Heinlein: An diesem Wochenende wurde bei den Berliner Grünen die K-Frage beantwortet. Es ging um die Kandidatenliste für die Bundestagswahl. Das Ergebnis, eine faustdicke Überraschung: Hinter Ministerin Renate Künast wurde der ehemalige DDR-Bürgerrechtler, Werner Schulz, auf den sicheren Listenplatz Nummer zwei gewählt. Das Votum des Landesverbandes ist gleichzeitig eine herbe Enttäuschung für die eigentlichen Favoriten, Christian Ströbele und Ex-Gesundheitsministerin, Andrea Fischer. Sie müssen nun um ihren Wiedereinzug in das Parlament bangen. Ganz nebenbei stellte der Grüne Länderrat an diesem Wochenende in Magdeburg einige wichtige inhaltliche Weichen für die Bundestagswahl im September, und heute wird der Parteirat wohl erstmals einen Spitzenkandidaten für die Wahlschlacht benennen. Der heimliche Vorsitzende, Außenminister Fischer, soll gegen Schröder und Stoiber ins Feld geführt werden. Am Telefon nun der Überraschungssieger des Wochenendes, Werner Schulz. Herr Schulz, haben Sie Ihren Sieg schon verdaut?
Schulz: Da gibt es nichts zu verdauen, weil sich Freude über längere Zeit halten sollte. Ich glaube, es kommt jetzt vor allen Dingen darauf an, aus diesem Sieg etwas zu machen, verantwortungsvoll damit umzugehen. Ich glaube, dass sehr viele Erwartungen an mich gerichtet sind. Das wird mir sehr viel Kraft abverlangen.
Heinlein: Was wollen Sie denn daraus machen? Im Osten dümpelt Ihre Partei im Schnitt bei 3 Prozent. Glauben Sie, dass Ihre Wahl für einen Aufschwung in den neuen Ländern ausreicht?
Schulz: Also eine einzelne Person wird sicher nicht den gesamten Osten in Schwung bringen und hochbringen können. Aber das ist wie beim Aufbau Ost selbst: man muss sich auf Wachstumspotentiale konzentrieren, und ich habe mich auf die Hochburg Berlin konzentriert. Ich glaube, dass wir über Berlin - dort fokussieren sich ja die Ost-West-Probleme, das ist die Werkstatt der Deutschen Einheit - diesen Aufschwung wieder in Gang bringen können.
Heinlein: Eine einzelne Person reicht nicht, sagen Sie. Sind denn die Grünen nach wie vor eine westdeutsche Milieupartei?
Schulz: Sie waren auf dem Weg dahin. Es bestand die Gefahr, davor habe ich gewarnt, und sie haben sich in Berlin gegen diese Tendenz gewandt, auch durch meine Nominierung. Sie haben sich als Bündnisgrüne aufgestellt. Das finde ich sehr wichtig in einer Situation, wo die PDS wieder an die Macht kommt.
Heinlein: Ist denn, um zum Inhaltlichen zu kommen, der hintere Listenplatz für den Altlinken Ströbele auch ein Zeichen für einen inhaltlichen Wechsel bei Ihrer Partei, nach dem Motto, weg von der Gesinnungs- zur Verantwortungsethik? Schluz: Er hat keinen hinteren Listenplatz angestrebt. Ich hoffe nur, ich wünsche mir das sehr und ich werde versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass er dennoch mit Wahlkampf in Berlin macht. Möglicherweise ist dieser Wechsel eingetreten, denn Sie sagen. Aber er ist bereits in Rostock und davor passiert. Berlin hat eigentlich nur nochmals das bestätigt, was auf dem Rostocker Parteitag schon zu beobachten war.
Heinlein: Also linke Friedensrhetorik kommt bei der vielzitierten Basis jetzt nicht mehr an?
Schulz: Ich würde das nicht als Friedensrhetorik bezeichnen, weil das ernsthafte Auseinandersetzungen sind. All diese Argumente haben auch ihre Berechtigung. Aber es gibt in der Partei auch einen politischen Willen, die erreichten Positionen anzunehmen und nicht immer wieder in Frage zu stellen.
Heinlein: Herr Schulz, an diesem Wochenende hat Ihre Partei in Magdeburg inhaltlich viel Grundsätzliches beschlossen, etwa zur Globalisierung. Macht es Sie eigentlich nachdenklich, dass nun kaum jemand über diese Inhalte spricht, sondern es sich in der Öffentlichkeit fast ausschließlich um Ihre Person, Werner Schulz, und ab heute dann wohl um den möglichen Spitzenkandidaten Fischer dreht?
Schulz: Es ist einfach so in diesem eitlen politischen Betrieb, dass Inhalte über Personen vermittelt werden. Aber schauen Sie, meine Nominierung ist ja auch ein Inhalt. Man hat sich nicht für den Ex-Bürgerrechtler entschieden. Ich habe das in meiner Rede überhaupt nicht betont, ich muss meine Biografie nicht heraushängen, sondern der Berliner Landesverband hat sich für den wirtschaftspolitischen Sprecher entschieden, für den Zuständigen für den Aufbau Ost. Und das ist eine inhaltliche Priorität, die man dort erkennen kann.
