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Kubicki

DLF: Für den Auftakt dieses Interviews ist, mit Blick auf den Terminkalender, das naheliegendste Thema, Herr Kubicki, natürlich die Schleswig-Holstein-Wahl - heute in genau vier Wochen, am 27. Februar. Sie haben die Messlatte für die F.D.P. sehr hoch gelegt, nämlich auf 7.5 Prozent – und dazu gesagt: Alles, was darunter wäre, müssten Sie dann als persönliche Niederlage werten; bei weniger als 5,7 Prozent, dem F.D.P. -Resultat der letzten Landtagswahl von 96, würden Sie gar als Fraktionschef zurücktreten. So deutlich hat das – von den anderen Parteien zumindest – niemand sonst gesagt. Und eine solche Aussage birgt ja auch ein gewisses Risiko. Warum haben Sie das getan?

Frank Politz |
    Kubicki: Ich habe das gesagt, um deutlich zu machen, dass die Diskussion darüber, ob die F.D.P. in Schleswig-Holstein fünf Prozent erreichen kann – ja oder nein –, eigentlich absurd sind. Wir haben bei allen Wahlen, wo ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht vorhanden ist, seit Anfang der 90er Jahre immer Ergebnisse von über 7 Prozent gehabt, und es wäre schwer zu erklären, warum wir jetzt bei der nächsten Landtagswahl, wo wir auch erstmals seit 50 Jahren ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht haben, unser Potential, das in Schleswig-Holstein ja vorhanden ist, nicht ausschöpfen sollten, warum wir also weniger als sieben Prozent erhalten sollten. Das muss dann auch was mit uns zu tun haben, das muss dann auch was mit dem Spitzenkandidaten zu tun haben. Insofern wäre es tatsächlich auch eine persönliche Niederlage. Und wenn es uns nicht gelungen ist in den letzten vier Jahren, mehr als 5,7 Prozent der Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner davon zu überzeugen, dass es wichtig ist, die F.D.P. im Landtag und auch in der Regierung zu haben, dann – in der Tat – muss ich mir als Spitzenkandidat und als Fraktionsvorsitzender Gedanken darüber machen, ob ich der richtige Mann bin, die Partei die nächsten fünf Jahre im Landtag zu führen. Das ist eine schlichte, normale Erklärung, und ich denke, solche Selbstverständlichkeiten muss an auch nicht problematisieren.

    DLF: Trotz Ihres bekannt starken Optimismus, Herr Kubicki: Haben Sie - vor dem Hintergrund der miserablen F.D.P. -Ergebnisse bei den Landtagswahlen im vergangenen Jahr - wirklich nicht mal die leiseste Angst, aus dem Parlament rauszufliegen?

    Kubicki: Nein, die hatte ich weder im letzten Jahr – wir waren ja bei den Meinungsumfragen in Schleswig-Holstein – ich beziehe das immer auf Schleswig-Holstein – schon lange, bevor die CDU-Affäre auf Bundesebene losging, über fünf Prozent. Wir sind vergleichsweise stark verankert hier, und wir liegen jetzt bei den Meinungsumfragen, je nachdem, welches Institut Sie anschauen, zwischen sechs und acht Prozent, Tendenz weiter steigend. Ich denke, wir werden sehen, dass die F.D.P. tatsächlich auch - weil sie in den letzten vier Jahren hier in Schleswig-Holstein anerkanntermaßen gute Arbeit geleistet hat - mit einem besseren Ergebnis abschneiden wird, als vor vier Jahren.

    DLF: Gleichwohl klingt das - nach gegenwärtigem Stand - eher nach dem berühmten 'Pfeifen im Walde'.

    Kubicki: Also, hier pfeifen in Schleswig-Holstein im Moment alle im Walde. Niemand hätte gedacht, dass die Grünen, die ja in der Regierung sitzen und bei der letzten Wahl über acht Prozent der Stimmen hatten, nun wirklich sehr viel Sorge darum haben müssen, überhaupt wieder im Landtag zu erscheinen. Sie sind bei allen Meinungsumfragen bei einer 'schlechten' fünf und deutlich hinter den Liberalen. Ich denke, andere haben viel mehr Sorge als wir, was den Ausgang der Wahl angeht.

