Silvia Engels: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries von der SPD belebt derzeit ein altes Konzept neu. Der Kronzeuge soll wieder Einzug in die Gerichtssäle halten. Diese Regelung, die erstmals 1989 eingeführt wurde, gewährt einem Beschuldigten Straferlass oder Strafmilderung, wenn er bei der Aufklärung oder Verhinderung einer Straftat geholfen hat. Oft genug geschah dies früher, indem ein Beschuldigter einen anderen belastete. Kritiker nannten das abfällig "Denunziantenprivileg". Befürworter setzten dagegen auf eine höhere Aufklärungsrate bei Straftaten. Wie dem auch sei: 1999 lief die Kronzeugenregelung aus. Doch im Koalitionsvertrag haben sich SPD und Union auf eine Neuauflage verständigt und die arbeitet die Justizministerin nun aus. - Am Telefon ist Wolfgang Arenhövel. Er ist der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes. Guten Morgen!
Wolfgang Arenhövel: Guten Morgen Frau Engels!
Engels: Herr Arenhövel, was halten Sie von der Wiederbelebung dieses Kronzeugenkonzeptes?
Arenhövel: Als ich heute Morgen ins Büro fuhr, habe ich Ihren Hinweis gehört mit der Frage, braucht die Justiz eine Kronzeugenregelung. Da ging mir der Satz durch den Kopf, der Montesquieu zugeschrieben wird: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, das Gesetz nicht zu machen.
Engels: Welche negativen Erfahrungen haben Sie denn gemacht?
Arenhövel: Man muss über die Kronzeugenregelung sehr grundsätzlich nachdenken. Es gibt im Wesentlichen aus meiner Sicht, jedenfalls aus der Sicht des Deutschen Richterbundes drei Kritikpunkte. Zum ersten: Durch diese beabsichtigte Strafmilderung oder gar Straffreiheit wird das Prinzip einer gleichmäßigen, kalkulierbaren und schuldangemessenen Bestrafung verwischt. Wir müssen ja sehen, dass diese Strafmilderung, wenn sie denn eingeführt wird, nur für solche Fälle in Betracht kommt, die ganz besonders schwere Straftaten beinhalten, also für die mittlere und leichtere Kriminalität wohl eher nicht. Das ist eine Verwischung oder eine Ungleichbehandlung, die so ohne weiteres nicht zu rechtfertigen ist.
Der zweite Punkt ist ein ganz praktischer Punkt, der immer wieder ins Feld geführt wird. Wir haben es ja bei so genannten Kronzeugen und deren Aussagen, die in Wirklichkeit ja keine Zeugen sind, sondern Beschuldigte, Angeklagte in einem Verfahren, natürlich mit ganz besonders interessengeleiteten Aussagen zu tun. Da besteht natürlich die Gefahr, um sich selbst eine Straffreiheit oder doch erhebliche Strafmilderung zu erkaufen, einer Falschaussage, die oft genug dann schwer zu überprüfen ist.
Engels: Da will ich direkt mal einhaken, bevor wir auf Ihre dritte Kritik kommen, denn die Justizministerin plant ja, Falschaussagen von Kronzeugen strenger zu bestrafen. Aber aus Ihrer Erfahrung ist das im Gerichtsalltag unrealistisch?
Arenhövel: Das muss ja zunächst mal aufgeklärt werden. Man muss ja feststellen, dass eine Falschaussage vorliegt. Zunächst einmal ist dieser Prozess, in dem der so genannte Kronzeuge abgeurteilt wird, erledigt. Er wird mit einer bestimmten Strafmilderung versehen aus dem Verfahren entlassen, vielleicht sogar mit Straffreiheit. Dieses Urteil kann rechtskräftig werden. Dann kann er anschließend, wenn sich herausstellen sollte, er hat die Unwahrheit gesagt, wegen einer falschen Anschuldigung oder Vortäuschens einer Straftat verurteilt werden, vielleicht auch etwas schwerer. Ob das noch in einem vernünftigen Verhältnis steht kann ich nicht beurteilen, weil die Einzelheiten, die Frau Zypries vorgesehen hat, noch nicht bekannt sind. Wenn man schon zu einer solchen Kronzeugenregelung kommt und zu einer nachträglichen Bestrafung, dann muss man mindestens darüber nachdenken, ob nicht für den Fall einer Falschaussage die Wiederaufnahme des ursprünglichen Verfahrens vorgesehen werden muss.
Engels: Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, spricht von einem effektiven Instrument zur Verbrechensbekämpfung. Hat er denn Unrecht?
Arenhövel: Das ist die Frage. Bis jetzt sind mir jedenfalls keine Untersuchungen bekannt, die deutlich machen, dass durch die Kronzeugenregelung effektiv in kriminogene Strukturen insbesondere zum Beispiel bei der organisierten Kriminalität eingedrungen worden wäre. Genau aus diesen Gründen ist ja auch 1999 durch die damalige rot-grüne Koalition das Kronzeugengesetz ausgelaufen.
Engels: Wie müsste denn Ihrer Ansicht nach eine Wiedereinführung dieser Kronzeugenregelung aussehen, wenn es überhaupt irgendeinen Sinn machen soll aus Ihrer Erfahrung?
