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Kronzeugenregelung unter neuem Namen

Kapérn: Totgesagte leben länger, meine Damen und Herren. Das gilt zumindest für die Kronzeugenregelung, die ja eigentlich schon ad acta gelegt war, dann wiederbelebt wurde und nun auch der Bekämpfung des internationalen Terrorismus dienen soll. So sieht es jedenfalls das Sicherheitspaket Nr. 2 von Bundesinnenminister Otto Schily vor, der so genannte "Otto-Katalog". Warum er die Kronzeugenregelung für wichtig und richtig hält, das hat uns der niedersächsische Justizminister Christian Pfeiffer vor der Sendung so erklärt:

    Pfeiffer: Ich will es an einem Beispiel deutlich machen. Wir wissen alle, dass die Taliban sich zur Hälfte bis drei Viertel aus den Einkünften des Drogenhandels bezahlen lässt. Wir fangen relativ viele Drogenhändler auch aus Afghanistan. Diese Mitwisser, die nicht Mittäter des Terrorismus sind, sehr wohl aber in der Nähe des Terrorismus Kontaktpartner haben, Kenntnisse der Taliban haben, möglicherweise auch über deren sonstiges Gebaren, diese Mitwisser schöpfen wir gegenwärtig überhaupt nicht ab. Wir bestrafen sie hart. Wenn wir dort jemand statt 8 Jahre 6 Jahre geben und er packt dafür sein Wissen aus und es handelt sich um brauchbares Wissen, was wirklich glaubhaft ist und geeignet ist, uns in der Terrorismusbekämpfung voranzubringen, dann ist das doch höchst hilfreich. Von daher empfehle ich dringend, dass wir die Kronzeugenregelung unter neuem Namen einführen. Dann ist es nicht ein Kronzeuge; es ist mehr eine Aufklärungshilfe, die hier belohnt wird. Dann sollten wir freilich zwei Dinge regeln, die es bisher nicht gibt, nämlich erstens: Lügen haben kurze Beine. Kronzeugen, bei denen sich herausstellt, die haben nur um des eigenen Vorteils willen Geschichten erfunden, und es stellt sich später heraus, so war es, da sollten wir dann doch die ursprünglich verdiente Strafe verhängen können. Das ist gegenwärtig nicht möglich. Zweitens: Angesichts der Unsicherheit mit den Mitwissern und Kronzeugen meine ich, man sollte eine Regel erlassen, dass kein Urteil allein auf der Aussage eines Kronzeugen beruhen darf, sondern dass es immer ergänzend Tatsachenbeweise geben muss, die die Aussagen des Kronzeugen stützen. - Unter diesen beiden Einschränkungen habe ich den Eindruck würden auch die Grünen als Koalitionspartner mitmachen können. Ansonsten sehe ich dort unüberwindliche Hürden bei den Grünen, die sich aus rechtstaatlichen Gründen dann sperren könnten.

    Kapérn: Herr Pfeiffer, hören sich Ihre Argumente für die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung nicht sehr hypothetisch an und beziehen sie sich nicht auf einen winzig kleinen Ausschnitt der Bekämpfung des Terrorismus? Ist es wirklich hinzunehmen, dass der Staat auf die Strafverfolgung verzichtet, nur weil ein kleiner Drogendealer, den man vielleicht vor dem Kölner Hauptbahnhof fasst, etwas erzählen kann über das ferne Afghanistan? Woher soll der wirklich wichtige Kenntnisse über die internationalen Terrornetzwerke haben?

    Pfeiffer: Es geht ja nicht nur um das Beispiel des Drogenhändlers. Es geht um Personen, die im Umfeld solcher Terroristen tätig sind. Das können wir einfach nicht übersehen. Das ist eine Vorschrift, die schläft vor sich hin und schadet niemand. Aber dann plötzlich haben wir einen solchen Täter und dann ist sie höchst hilfreich. Dann empfehle ich ja nicht, dass der Staat völlig auf das Bestrafen verzichtet, sondern dass er die Strafe mildern kann.

    Kapérn: Herr Pfeiffer, ein weiterer Punkt innerhalb des Sicherheitspaketes II, des sogenannten "Otto-Katalogs", der dort sehr umstritten ist, ist die Speicherung biometrischer Daten in Personalausweispapieren. Erklären Sie uns als Experte doch mal, was ein Polizist überhaupt mit solchen gespeicherten Daten anfangen kann?

    Pfeiffer: Bisher hat er nur das Foto. Das kann, wie wir wissen, doch relativ schnell gefälscht werden. Man kann sich auch irren und täuschen. Da vermitteln diese zusätzlichen Erkenntnisquellen, nämlich der Fingerabdruck oder biometrische Angaben, erweiterte Chancen, die Identität zu überprüfen. Dagegen kann doch vernünftigerweise kaum jemand etwas haben. Ein Pass ist dazu da, um eindeutig die Identität nachzuweisen. Wenn wir leider erkennen müssen, das reicht bei Menschen, die sehr viel Geld haben, nicht aus, die schaffen es locker, mit perfekten Fälschern sich Papiere zu ergattern, die einen dann in die Irre leiten, dann kann es uns doch nicht unter Datenschutzaspekten bedrohen, wenn wir endlich Ausweispapiere bekommen, die absolut fälschungssicher sind und die unsere Identität eindeutig nachweisen.