    DLF: Stichwort 'CDU-Affäre', das Sie eben geliefert haben: Wenn es mit der Nordunion nun noch weiter bergab geht – nach einer aktuellen Umfrage liegt sie mittlerweile sieben Prozentpunkte hinter der SPD –, dann wird das Ziel des Regierungswechsels mehr und mehr illusorisch, und damit entfällt dann auch das Funktionsargument für die F.D.P., nämlich das als Mehrheitsbeschaffer, von dem ja durchaus auch die Rede war.

    Kubicki: Also, auch dieses Argument, die F.D.P. sei Mehrheitsbeschaffer für eine andere Partei, halte ich für wenig durchdacht, denn auch eine größere Partei kann durchaus Mehrheitsbeschaffer sein für eine Politik der Liberalen. Und wenn wir sehen, wie stark die CDU im letzten Jahr ihre Position in Schleswig-Holstein revidiert hat, um koalitionsfähig zu werden mit der F.D.P. – Bereich innere Sicherheit, Bereich Drogenpolitik beispielsweise, Bereich Bildungspolitik, Stichwort 'Gesamtschule' –, dann relativieren sich solche Feststellungen. Wir haben noch vier Wochen Zeit, und ich denke, wenn diese Spendenaffäre auf Bundesebene aus den Schlagzeilen verschwinden wird und wenn man endlich zur Sachpolitik zurückkehrt, dann besteht auch für Volker Rühe und die CDU dieses Landes durchaus die Möglichkeit, die 40-Prozent-Hürde zu überschreiten und mit der F.D.P. gemeinsam eine Mehrheit zu bilden. Jedenfalls kämpfen wir darum und wir werden unseren Beitrag als Liberale dazu leisten.

    DLF: Einerseits legen Sie sehr viel Wert auf die erkennbare Eigenständigkeit der Freien Demokraten, andererseits betreiben Sie aber – salopp formuliert – einen starken Schmusekurs mit dem CDU-Spitzenkandidaten Volker Rühe. Kommt da nicht liberales Profil unter die Räder, zumal Rühe die Nordunion – Sie haben es vorhin selber schon erwähnt – ja auch stark in Richtung Mitte getrimmt hat?

    Kubicki: Ja, ich finde das ja sehr vernünftig, dass andere politische Parteien mittlerweile auf den Kurs der F.D.P. einschwenken: Ich muss das ja nicht bedauern, weil ich davon ausgehe, dass unsere politischen Antworten auf die Fragen der Zeit die richtigen sind. Wir haben auch keine Probleme, uns gegenüber der Union als eigenständige politische Kraft zu profilieren. Niemand in Schleswig-Holstein kommt auf die Idee, dass die F.D.P. – geführt von Koppelin und mir – in irgendeiner Form 'untergebuttert' werden kann.

    DLF: Gleichwohl die Frage: Wo setzt sich die F.D.P. Schleswig-Holsteins denn noch klar und eindeutig von der CDU ab?

    Kubicki: Noch einmal: Wir müssen uns nicht klar und eindeutig von der CDU absetzen, aber es gibt durchaus Differenzen, beispielsweise bei der Frage der inneren Sicherheit, im Bereich Inneres und Recht und bei der Frage, wie man mit dem Justizapparat umgeht. Wir sind sehr darauf bedacht, auch in unserer Tradition als Rechtsstaatspartei, dass es nicht zu einer Parteipolitisierung der Justiz kommt. Manchmal kann man ja den Eindruck haben, dass Staatsanwälte politische Auftragsarbeit erledigen. Einer der Punkte ist, dass wir den Generalstaatsanwalt, der nach wie vor in Schleswig-Holstein politischer Beamter ist, aus diesem Status entlassen wollen, damit die Staatsanwaltschaft als Behörde frei davon ist, dass eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse auch zu einer Veränderung in der Behördenstruktur führt. Wir wehren uns vehement dagegen, dass Überlegungen Platz greifen, man könnte eine freiwillige Polizeireserve aufbauen, dass heißt; Bürger nach 14-Tage-Lehrgängen sozusagen zu 'Polizeibeamten im Wartestand' auszurufen, die dann anschließend auch mal eingesetzt werden können, wie das jetzt gegenwärtig in Hessen beispielsweise probiert wird.