Arenhövel: Der Deutsche Richterbund hat immer wieder auf diese Kritikpunkte, die ich gerade deutlich gemacht habe, hingewiesen. Wir haben auch gesagt, dass das so genannte Nachtatverhalten, also wenn ein Angeklagter im Prozess für eine Aufklärung weiterer Straftaten oder Verhinderung weiterer Straftaten sorgt, nach der geltenden Rechtslage ja bereits berücksichtigt werden kann. Das ist in §46 Abs. II des Strafgesetzbuches so vorgesehen und wird auch so praktiziert. So gesehen ist die jetzt vorgeschlagene Regelung, die ja nur eine Strafzumessungsregelung ist, schon ein Weg in diese Richtung, den wir in der Vergangenheit vorgezeichnet haben. Ob das denn allerdings erforderlich ist, das ist die Frage.
Engels: Wenn Sie sagen, dieses Gesetz war in der früheren Form nicht sehr sinnvoll - deswegen wurde es auch abgeschafft -, haben Sie eine Vorstellung, warum die große Koalition es nun unbedingt wieder einführen will?
Arenhövel: Wenn man sich die Diskussion über diese Kronzeugenregelung ansieht, dann stellt man fest, sie kommt immer dann wieder hoch, wenn besondere Sicherheitslagen entstehen oder entstanden sind. Es ist ja kein Zufall, dass nachdem 1999 dieses Kronzeugengesetz aufgehoben worden ist, nach dem 11. September 2001 die Diskussion um diese Regelung wieder neu entbrannte. Es geht immer um die Abwägung in diesen Fällen: Sicherheitspolitik auf der einen Seite und Rechtstaatlichkeit auf der anderen Seite. Das muss sich nicht ausschließen; das darf sich auch nicht ausschließen. Deswegen sind wir dafür, dass man diesen Punkt Kronzeugenregelung mit ganz, ganz spitzen Fingern anfasst. Es darf nicht nur darum gehen zu schauen, gibt es auf der einen Seite möglicherweise Erleichterungen im Ermittlungsverfahren, wobei überhaupt nicht feststeht, nach meiner Kenntnis jedenfalls, ob es solche gibt, sondern gibt es auf der anderen Seite die Frage einer kalkulierbaren schuldangemessenen Bestrafung, dass diese Möglichkeit ins Wanken gerät.
Engels: Das heißt Ihrer Einschätzung nach, suggeriert der Staat eine Handlungsfähigkeit, die er gar nicht hat?
Arenhövel: Ob er das suggeriert weiß ich nicht. Ich unterstelle schon, dass diejenigen, die dort Verantwortung tragen, bestens Wissens und Gewissens, vor allen Dingen besten Gewissens das tun. Ob dann die Praxis das hält, was die Theorie verspricht, das allerdings bezweifle ich.
Engels: Besten Dank! - Das war der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Wolfgang Arenhövel. Ich bedanke mich für das Gespräch!
Arenhövel: Ich bedanke mich!
Wolfgang Arenhövel: Guten Morgen Frau Engels!
Engels: Herr Arenhövel, was halten Sie von der Wiederbelebung dieses Kronzeugenkonzeptes?
Arenhövel: Als ich heute Morgen ins Büro fuhr, habe ich Ihren Hinweis gehört mit der Frage, braucht die Justiz eine Kronzeugenregelung. Da ging mir der Satz durch den Kopf, der Montesquieu zugeschrieben wird: Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, das Gesetz nicht zu machen.
Engels: Welche negativen Erfahrungen haben Sie denn gemacht?
Arenhövel: Man muss über die Kronzeugenregelung sehr grundsätzlich nachdenken. Es gibt im Wesentlichen aus meiner Sicht, jedenfalls aus der Sicht des Deutschen Richterbundes drei Kritikpunkte. Zum ersten: Durch diese beabsichtigte Strafmilderung oder gar Straffreiheit wird das Prinzip einer gleichmäßigen, kalkulierbaren und schuldangemessenen Bestrafung verwischt. Wir müssen ja sehen, dass diese Strafmilderung, wenn sie denn eingeführt wird, nur für solche Fälle in Betracht kommt, die ganz besonders schwere Straftaten beinhalten, also für die mittlere und leichtere Kriminalität wohl eher nicht. Das ist eine Verwischung oder eine Ungleichbehandlung, die so ohne weiteres nicht zu rechtfertigen ist.
Der zweite Punkt ist ein ganz praktischer Punkt, der immer wieder ins Feld geführt wird. Wir haben es ja bei so genannten Kronzeugen und deren Aussagen, die in Wirklichkeit ja keine Zeugen sind, sondern Beschuldigte, Angeklagte in einem Verfahren, natürlich mit ganz besonders interessengeleiteten Aussagen zu tun. Da besteht natürlich die Gefahr, um sich selbst eine Straffreiheit oder doch erhebliche Strafmilderung zu erkaufen, einer Falschaussage, die oft genug dann schwer zu überprüfen ist.