Heinlein: Aber die Tatsache, dass Sie aus den neuen Ländern kommen, war sicherlich kein Defizit bei Ihrer Wahl.
Schulz: Bisher war das nicht gerade von Vorteil, und vielleicht ist das, was gerade passiert ist, ein Nachteilsausgleich.
Heinlein: Heute - ich sagte es bereits - wohl die Wahl Joschka Fischers zum Grünen Spitzenmann für die Bundestagswahl. Warum brauchen die Grünen überhaupt einen Spitzenkandidaten?
Schulz: Schauen Sie, ich habe das nicht zu entscheiden, das macht der Parteirat. Aber er wäre klug beraten, wenn er den Charakter unserer Partei, unseren Politikstil, unser Verständnis berücksichtigen und eher eine Doppelspitze aufstellen würde. Wir sollten hier vor allem auf unsere Glaubwürdigkeit achten. Wir können nicht in unserem Grundsatzprogramm den Aufbruch in eine geschlechtergerechte Gesellschaft verkünden und uns dann an den üblichen Ritualen, den üblichen Hahnenkämpfen beteiligen. Ich glaube, wir sollten vor allen Dingen keinen Grundwiderspruch produzieren, dass Joschka Fischer in Hessen auf Platz zwei der Landesliste steht und dann plötzlich vor allen anderen, vor 16 Frauen wäre. Er ist seit Jahren der beliebteste Politiker, der eine eigene Ausstrahlungskraft besitzt, und im Gespann mit Renate Künast liegen die Chancen und der Charme der Grünen. Sie bringt den neuen Schwung aus Berlin mit. Ich glaube, das wäre ein starkes Kraftgespann für den Wahlkampf, und da hätten wir beste Wahlaussichten.
Heinlein: Welche Impulse erwarten Sie denn von so einem Führungsduo Joschka Fischer und Renate Künast?
Schulz: Es sind im Grunde genommen die Impulse, die Ausstrahlung in der Gesellschaft. Die Grünen sind immer noch eine andere Partei an verschiedenen Stellen. Sie haben immer noch einen anderen Anspruch an gesellschaftliche Gestaltung, und dazu gehört z.B. dass Frauen in der Politik überall mit vertreten sind, dass auch feministische Momente und feministische Überlegungen in die Politik mit einfließen. Das ist für mich immer eine große Anziehungskraft der Bündnisgrünen gewesen. Und ich befürchte, dass wir auf solche Art und Weise, wenn wir uns an solchen Ritualen beteiligen, Stoiber gegen Schröder usw., ein bisschen an Anziehungskraft verlieren könnten.
Heinlein: Zum Schluss noch eine persönliche Frage. Fischer selbst war ja einer derjenigen, die 1998 Ihre Wahl an die Spitze der Fraktion hintertrieben haben. Nehmen Sie ihm das heute noch übel?
Schulz: Das wird so behauptet. Ich bin kein Mensch, der etwas nachträgt.
Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio
Schulz: Da gibt es nichts zu verdauen, weil sich Freude über längere Zeit halten sollte. Ich glaube, es kommt jetzt vor allen Dingen darauf an, aus diesem Sieg etwas zu machen, verantwortungsvoll damit umzugehen. Ich glaube, dass sehr viele Erwartungen an mich gerichtet sind. Das wird mir sehr viel Kraft abverlangen.
Heinlein: Was wollen Sie denn daraus machen? Im Osten dümpelt Ihre Partei im Schnitt bei 3 Prozent. Glauben Sie, dass Ihre Wahl für einen Aufschwung in den neuen Ländern ausreicht?
Schulz: Also eine einzelne Person wird sicher nicht den gesamten Osten in Schwung bringen und hochbringen können. Aber das ist wie beim Aufbau Ost selbst: man muss sich auf Wachstumspotentiale konzentrieren, und ich habe mich auf die Hochburg Berlin konzentriert. Ich glaube, dass wir über Berlin - dort fokussieren sich ja die Ost-West-Probleme, das ist die Werkstatt der Deutschen Einheit - diesen Aufschwung wieder in Gang bringen können.
Heinlein: Eine einzelne Person reicht nicht, sagen Sie. Sind denn die Grünen nach wie vor eine westdeutsche Milieupartei?
Schulz: Sie waren auf dem Weg dahin. Es bestand die Gefahr, davor habe ich gewarnt, und sie haben sich in Berlin gegen diese Tendenz gewandt, auch durch meine Nominierung. Sie haben sich als Bündnisgrüne aufgestellt. Das finde ich sehr wichtig in einer Situation, wo die PDS wieder an die Macht kommt.