    DLF: Aber trotz all dieser Punkte wäre die Union für Sie der ideale Koalitionspartner?

    Kubicki: Sehen Sie: Die F.D.P. wird bedauerlicherweise bei dieser Wahl die absolute Mehrheit noch nicht erreichen. Wir brauchen zur Durchsetzung unserer politischen Forderungen für die nächsten fünf Jahre einen Partner. Und bei den wirklich wesentlichen dringenden Fragen ist die Union uns gegenwärtig näher als jede andere Partei in Schleswig-Holstein. Und bei den Fragen, bei denen es noch Schwierigkeiten gibt, kann ich versichern – gerade was den Bereich Recht angeht, der mir besonders am Herzen liegt –, dass sich die Vorstellungen der Union, die von unseren abweichen, nicht durchsetzen werden.

    DLF: Bei aller heutigen Nähe zur CDU, Herr Kubicki – das sah ja vor nicht einmal zwei Jahren, im Frühjahr 98, noch gänzlich anders aus. Da zeigten Sie sich sehr verärgert über die CDU, und das reichte so weit, dass Sie dem Chef der CDU-Landtagsfraktion, Herrn Kleinenburg, einen Brief schrieben, in dem unter anderem von 'Dilettantismus' und 'Regierungsunfähigkeit' die Rede war. Schon vergessen?

    Kubicki: Nein. Selbstverständlich setzt man sich in bestimmten Fragen auch auseinander. Und wir reden nicht nur miteinander, wir schreiben uns gelegentlich auch Briefe. Die schleswig-holsteinische CDU litt ja geraume Zeit darunter, dass ihr eine strategische Konzeption fehlte oder – sagen wir mal – sie schwer erkennbar war, und dass im Landtag, gerade in der Auseinandersetzung auch mit rot-grün, man ab und zu mal das Gefühl haben konnte, dass die Union nicht wusste, was sie wollte. Das hat sich, seit Volker Rühe Spitzenkandidat ist, wirklich dramatisch zum Besseren gewendet. Das ist auch der Hintergrund, warum wir erklärt haben, nachdem Volker Rühe - von uns ja gewünscht - Spitzenkandidat der CDU in Schleswig-Holstein geworden ist, denn nun haben wir eine gute Grundlage, um es gemeinsam zu machen.

    DLF: Unterstellt, es kommt tatsächlich zum Regierungswechsel: Welche Ressorts wollen die Liberalen haben?

    Kubicki: Ich bin dafür, dass man sich darüber unterhält, welche Ressorts wer und in welcher Zusammensetzung erhält und man das Fell des Bären verteilen kann, nachdem man ihn erlegt hat. Davor steht die Wahl am 27.02.2000. Ich habe nur deutlich gemacht – und dabei bleibe ich auch –, dass es für die Liberalen wichtig ist, im Bereich Bildung, Wissenschaft und im Bereich Inneres und Recht, in welcher Konstellation auch immer, politisch gestaltend mitzuwirken und auch profilgebend wirken zu können. Und dabei bleibt es.

    DLF: Welche Punkte und Themen würden denn von einer neuen Landesregierung unter F.D.P. -Beteiligung als erste angepackt? Wenn Sie das vielleicht mal kurz so spiegelstrichartig aufführen könnten?

    Kubicki: Also, als erstes würden wir eine Reihe von Regelungen wirklich zurücknehmen, die von der rot-grünen Landesregierung in die Welt gesetzt worden sind – im Bereich Naturschutz. Es heißt ja immer nur 'Naturschutz', sprich die Änderung im Nationalpark-Wattenmeer-Gesetz - die Novellierung, die vor einigen Monaten erst stattgefunden hat, weil ja die Abwägung zwischen ökologischen und ökonomischen Interessen unter die Räder geraten ist. Wir würden das Naturschutzgesetzt ändern. Wir beklagen ja seit fünf Jahren vor dem Bundesverfassungsgericht bestimmte Regelungen des Naturschutzgesetzes, die einen massiven Eigentumseingriff beinhalten ohne Entschädigungsleistung. Wir könnten dann diese Regelung sofort zurücknehmen und könnten die Klage für erledigt erklären in Karlsruhe. Wir würden noch morgen – noch in der ersten Sitzung – die Grundlagen dafür legen, dass tatsächlich nicht nur über mehr Lehrer an den Schulen geredet wird, sondern dass sie eingestellt werden können. Denn jeder Tag, der für unsere Kinder verloren geht, ist nicht nur ein Tag, der die Lebenschancen der Kinder beeinträchtigt, sonder auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Schleswig-Holsteins. Und wir würden schnellstmöglich alle die Behinderungen, die aufgebaut worden sind - insbesondere durch die Grünen - bei den wichtigen Verkehrsinfrastrukturprojekten, sprich A 20 oder Große-Belt-Querung, oder Planung auch einer Autobahn, 6-spurig bis Bordesholm – würden wir beseitigen.