Engels: Da will ich direkt mal einhaken, bevor wir auf Ihre dritte Kritik kommen, denn die Justizministerin plant ja, Falschaussagen von Kronzeugen strenger zu bestrafen. Aber aus Ihrer Erfahrung ist das im Gerichtsalltag unrealistisch?
Arenhövel: Das muss ja zunächst mal aufgeklärt werden. Man muss ja feststellen, dass eine Falschaussage vorliegt. Zunächst einmal ist dieser Prozess, in dem der so genannte Kronzeuge abgeurteilt wird, erledigt. Er wird mit einer bestimmten Strafmilderung versehen aus dem Verfahren entlassen, vielleicht sogar mit Straffreiheit. Dieses Urteil kann rechtskräftig werden. Dann kann er anschließend, wenn sich herausstellen sollte, er hat die Unwahrheit gesagt, wegen einer falschen Anschuldigung oder Vortäuschens einer Straftat verurteilt werden, vielleicht auch etwas schwerer. Ob das noch in einem vernünftigen Verhältnis steht kann ich nicht beurteilen, weil die Einzelheiten, die Frau Zypries vorgesehen hat, noch nicht bekannt sind. Wenn man schon zu einer solchen Kronzeugenregelung kommt und zu einer nachträglichen Bestrafung, dann muss man mindestens darüber nachdenken, ob nicht für den Fall einer Falschaussage die Wiederaufnahme des ursprünglichen Verfahrens vorgesehen werden muss.
Engels: Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, spricht von einem effektiven Instrument zur Verbrechensbekämpfung. Hat er denn Unrecht?
Arenhövel: Das ist die Frage. Bis jetzt sind mir jedenfalls keine Untersuchungen bekannt, die deutlich machen, dass durch die Kronzeugenregelung effektiv in kriminogene Strukturen insbesondere zum Beispiel bei der organisierten Kriminalität eingedrungen worden wäre. Genau aus diesen Gründen ist ja auch 1999 durch die damalige rot-grüne Koalition das Kronzeugengesetz ausgelaufen.
Engels: Wie müsste denn Ihrer Ansicht nach eine Wiedereinführung dieser Kronzeugenregelung aussehen, wenn es überhaupt irgendeinen Sinn machen soll aus Ihrer Erfahrung?
Arenhövel: Der Deutsche Richterbund hat immer wieder auf diese Kritikpunkte, die ich gerade deutlich gemacht habe, hingewiesen. Wir haben auch gesagt, dass das so genannte Nachtatverhalten, also wenn ein Angeklagter im Prozess für eine Aufklärung weiterer Straftaten oder Verhinderung weiterer Straftaten sorgt, nach der geltenden Rechtslage ja bereits berücksichtigt werden kann. Das ist in §46 Abs. II des Strafgesetzbuches so vorgesehen und wird auch so praktiziert. So gesehen ist die jetzt vorgeschlagene Regelung, die ja nur eine Strafzumessungsregelung ist, schon ein Weg in diese Richtung, den wir in der Vergangenheit vorgezeichnet haben. Ob das denn allerdings erforderlich ist, das ist die Frage.
Engels: Wenn Sie sagen, dieses Gesetz war in der früheren Form nicht sehr sinnvoll - deswegen wurde es auch abgeschafft -, haben Sie eine Vorstellung, warum die große Koalition es nun unbedingt wieder einführen will?
Arenhövel: Wenn man sich die Diskussion über diese Kronzeugenregelung ansieht, dann stellt man fest, sie kommt immer dann wieder hoch, wenn besondere Sicherheitslagen entstehen oder entstanden sind. Es ist ja kein Zufall, dass nachdem 1999 dieses Kronzeugengesetz aufgehoben worden ist, nach dem 11. September 2001 die Diskussion um diese Regelung wieder neu entbrannte. Es geht immer um die Abwägung in diesen Fällen: Sicherheitspolitik auf der einen Seite und Rechtstaatlichkeit auf der anderen Seite. Das muss sich nicht ausschließen; das darf sich auch nicht ausschließen. Deswegen sind wir dafür, dass man diesen Punkt Kronzeugenregelung mit ganz, ganz spitzen Fingern anfasst. Es darf nicht nur darum gehen zu schauen, gibt es auf der einen Seite möglicherweise Erleichterungen im Ermittlungsverfahren, wobei überhaupt nicht feststeht, nach meiner Kenntnis jedenfalls, ob es solche gibt, sondern gibt es auf der anderen Seite die Frage einer kalkulierbaren schuldangemessenen Bestrafung, dass diese Möglichkeit ins Wanken gerät.
Engels: Das heißt Ihrer Einschätzung nach, suggeriert der Staat eine Handlungsfähigkeit, die er gar nicht hat?
Arenhövel: Ob er das suggeriert weiß ich nicht. Ich unterstelle schon, dass diejenigen, die dort Verantwortung tragen, bestens Wissens und Gewissens, vor allen Dingen besten Gewissens das tun. Ob dann die Praxis das hält, was die Theorie verspricht, das allerdings bezweifle ich.
Engels: Besten Dank! - Das war der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes Wolfgang Arenhövel. Ich bedanke mich für das Gespräch!
Arenhövel: Ich bedanke mich!