kulturschaffenden: Ein lesbischer Chor singt vor dem Regierungsgebäude in Zagreb.
    Protest der Kulturschaffenden: Ein lesbischer Chor singt vor dem Regierungsgebäude in Zagreb. (STR / AFP)
    Fast 1.000 Menschen versammelten sich gestern Abend in Zagreb. Seit ihrem Amtsantritt am 22. Januar wollen die Proteste gegen die neue kroatische Regierung nicht abreißen. Immer wieder demonstrieren Bürger, Intellektuelle und Künstler vor dem Regierungssitz. Den Widerstand ausgelöst hatten Äußerungen von Ministern, die nahelegen, dass Kroatiens Regierung zur nationalistischen Politik der Neunzigerjahre zurückkehrt.
    Kaum eine Woche im Amt, musste der für Kriegsveteranen zuständigen Minister, Mijo Crnoja zurücktreten. Er hatte angeregt, ein Register für Staatsverräter anzulegen. Die prompte und kreative Reaktion der Öffentlichkeit, vor allem die vieler Künstler kam für die Regierung völlig überraschend.
    "Wir haben eine Online-Plattform freigeschaltet, auf dem sich die Bürger in einem Register selbst als Verräter eintragen können. In den ersten Tagen haben sich bereits mehr als 7.000 Menschen eingetragen. Und viele haben Kommentare hinterlassen, welches politisches System sie sich in unserem Land wünschen und alle diese Wünsche stehen in krassen Gegensatz zu dem politischen System, das wir zurzeit haben."
    Proteste gegen Kulturminister
    Nora Krstulović gehört mit ihrem Künstlerkollektiv "SKROZ" zu den Initiatorinnen der Proteste. Wenn sie nicht bei den Demonstranten ist, probt sie mit ihrer Truppe im ZKM, im Jugendtheater im Herzen von Zagreb für ihre nächsten Auftritte. Politisch sollen sie sein und provozieren:
    "Man muss mit politischen und künstlerischen Aktionen reagieren. Und wir haben einfach die Verantwortung uns mit konkreten Aktionen gegen diese revisionistische Politik zu wehren."
    "Rücktritt, Rücktritt" - forderten die Demonstranten auch gestern wieder. Die Proteste richten sich auch und vor allem gegen den neuen Kulturminister, Zlatko Hasanbegovic. Der sieht sein Land in einer Linie mit der faschistischen kroatischen Marionettenrepublik im Zweiten Weltkrieg und leugnet das antifaschistische Erbe der Tito-Partisanen. Auch die mit ihrem Roman "Hotel Nirgendwo" in Deutschland bekannt gewordene Schriftstellerin Ivana Simic-Bodrozic ist entsetzt. In Kürze wird in Kroatien ihr neues Buch, "Das Loch", erscheinen. In ihm setzt sie sich vehement mit der nationalistischen Politik in Kroatien auseinander.
    "Mir wurde angesichts dieser Politik so übel, als ob mich jemand in den Bauch getreten hätte. Welcher normale Mensch würde gern in die 90er-Jahre zurückkehren? Das Land war okkupiert, täglich starben Menschen, Kriminelle organisierten die Plünderung des Landes. Zu solchen Sachen kann ich nicht schweigen. Ich werde, wann immer ich kann, darauf reagieren. Es dauerte eine Weile bis ich darüber schreiben konnte."
    "Unsere Gesellschaft ist reifer als ihre Politiker"
    An Kulturminister Hasanbegovic scheint alle Kritik abzuperlen. Unbeeindruckt von den Protesten löste er bereits den Rat für unabhängige Medien auf und verlangte vom öffentlich-rechtlichen Fernsehsender, in Zukunft mehr patriotische Filme auszustrahlen.
    "Es stimmt mich optimistisch, dass die Mehrheit der Künstler gegen diese revisionistische Politik aufsteht, dass unsere Gesellschaft reifer ist als ihre Politiker. Dass die Leute begriffen haben, dass man nicht alles hinnehmen darf, dass es eine Grenze gibt."
    Das Künstlerkollektiv von Nora Ksrtulovic probt derweil im Zagreber Theater der Jugend bereits an seinem neuesten Stück. Das Skript schreiben die Bürger mit ihren Eintragungen ins "Verräter-Register" selbst: "Ich habe meine Kinder verraten", ist dort von einem Branko Sudar aus Zagreb zu lesen. "Ich habe sie verraten, als ich ihnen versprach, sie würden in einem reichen und glücklichen Land aufwachsen."