    DLF: Hauptproblem Schleswig-Holsteins sind zweifelsohne die Finanzen. Die Verschuldung des Landes beläuft sich auf rd. 30 Milliarden Mark, das entspricht in etwa der doppelten Haushaltshöhe. Sie haben zwar in den zurückliegenden Wochen und Monaten ein paar Vorschläge gemacht, wie man die roten Zahlen zumindest etwas reduzieren könnte, aber für eine Kehrtwende würde das ja längst nicht reichen.

    Kubicki: Also niemand darf erwarten, dass innerhalb eines Jahres oder auch in der Zeit nur einer Legislaturperiode wir es schaffen könnten, die Neuverschuldung auf Null herunterzufahren. Allerdings gibt es eine Reihe von Ansatzmöglichkeiten - wir haben das bei Haushaltsanträgen der letzten Jahre immer wieder deutlich gemacht -, die – ich sage mal, wenn an wenig Grausamkeiten aussprechen will, sich auf eine Summe von knapp 200 Millionen belaufen, bei viel Grausamkeiten auf eine Summe von maximal 500 Millionen - die man einsparen oder anders ausgeben kann. Stichworte sind da Entbeamtungspolitik von Heidi Simonis, die das Land nach wie vor, trotz dieser Neuregelung, dass Lehrer die ersten fünf Jahre Angestellte sein sollen und dann Beamte werden dürfen, das Land immer noch 60 bis 70 Millionen Mark – pro Jahr – zusätzlich kosten. Auch Zuweisungen an die Stiftung Naturschutz für den Erwerb von Flächen: Das ist eine Einrichtung, die bis jetzt der größte Grundbesitzer Schleswig-Holsteins geworden ist. Und wir tun für den Naturschutz nicht deshalb mehr, weil wir die Eigentumsverhältnisse ändern. Wir könnten diese Gelder sinnvollerweise entweder einsparen oder anders ausgeben, beispielsweise im Bereich des Vertragsnaturschutzes, um gleiche ökologische Effekte zu erzielen mit geringeren Mitteln.

    DLF: Vor dem Hintergrund der großpolitischen Wetterlage befürchten so manche, Herr Kubicki, dass die Wahlbeteiligung am 27. Februar recht gering ausfallen könnte. 1992 und 96 lag sie jeweils bei knapp 72 Prozent, und war damit – gemessen an allen vorherigen Abstimmungen hier in Schleswig-Holstein – schon ziemlich niedrig. Wenn das nun noch weniger werden sollte, würde das ja vor allem die kleinen Parteien, also auch die F.D.P., treffen, und somit auch die zum ersten Mal ja mögliche Zweitstimmenabgabe reduzieren.

    Kubicki: Das ist der Grund, warum ich eine Parteiführung in Berlin immer davor warne, euphorisch darauf hinzuweisen, die F.D.P. könne von den Affären bei SPD und bei der CDU – sprich Rau oder Flugaffäre oder Parteispendenaffäre – profitieren. Wenn Menschen nicht zur Wahl gehen, verliert auch die F.D.P. die Chance, mit der Zweitstimme gewählt zu werden. Aber ich teile die Einschätzung nicht, dass die Wahlbeteiligung geringer sein wird. Ich glaube, sie wird eher höher sein. Ich glaube, dass die Leute sich von den Affären nicht davon abhalten lassen werden, zur Wahl zu gehen. Was dabei rauskommt, werden wir sehen müssen. Aber ich wage die Prognose, dass die Wahlbeteiligung höher sein wird, weil das Interesse an Politik und an demokratischer Mitgestaltung nicht gesunken ist. Wahlen sind die zentrale Chance von Bürgerinnen und Bürgern, durch ihre Stimmenabgabe tatsächlich Verhältnisse zu ändern, die sie nicht für akzeptabel halten. Sie würden sich selbst bestrafen – egal, aus welcher Partei und egal, welcher politischen Richtung sie anhängen –, sie würden sich selbst bestrafen, weil das immer dazu führt, dass die anderen dann im Zweifel gewinnen.

