Friedbert Meurer: Barack Obama ist seit genau 100 Tagen Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Viele sind ja erleichtert gewesen, als die Nachricht von seinem Wahlsieg Anfang November um die ganze Welt ging - gerade auch in den USA selbst, zumindest bei dem Teil der Bevölkerung, der damals Obama ins Amt gewählt hat. Mit seinem Charisma hat Barack Obama eine regelrechte Euphorie ausgelöst. Jetzt also ist er 100 Tage im Amt. Dieter Kronzucker ist Publizist, ehedem Korrespondent bei ARD und ZDF, heute Autor von N24, und er hat jetzt ein Buch geschrieben, gemeinsam mit dem Ex-Botschafter John Kornblum, das nächste Woche erscheint und den Titel hat "Mission Amerika - Weltmacht am Wendepunkt". Guten Tag, Herr Kronzucker.
Dieter Kronzucker: Grüße Sie, Herr Meurer!
Meurer: Sind die ersten 100 Tage schon der Wendepunkt gewesen?
Kronzucker: Unbedingt. Man muss das zweiteilen. Die eine Abteilung ist ja rein psychologisch, und die hat ja schon funktioniert. Das hat ja Ihr Kollege, der Korrespondent, schon gesagt. Die andere Hälfte, da hat natürlich das, was man gleich machen kann, auch funktioniert. Ich denke an die Unterschrift, Guantanamo aufzulösen, dieses Gefangenen-Camp auf der Insel Kuba, aber auch die gestrige Entscheidung, eine Regelung zurückzunehmen, die aus der Bush-Zeit stammt, dass nämlich die Ölkonzerne tun können, wie sie wollen, wenn sie die Rohstoffe und die Bodenschätze in Alaska plündern wollen. Das geht nicht, das müssen sie jetzt ökokonform machen. Überhaupt ist ja die Hinwendung zur grünen Politik so ausgeprägt, dass man sicherlich schon jetzt behaupten kann, vom Nachzügler Amerika in Sachen Umweltpolitik wird da irgendwann sogar unter Obama ein Pionier werden.
Meurer: Die Wirtschaftskrise als das große Thema - Entschuldigung, Herr Kronzucker -, gibt er da eine klare konstante Linie vor und zeigt sich sicher und souverän?
Kronzucker: Das Kuriose, muss man fast schon sagen, ist ja, dass da ein Gegensatz besteht zwischen seiner Erfahrung, weltpolitisch und auch innenpolitisch (recht gering), und seiner Geschicklichkeit, Politik umzusetzen (ungewöhnlich groß). Das rührt wahrscheinlich daher, dass das ein Mann ist, der jetzt nicht aus dem Establishment kommt, sondern dass der aus vielen Wurzeln saugen kann, dass der eben eine multikulturelle Welt in Hawaii schon erlebt hat, wo er geboren wurde, dass er schon in Asien gelebt hat mit seinem Stiefvater, dass er vor allem, was ja auch ganz wichtig ist, Unterricht genommen hat in Rhetorik, und zwar bei den entscheidenden Pfarrern seiner Kirche im Süden Chicagos.
Meurer: Herr Kronzucker, trauen Sie Obama zu, die tiefen gesellschaftlichen Gräben in den Vereinigten Staaten zuzuschütten? Das hat er sich ja vorgenommen.
Kronzucker: Die Gräben wird er nicht zuschütten können. Nur die Zahl derer, die seinem Experiment ferne stehen und die liberale Gesellschaft vertreten, wird einfach kleiner werden, vielleicht aber dadurch auch radikaler. Das ist ja auch einer der Gründe, warum er einer der geschütztesten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten ist. Was aber mit Sicherheit funktionieren wird ist, dass er die politischen Mehrheiten, die er jetzt schon hat, noch mal ausbauen kann. Ganz spektakulär ist ja wie ein Geburtstagsgeschenk zu 100 Tagen Regierung, dass einer der prominentesten Senatoren, Arlen Specter, von den Republikanern zu den Demokraten übergetreten ist. Das macht es ihm dann noch leichter, mögliche Sperrminoritäten der Opposition im Senat aufzubrechen.
Meurer: Wie wichtig oder welche Rolle wird der Kongress überhaupt in den nächsten zwei und vier Jahren spielen?