    Kapérn: Aber von den identifizierten Terroristen des 11. September hatte doch überhaupt niemand einen deutschen Pass?

    Pfeiffer: Es geht gar nicht nur um deutsche Pässe. Die Engländer machen doch dasselbe. Es geht darum, dass wir weltweit in den Staaten, die hier kooperieren wollen, ein Pass-System vereinbaren, das es erschwert, überhaupt irgendwo falsche Pässe zu bekommen. Dazu gebietet es die internationale Solidarität, wenn das die Engländer machen - die sind gerade dabei -, wenn das die Franzosen und Amerikaner machen, dass wir es dann auch tun. Dann haben wir eine Netzwerkkooperation sicherer Pässe, die helfen würde.

    Kapérn: In der Bekämpfung des Terrorismus würde das aber doch nur helfen, wenn beispielsweise auch Jemen oder Ägypten dort mitmachen würden. Haben Sie da wirklich Hoffnungen?

    Pfeiffer: Nein. Es reicht aus, dass wir unsere Pässe hier sauber halten. Das jedenfalls können wir leisten. Dann gibt es genügend Helfershelfer, die einen deutschen Pass haben oder zumindest versuchen, mit einem gefälschten internationalen Pass als Quasi-Deutscher irgendwo einzureisen. Von daher meine ich, es ist doch nichts Bedrohliches, fälschungssichere Pässe zu haben, die zudem eindeutiger als das bisher der Fall ist über die Identität des Besitzers Auskunft geben. Das empfinde ich überhaupt nicht als Bedrohung, sondern als hilfreich und verstehe die ganze Aufregung in der Öffentlichkeit nicht. Etwas anderes gilt freilich, wie man die Daten gebraucht über das, was zum einzelnen Menschen gespeichert ist. Da wird man nicht jeden heranlassen können. Das ist eine zweite Frage, wie man das, was dann im Computer gespeichert wird, nutzt und wer alles dort heran kann.

    Kapérn: Aber ist nicht genau das das eigentlich Bedrohliche, die Zusammenschau der technischen Möglichkeiten, die sich Sicherheitsbehörden in Deutschland ergeben würden? Es gebe den Personalausweis mit gespeicherten biometrischen Daten, es gebe möglicherweise eine Zentraldatei, in der ebenfalls diese Daten enthalten sind, es gibt Computerprogramme, die aus Videoaufnahmen Gesichter herauslesen, erkennen können, und wir diskutieren darüber, ob wir öffentliche Plätze mit Kameras überwachen können. Da muss man doch die Befürchtung haben, dass jeder, der demnächst seine Wohnung verlässt, sich lückenlos im Blickfeld der deutschen Polizei bewegt?

    Pfeiffer: Unsinnig! Ich kann nur staunen über Ihre Phantasien. Vielleicht haben Sie zu viel "1984" gelesen.

    Kapérn: Einmal jedenfalls!

    Pfeiffer: Denn das, was Sie hier skizzieren, ist doch überhaupt nicht im Interesse des Staates. Wenn er zum Beispiel öffentliche Plätze mit Kameras überwachen will und das dann einige Zeit aufhebt, dann geht es darum, wenn irgendwo ein Lastwagen explodiert ist und ein Haus in Flammen steht, dass man diesen Lastwagen in einem nicht zerstörten Zustand betrachten will, um die Nummer festzustellen und zu sehen, wer hat denn den geparkt und wer hat denn beispielsweise nachts irgendwelche Brandsätze gegen eine jüdische Einrichtung geworfen. Wenn man solche Filmaufnahmen hat, dann ist das machbar. Es geht um effektiven Opferschutz und Prävention bei solchen Maßnahmen. Es geht um effektive Ermittlungsmaßnahmen zur Aufklärung von Geschehnissen, wo wir ganz gerne im Rückgriff auf Filmaufnahmen, die vorliegen, sagen würden, um 17:13 Uhr ist dort etwas explodiert, was war vorher, wer hat eine Bombe dort und dort postiert, und dann kann man es betrachten. Ist das so schwer einsichtig, dass der Staat in einer solchen Situation wie heute gefährdete Objekte in dieser effektiven Weise schützen will?

    Kapérn: Christian Pfeiffer war das heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk, der Justizminister des Landes Niedersachsen. - Ich sage danke für das Gespräch und auf Wiederhören, Herr Pfeiffer!

    Pfeiffer: Danke Ihnen!

    Link: Interview als RealAudio