    DLF: Anfang Dezember noch meinten Sie in einem Zeitungsinterview, dass der CDU-Finanzskandal den Landtagswahlkampf in Schleswig-Holstein möglicherweise beeinträchtigen könnte, aber den Trend für einen Regierungswechsel nicht kippen würde. Das ist ja nun völlig anders gekommen. Der Wahlkampf hier steht im Schatten des Skandals, und Sie haben jüngst das Krisenmanagement der CDU sehr scharf attackiert.

    Kubicki: Ich bemängele daran, dass eigentlich erkennbar gewesen sein müsste für diejenigen, die an der Spitze der Union sitzen, dass nicht nur die Aussage 'Wir wollen Aufklärung' greifen kann, sondern dass man tatsächlich Aufklärung schnellstmöglich betreiben muss und da ein bestimmtes Datum setzt. Man muss sagen: 'Es macht keinen Sinn, dass wir jetzt jeden Tag neue Spekulationen beginnen. Wir setzen uns das Datum – was weiß ich, 31.12. – und an diesem Tag werden die von uns eingesetzten Wirtschaftsprüfer, Juristen, möglicherweise Staatsanwälte' – auch da hätte man darüber nachdenken können, ob man nicht darum gebeten hätte, Leute, die in Ermittlungstätigkeit Erfahrung haben, mit einschalten zu können – dass man dann sagt: 'Dann setzen wir uns hin und legen alles auf den Tisch, was wir zu dem Zeitpunkt wissen, damit jede Spekulation beseitigt ist'. Jetzt haben wir es ja so, dass keiner mit jemand anderem redet, dass jeden Tag jemand aus der Führungsriege der CDU das dementiert, was am Tag zuvor offiziell erklärt worden ist. Das sorgt nicht nur für Verwirrung, das zeigt auch Verwirrung innerhalb der Spitze der Union.

    DLF: Die F.D.P. scheint aus dem Flickskandal ja gelernt zu haben, die CDU nicht. Gibt’s von daher bei Ihnen vielleicht so etwas wie Schadenfreude?

    Kubicki: Nein, man kann über das, was gegenwärtig passiert, keine Schadenfreude empfinden. Vor allen Dingen: Die gesamte Affären-Diskussion lenkt von der wirklichen Politik ab, und sie führt zu einer ganz merkwürdigen Zukunftsgestaltung. Wir werden künftig erleben, dass wir alle Wahlkämpfe nicht mehr unter Aspekten bestreiten, 'wer will was für dieses Land oder wer hat für dieses Land etwas erreicht', sondern 'bei wem kann man welchen kleinen Skandal ausbuddeln und ihn zum Gegenstand der öffentlichen Erörterung machen und damit Wahlen zu entscheiden'. Das ist extrem schlimm, denke ich. Der von mir sehr geschätzte Landesvorsitzende der F.D.P., Jürgen Koppelin, hat ja scherzhafter weise erklärt: Bei uns sind die Kassen möglicherweise auch deshalb transparent, weil wir nichts drin haben'. Aber wir haben als F.D.P. wirklich daraus gelernt, dass wir nach dem Flickskandal immer zwei Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beauftragt haben, unsere Kassen zu prüfen, so dass gar nicht erst eine Nähe, eine Verbindung, eine Abhängigkeit, ein System entstehen kann, sondern da kontrollieren sich die Kontrolleure auch wechselseitig. Und das bürgt dafür, dass das einigermaßen objektiv ist.

    DLF: Ähnlich wie nach dem Kieler 'Waterkant Gate' 1987/88 stellt sich vor dem Hintergrund der aktuellen Affäre auch wieder einmal die Frage nach Macht und Moral in der Politik. Ihr Bundesgeneralsekretär Guido Westerwelle hat in diesem Zusammenhang den Vorschlag gemacht, eine unabhängige Ethikkommission einzurichten. Was halten Sie denn davon?