Kronzucker: Na gut, man glaubt ja immer, wenn die Mehrheiten im Kongress derselben Partei entsprechen wie der Präsident, dass es dann besonders gut geht. Da trügt der Schein. Wie Sie ja auch wissen, ist in Amerika jeder Abgeordnete und Parlamentarier vor allem seinem Wahlkreis beziehungsweise seinen Wählern verpflichtet und erst in zweiter Linie kommt dann die Partei. Hinzu kommt, dass Frau Pelosi, die Sprecherin der repräsentativen Kammer ist und gleichzeitig eine der wichtigsten Demokratinnen, schon immer sagt, wir arbeiten nicht unter Obama, sondern mit Obama. Einfach wird es nicht, einfacher wird es nicht dadurch, dass man dort Mehrheiten aus der eigenen Partei hat, aber das Kuriose ist ja, dass der Zeitgeist etwa dem Programm und der Botschaft entspricht, die Barack Obama vertritt. Deswegen kann man ja auch die Frage stellen, war es die Zeit, die diese Wahl möglich gemacht hat, so einen Mann an die Spitze der Regierung zu stellen, oder ist es umgekehrt dieser Mann, der eine Zeitenwende herbeiführt. Vielleicht arbeitet beides zusammen.
Meurer: Ein Beispiel für die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit mit dem Kongress und der demokratischen Mehrheit ist wohl das Thema Folter. Obama hat die Folter abgeschafft, verboten, aber er wollte ja nicht, dass die Täter und Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt werden. Da scheinen ihm doch einige die Gefolgschaft zu verweigern. Ist dies das Beispiel, wie schwierig es ist, ...
Kronzucker: Nein! Ich glaube, das entspricht dem Charakter von Barack Obama, der ja sehr viel pragmatischer ist, als die Leute von ihm geglaubt haben, vor allem seine Gegner ihm vorgeworfen haben.
Meurer: Aber er hat ja Schwierigkeiten, diesen Pragmatismus durchzusetzen beim Thema Folter.
Kronzucker: Nun gut, aber es ist ja so, dass er sagt, Schuldzuweisungen nützen nichts. Das heißt, wenn der jetzt anfangen würde aufzuarbeiten, wer gefoltert hat, wer den Befehl zur Folter gegeben hat, wer die Juristen sind, die das vorbereitet haben, dann wird er am Ende bei der Außenministerin Rice und dem Verteidigungsminister Rumsfeld oder gar bei dem Ex-Präsidenten Bush landen und das kann er sich einfach nicht erlauben in einem Moment, wo die Gesellschaft mit einer ganz anderen Krise zu kämpfen hat, nämlich mit dem wirtschaftlichen Breakdown.
Meurer: Der Publizist Dieter Kronzucker heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk aus Anlass von 100 Tagen Amtszeit von US-Präsident Barack Obama. Herr Kronzucker, besten Dank und auf Wiederhören.
Dieter Kronzucker: Grüße Sie, Herr Meurer!
Meurer: Sind die ersten 100 Tage schon der Wendepunkt gewesen?
Kronzucker: Unbedingt. Man muss das zweiteilen. Die eine Abteilung ist ja rein psychologisch, und die hat ja schon funktioniert. Das hat ja Ihr Kollege, der Korrespondent, schon gesagt. Die andere Hälfte, da hat natürlich das, was man gleich machen kann, auch funktioniert. Ich denke an die Unterschrift, Guantanamo aufzulösen, dieses Gefangenen-Camp auf der Insel Kuba, aber auch die gestrige Entscheidung, eine Regelung zurückzunehmen, die aus der Bush-Zeit stammt, dass nämlich die Ölkonzerne tun können, wie sie wollen, wenn sie die Rohstoffe und die Bodenschätze in Alaska plündern wollen. Das geht nicht, das müssen sie jetzt ökokonform machen. Überhaupt ist ja die Hinwendung zur grünen Politik so ausgeprägt, dass man sicherlich schon jetzt behaupten kann, vom Nachzügler Amerika in Sachen Umweltpolitik wird da irgendwann sogar unter Obama ein Pionier werden.
Meurer: Die Wirtschaftskrise als das große Thema - Entschuldigung, Herr Kronzucker -, gibt er da eine klare konstante Linie vor und zeigt sich sicher und souverän?
Kronzucker: Das Kuriose, muss man fast schon sagen, ist ja, dass da ein Gegensatz besteht zwischen seiner Erfahrung, weltpolitisch und auch innenpolitisch (recht gering), und seiner Geschicklichkeit, Politik umzusetzen (ungewöhnlich groß). Das rührt wahrscheinlich daher, dass das ein Mann ist, der jetzt nicht aus dem Establishment kommt, sondern dass der aus vielen Wurzeln saugen kann, dass der eben eine multikulturelle Welt in Hawaii schon erlebt hat, wo er geboren wurde, dass er schon in Asien gelebt hat mit seinem Stiefvater, dass er vor allem, was ja auch ganz wichtig ist, Unterricht genommen hat in Rhetorik, und zwar bei den entscheidenden Pfarrern seiner Kirche im Süden Chicagos.