Heinlein: Ist denn, um zum Inhaltlichen zu kommen, der hintere Listenplatz für den Altlinken Ströbele auch ein Zeichen für einen inhaltlichen Wechsel bei Ihrer Partei, nach dem Motto, weg von der Gesinnungs- zur Verantwortungsethik? Schluz: Er hat keinen hinteren Listenplatz angestrebt. Ich hoffe nur, ich wünsche mir das sehr und ich werde versuchen, ihn davon zu überzeugen, dass er dennoch mit Wahlkampf in Berlin macht. Möglicherweise ist dieser Wechsel eingetreten, denn Sie sagen. Aber er ist bereits in Rostock und davor passiert. Berlin hat eigentlich nur nochmals das bestätigt, was auf dem Rostocker Parteitag schon zu beobachten war.
Heinlein: Also linke Friedensrhetorik kommt bei der vielzitierten Basis jetzt nicht mehr an?
Schulz: Ich würde das nicht als Friedensrhetorik bezeichnen, weil das ernsthafte Auseinandersetzungen sind. All diese Argumente haben auch ihre Berechtigung. Aber es gibt in der Partei auch einen politischen Willen, die erreichten Positionen anzunehmen und nicht immer wieder in Frage zu stellen.
Heinlein: Herr Schulz, an diesem Wochenende hat Ihre Partei in Magdeburg inhaltlich viel Grundsätzliches beschlossen, etwa zur Globalisierung. Macht es Sie eigentlich nachdenklich, dass nun kaum jemand über diese Inhalte spricht, sondern es sich in der Öffentlichkeit fast ausschließlich um Ihre Person, Werner Schulz, und ab heute dann wohl um den möglichen Spitzenkandidaten Fischer dreht?
Schulz: Es ist einfach so in diesem eitlen politischen Betrieb, dass Inhalte über Personen vermittelt werden. Aber schauen Sie, meine Nominierung ist ja auch ein Inhalt. Man hat sich nicht für den Ex-Bürgerrechtler entschieden. Ich habe das in meiner Rede überhaupt nicht betont, ich muss meine Biografie nicht heraushängen, sondern der Berliner Landesverband hat sich für den wirtschaftspolitischen Sprecher entschieden, für den Zuständigen für den Aufbau Ost. Und das ist eine inhaltliche Priorität, die man dort erkennen kann.
Heinlein: Aber die Tatsache, dass Sie aus den neuen Ländern kommen, war sicherlich kein Defizit bei Ihrer Wahl.
Schulz: Bisher war das nicht gerade von Vorteil, und vielleicht ist das, was gerade passiert ist, ein Nachteilsausgleich.
Heinlein: Heute - ich sagte es bereits - wohl die Wahl Joschka Fischers zum Grünen Spitzenmann für die Bundestagswahl. Warum brauchen die Grünen überhaupt einen Spitzenkandidaten?
Schulz: Schauen Sie, ich habe das nicht zu entscheiden, das macht der Parteirat. Aber er wäre klug beraten, wenn er den Charakter unserer Partei, unseren Politikstil, unser Verständnis berücksichtigen und eher eine Doppelspitze aufstellen würde. Wir sollten hier vor allem auf unsere Glaubwürdigkeit achten. Wir können nicht in unserem Grundsatzprogramm den Aufbruch in eine geschlechtergerechte Gesellschaft verkünden und uns dann an den üblichen Ritualen, den üblichen Hahnenkämpfen beteiligen. Ich glaube, wir sollten vor allen Dingen keinen Grundwiderspruch produzieren, dass Joschka Fischer in Hessen auf Platz zwei der Landesliste steht und dann plötzlich vor allen anderen, vor 16 Frauen wäre. Er ist seit Jahren der beliebteste Politiker, der eine eigene Ausstrahlungskraft besitzt, und im Gespann mit Renate Künast liegen die Chancen und der Charme der Grünen. Sie bringt den neuen Schwung aus Berlin mit. Ich glaube, das wäre ein starkes Kraftgespann für den Wahlkampf, und da hätten wir beste Wahlaussichten.
Heinlein: Welche Impulse erwarten Sie denn von so einem Führungsduo Joschka Fischer und Renate Künast?
Schulz: Es sind im Grunde genommen die Impulse, die Ausstrahlung in der Gesellschaft. Die Grünen sind immer noch eine andere Partei an verschiedenen Stellen. Sie haben immer noch einen anderen Anspruch an gesellschaftliche Gestaltung, und dazu gehört z.B. dass Frauen in der Politik überall mit vertreten sind, dass auch feministische Momente und feministische Überlegungen in die Politik mit einfließen. Das ist für mich immer eine große Anziehungskraft der Bündnisgrünen gewesen. Und ich befürchte, dass wir auf solche Art und Weise, wenn wir uns an solchen Ritualen beteiligen, Stoiber gegen Schröder usw., ein bisschen an Anziehungskraft verlieren könnten.
Heinlein: Zum Schluss noch eine persönliche Frage. Fischer selbst war ja einer derjenigen, die 1998 Ihre Wahl an die Spitze der Fraktion hintertrieben haben. Nehmen Sie ihm das heute noch übel?
Schulz: Das wird so behauptet. Ich bin kein Mensch, der etwas nachträgt.
Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.
Link: Interview als RealAudio