    Kubicki: Also ich halte vergleichsweise wenig davon, Kommissionen einzurichten, und Sie können Ethik auch nicht verordnen. Die Leute, die politisch tätig sind oder auch im Beruf tätig sind, haben entweder ein Selbstverständnis darüber, wie sie ihre jeweiligen Funktionen ausführen – oder sie haben es nicht. Wir haben doch im Abgeordnetengesetz Verhaltensregeln festgeschrieben. Wir haben eigentlich auch ein Common Sense in allen Parteien, wie die Mitglieder und die Führung sich verhalten sollen. Wir führen sonst eine sehr abstrakte Diskussion, schaffen uns wieder neue Regeln und stellen dann in einigen Wochen, Monaten oder Jahren fest, dass erneut gegen diese Regeln verstoßen worden ist. Nein, das einzige, was hilft, ist Aufklärung, ist Transparenz. Und deshalb bin ich sehr froh darüber, dass bei einigen kritisierenswerten Geschichten im Bereich der Medien jedenfalls die Medien ihre Verantwortung, auch im demokratischen System Skandale aufzudecken und bis zum Ende zu verfolgen, dass sie dieser Verantwortung nachgekommen sind.

    DLF: Herr Kubicki, Sie haben in einem Zeitungsinterview erklärt: Wenn Arbeitsplätze geschaffen werden, Bildungseinrichtungen funktionieren und der Verkehr auf den Straßen rollt, dann ist es an sich vollkommen uninteressant, wie Parteien finanziert werden. Stehen Sie nach wie vor zu dieser Aussage?

    Kubicki: Ich stehe nach wie vor zu dieser Aussage, weil die Menschen dieses Landes ja schauen müssen, welche Benefiz haben sie davon. Und es nützt ihnen nichts, dass sie hoch moralische Einrichtungen haben, puritanische Persönlichkeiten, die nichts zustande bringen, weil sie Angst haben, sich zu bewegen. Mir ist es wirklich lieber, für das Gemeinwesen wird etwas erreicht, als dass wir Mönche haben, die sich nur verkriechen und nichts tun.

    DLF: Aber das steht ja dann im Widerspruch zu den Erfahrungen mit dem Thema 'Parteienfinanzierung in der Weimarer Republik und in der NS-Zeit'. Insbesondere dies war ja der Anlass dafür, im Grundgesetz den Artikel 21 zu verankern, wonach Parteien über Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben müssen.

    Kubicki: Ja, ich habe nichts dagegen, ich bin dafür, dass Parteien sich so verhalten sollen, und ich bin auch dafür, dass konsequent darauf geachtet wird, dass dies geschieht. Aber bei der Alternative zwischen Nichtstun – das heißt auch, nichts für das Gemeinwesen etwas tun – und für das Gemeinwesen etwas zu erreichen, entscheide ich mich immer für das Letztere. Verstehen Sie? Moral ist eine sehr interessante Debattenfrage, aber sie bewegt im Zweifel für die Menschen nichts. Die Menschen haben nichts davon, dass sie hoch moralische Politiker haben, aber keine Arbeitsplätze. Die Menschen sollen in Arbeit gehen, die Kinder sollen ordentlich ausgebildet werden, das Gemeinwesen soll blühen. Wenn das übrigens so wäre, dann wäre die Debatte, die wir jetzt gerade führen, auch relativer. Das heißt, sie würde nicht mit einer so vehementen Härte geführt werden. Ich glaube, dass ein Teil dieser Diskussion, die jetzt geführt wird, auch davon ablenken soll, welche tatsächlichen wirklichen Probleme wir haben.

    DLF: Lassen Sie uns mal auf Ihre Bundespartei überschwenken. Schleswig-Holstein und die Wahl dann in Nordrhein-Westfalen Mitte Mai sollen für die F.D.P. die Wende bringen. Und dabei entbehrt es ja nicht einer gewissen Ironie, dass gerade Sie und Ihr Kollege Möllemann – beide gelten Sie als ausgewiesene Kritiker Ihres Parteichefs Wolfgang Gerhardt – dass gerade Sie es nun in der Hand haben, der F.D.P. wieder die so dringend nötigen Wahlerfolge zu bescheren. Wie lebt es sich denn damit?