Meurer: Herr Kronzucker, trauen Sie Obama zu, die tiefen gesellschaftlichen Gräben in den Vereinigten Staaten zuzuschütten? Das hat er sich ja vorgenommen.
Kronzucker: Die Gräben wird er nicht zuschütten können. Nur die Zahl derer, die seinem Experiment ferne stehen und die liberale Gesellschaft vertreten, wird einfach kleiner werden, vielleicht aber dadurch auch radikaler. Das ist ja auch einer der Gründe, warum er einer der geschütztesten Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten ist. Was aber mit Sicherheit funktionieren wird ist, dass er die politischen Mehrheiten, die er jetzt schon hat, noch mal ausbauen kann. Ganz spektakulär ist ja wie ein Geburtstagsgeschenk zu 100 Tagen Regierung, dass einer der prominentesten Senatoren, Arlen Specter, von den Republikanern zu den Demokraten übergetreten ist. Das macht es ihm dann noch leichter, mögliche Sperrminoritäten der Opposition im Senat aufzubrechen.
Meurer: Wie wichtig oder welche Rolle wird der Kongress überhaupt in den nächsten zwei und vier Jahren spielen?
Kronzucker: Na gut, man glaubt ja immer, wenn die Mehrheiten im Kongress derselben Partei entsprechen wie der Präsident, dass es dann besonders gut geht. Da trügt der Schein. Wie Sie ja auch wissen, ist in Amerika jeder Abgeordnete und Parlamentarier vor allem seinem Wahlkreis beziehungsweise seinen Wählern verpflichtet und erst in zweiter Linie kommt dann die Partei. Hinzu kommt, dass Frau Pelosi, die Sprecherin der repräsentativen Kammer ist und gleichzeitig eine der wichtigsten Demokratinnen, schon immer sagt, wir arbeiten nicht unter Obama, sondern mit Obama. Einfach wird es nicht, einfacher wird es nicht dadurch, dass man dort Mehrheiten aus der eigenen Partei hat, aber das Kuriose ist ja, dass der Zeitgeist etwa dem Programm und der Botschaft entspricht, die Barack Obama vertritt. Deswegen kann man ja auch die Frage stellen, war es die Zeit, die diese Wahl möglich gemacht hat, so einen Mann an die Spitze der Regierung zu stellen, oder ist es umgekehrt dieser Mann, der eine Zeitenwende herbeiführt. Vielleicht arbeitet beides zusammen.
Meurer: Ein Beispiel für die Schwierigkeiten der Zusammenarbeit mit dem Kongress und der demokratischen Mehrheit ist wohl das Thema Folter. Obama hat die Folter abgeschafft, verboten, aber er wollte ja nicht, dass die Täter und Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt werden. Da scheinen ihm doch einige die Gefolgschaft zu verweigern. Ist dies das Beispiel, wie schwierig es ist, ...
Kronzucker: Nein! Ich glaube, das entspricht dem Charakter von Barack Obama, der ja sehr viel pragmatischer ist, als die Leute von ihm geglaubt haben, vor allem seine Gegner ihm vorgeworfen haben.
Meurer: Aber er hat ja Schwierigkeiten, diesen Pragmatismus durchzusetzen beim Thema Folter.
Kronzucker: Nun gut, aber es ist ja so, dass er sagt, Schuldzuweisungen nützen nichts. Das heißt, wenn der jetzt anfangen würde aufzuarbeiten, wer gefoltert hat, wer den Befehl zur Folter gegeben hat, wer die Juristen sind, die das vorbereitet haben, dann wird er am Ende bei der Außenministerin Rice und dem Verteidigungsminister Rumsfeld oder gar bei dem Ex-Präsidenten Bush landen und das kann er sich einfach nicht erlauben in einem Moment, wo die Gesellschaft mit einer ganz anderen Krise zu kämpfen hat, nämlich mit dem wirtschaftlichen Breakdown.
Meurer: Der Publizist Dieter Kronzucker heute Mittag bei uns im Deutschlandfunk aus Anlass von 100 Tagen Amtszeit von US-Präsident Barack Obama. Herr Kronzucker, besten Dank und auf Wiederhören.