    Kubicki: Damit lebt es sich ganz gut. Ich bin freudig überrascht, dass nun die Hoffnungen der gesamten Partei auf meinen Schultern liegen oder auf den Schultern der schleswig-holsteinischen F.D.P., und das Gerede darüber, die F.D.P. sei überflüssig, ins Reich der Fabel zurückzuverweisen. Und das Gleiche gilt natürlich für den Kollegen Möllemann, der sich in gleicher Weise darüber freut. Ich glaube, es hat etwas damit zu tun, dass sowohl Möllemann als auch ich keine einfachen Charaktere sind, jedenfalls nicht identifizierbar – auch in ihrer Meinung, die sie öffentlich äußern.

    DLF: Gleichwohl schweigen diese Charaktere derzeit. Es fällt ja auf - nach der vehementen Kritik, die Sie noch im letzten Jahr an Ihren Bundesparteichef geübt haben -, dass jetzt schon seit Wochen 'das Schweigen im Walde' herrscht.

    Kubicki: Nein, es herrscht kein Schweigen im Walde, wir konzentrieren uns nur aufs wesentliche. Und das wesentliche ist nicht Wolfgang Gerhardt oder die Bundesführung der Partei, sondern das wesentliche ist ein Wahlerfolg bei den jeweiligen Landtagswahlen. Und da wir hier in Schleswig-Holstein nicht darüber entscheiden, wer soll Bundesvorsitzender der F.D.P. sein – ja oder nein –, sondern wie soll die Politik in den nächsten fünf Jahren in Schleswig-Holstein gestaltet werden, spielt die Frage 'wer ist Bundesvorsitzender' oder 'sonstige Führung in der F.D.P.' keine Rolle.

    DLF: Von Jürgen Möllemann stammt die Aussage: 'Wenn wir die Wahlen gewinnen, sprich die jetzt hier in Schleswig-Holstein und Mitte Mai die in Nordrhein-Westfalen - dann gewinnt auch die Führung. Wenn wir nicht gewinnen, braucht man sich keine Gedanken mehr darüber zu machen, was passiert'. Machen wir uns trotzdem mal Gedanken, denn nach der Abstimmung in NRW folgt dann im Juni nämlich der nächste F.D.P. -Bundesparteitag. Was passiert denn dann, wenn es schief geht?

    Kubicki: Wenn es schief geht, dann implodiert die F.D.P. Wenn also beide Wahlen verloren gehen – was ich ausschließe – dann würde die F.D.P. in sich selbst implodieren. Aber da es nicht schief geht, steht das nicht an. Ich will aber auch alle diejenigen, die glauben, es gebe dann einen großen Wechsel in der Bundesführung, vor zu viel Euphorie warnen, denn im letzten Jahr galt zwar der Slogan 'never change a loosing team', aber es wird in diesem Jahr dann der Slogan gelten 'never change a winning team'. Wir werden erleben, dass dann der Bundesvorsitzende Wolfgang Gerhardt sich auf dem Bundesparteitag stellt und sagt: 'Seht, liebe Delegierte, meine Politik hat es gebracht, dass die F.D.P. jetzt aus dem Tal des Jammers herausgekommen ist'. Und dann werden wir alle applaudieren und den Bundesvorsitzenden bis zu Jahr 2002 in der Führung belassen.

    DLF: In einem Leitartikel einer großen Tageszeitung war neulich zu lesen: Die Liberalen seien nicht im Gerede, aber auch nicht im Gespräch. Und in der Tat kann man ja durchaus den Eindruck haben, dass eine Diskussion über programmatischen Liberalismus derzeit so gut wie nicht stattfindet. Woran hakt es da Ihrer Ansicht nach?

    Kubicki: Das hakt daran, dass die Bundesführung erst einmal mit ihrer eigenen Aussage fertig werden muss, dass sie nun putzmunter und sehr freudig erregt die Oppositionsrolle angenommen hat . . .

    DLF: . . . hat sie das mittlerweile? . . .

    Kubicki: . . . möglicherweise hat mein Einsatz im schleswig-holsteinischen Landtagswahlkampf dazu geführt, dass mir das entgangen ist. Ich glaube, dass die Oppositionsrolle von ihr tatsächlich erst einmal ordentlich angenommen werden muss. Man macht Opposition nicht nur durch medial geschickte, aber auch sehr kurzfristige Effekte angesetzte Initiativen im Deutschen Bundestag, sondern man führt das durchaus mit vergleichsweise seriösem Anspruch aus . . .

    DLF: . . . der fehlt Ihnen? . . .

    Kubicki: Sehen Sie mir nach, dass ich mich um meine Bundespartei wirklich erst kümmern kann, wenn wir in vier Wochen die Wahl in Schleswig-Holstein erfolgreich bestanden haben. Darum geht es zunächst. Das weitere werden wir anschließend sehen.

    DLF: Gleichwohl will ich weiter fragen: Leidet die F.D.P. nicht auch darunter, dass klassische liberale Werte heutzutage eigentlich keine Verkaufsschlager mehr sind, Beispiel: Die Menschen sich ja mehr um die Folgen der Globalisierung, als um die Stärkung individueller Freiheitsrechte.

    Kubicki: Letzteres kann ich nicht sehen, obwohl das Erste stimmt. Die Leute machen sich große Sorgen um die Auswirkungen der Globalisierung auf ihr individuelles Leben. Das heißt auch: Wird das Internet beispielsweise in jeden Haushalt hineinkommen und das Leben verändern? Aber sie machen sich durchaus auch Gedanken über individuelle Recht. Und die jetzige Debatte beispielsweise um die Parteispendenaffäre ist eine fundamental liberale Debatte eigentlich, nämlich die Frage der Abgrenzung und Kontrolle von Macht, die ausgeübt wird, mit welchen Mitteln und Methoden auch immer. Und an sich würde ich jetzt erwarten, dass meine eigene Bundespartei mal auf rechtsstaatliche Gegebenheiten hinweist, dass heißt, Kohl und Kanter daran erinnern, dass auch sie de Gesetz zu gehorchen haben, aber andererseits auch darauf hinweist, dass diejenigen, die jetzt in öffentlicher Kritik oder in der öffentlichen Schusslinie stehen oder gegen die Ermittlungsverfahren geführt werden, auch Rechte haben innerhalb dieses Rechtsstaates, die man nicht auflösen darf, nur weil sie in bestimmter politischer Verantwortung gestanden haben. Was mich besonders beeindruckt hat und was mich beschämt hat – ich sage es ausdrücklich –, ist die Tatsache, dass ausgerechnet Gregor Gysi im Deutschen Bundestag bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses das Richtige und eigentlich Rechtsstaatliche gesagt hat, nämlich dass er sich dagegen verwahrt, dass der Deutsche Bundestag öffentlich erklärt, die Union möge bestimmte Personen von der Verschwiegenheitspflicht entbinden, um damit ein Recht zu unterlaufen. Diese Form des öffentlichen Druckes, diese Form des Jakobinertums hat in der Vergangenheit schon dazu geführt, dass rechtsstaatliche Systeme sich aufgelöst haben. Dass ausgerechnet Gregor Gysi das sagen muss, das hat schon eine Qualität in diesem Land. Ich hätte mir gewünscht, meine eigene Parteifreunde hätten so reagiert.

    DLF: Wenn es denn aus Ihrer Sicht klappen sollte am 27. Februar mit de Regierungswechsel von rot-grün auf schwarz-gelb, dann wollen Sie nicht in ein Kabinett unter Führung Volker Rühes eintreten, haben also keine Ministerambition. Warum denn nicht?

    Kubicki: Das hat mehrere Gründe. Es hat etwas mit meiner eigenen Mentalität zu tun. Es wäre – glaube ich – schwer erträglich, dass Volker Rühe und Wolfgang Kubicki bei ihrer jeweiligen Vorliebe für die Selbstdarstellung in einem Kabinett ständig aufeinanderprallen. Nein – viel wichtiger ist, dass dem Parlament endlich wieder das wirkliche Primat zukommt, denn nicht die Exekutive ist entscheidend, sondern die Legislative. Und es ist wichtig, dass gerade bei einer Regierung auch eine Regierungsfraktion, wie die der F.D.P., ordentlich geführt wird und im Parlament die Möglichkeit und darüber hinaus die Möglichkeit besteht, die F.D.P. weiter zu profilieren. Das ginge schlecht in einem Kabinett.