Sonntag, 05. Mai 2024

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Kündigungen nicht ausgeschlossen

Michael Lentze, Ärztlicher Direktor des Bonner Universitätsklinikums, schließt Kündigungen infolge der Streiks an deutschen Kliniken nicht aus. An seiner Klinik belaufe sich der Verlust durch den Arbeitskampf der Ärzte und der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bereits auf rund 8,5 Millionen Euro. Bei rund 20 Millionen Euro sei eine Schmerzgrenze erreicht, bei der man über Kosteneinsparungen nachdenken müsse. Und der größte Posten seien die Personalkosten.

Moderation: Christine Heuer | 24.03.2006
    Christine Heuer: Die Forderungen der niedergelassenen Kassenärzte sind die eine Seite der Medaille. Die andere Seite das ist, wofür beziehungsweise wogegen die Klinikärzte streiken und auch was ihr Arbeitsausstand für die Krankenhäuser bedeutet. Betroffen vom Streit ist zum Beispiel das Universitätsklinikum Bonn, dessen Ärztlichen Direktor Michael Lentze ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Professor Lentze!

    Michael Lentze: Guten Morgen!

    Heuer: Die Streiks sorgen ja für Aufmerksamkeit; sie kosten aber auch viel Geld. Wie viel Geld hat denn die Uniklinik Bonn bisher verloren?

    Lentze: Wir gehen mal davon aus, dass wir etwa zehn Prozent weniger Patienten behandeln. Das ist eher noch optimistisch. Und wenn man das in Geld umrechnet, ist das ein täglicher Verlust von zirka 250.000 Euro. Wir sind jetzt in der siebten Woche. Das heißt, wenn man das hochrechnet, haben wir jetzt schon 8,5 Millionen Euro verloren.

    Heuer: Wie lange hält die Klinik das durch?

    Lentze: Nicht unbegrenzt. Wenn der Streik noch wochenlang oder monatelang dauert, ist sicher irgendwann eine Schmerzgrenze. Wir haben uns gedacht, etwa 20 Millionen ist sicherlich eine Grenze, wo man darüber nachdenken muss, was man weiter macht.

    Heuer: Was wollen Sie denn dann machen?

    Lentze: Die Kosten müssen ja dann irgendwann eingespart werden, und dann müssen wir uns an die Kosten halten, die wir haben. Wie in jedem Unternehmen ist der größte Posten die Personalkosten.

    Heuer: Das heißt?

    Lentze: Das heißt, wir müssen hier einsparen!

    Heuer: An wem genau? Am Pflegepersonal, an den Ärzten? Werden Leute gekündigt?

    Lentze: Durchgehend, das betrifft nicht nur eine Berufsgruppe.

    Heuer: Schließen Sie Kündigungen für Ärzte aus?

    Lentze: Im Moment haben wir keine Kündigungen vor. Was daraus wird, wenn der Streik noch wochen- oder monatelang dauert, ist nicht abzusehen.

    Heuer: Würde es dann nur um die Ärzte gehen, die tatsächlich streiken, oder trifft das tatsächlich die gesamte Belegschaft?

    Lentze: Nein, das betrifft immer die ganze Belegschaft. Wir haben ja zwei Streiks. Die Bediensteten streiken ja auch. Der ver.di-Streik ist ja nicht so, dass nur der Ärztestreik Geld kostet, sondern der ver.di-Streik ist ja noch dabei, und die beiden zusammen sind dann die Einbuße, die wir haben.

    Heuer: Sie sind selbst Arzt, Kinderarzt, um genau zu sagen. Sind Klinikärzte wirklich unterbezahlt? Sind Sie unterbezahlt?

    Lentze: Klinikärzte – das muss man glaube ich historisch sehen – sind deswegen jetzt unterbezahlt, weil es ja seit eineinhalb Jahren ein neues Arbeitszeitschutzgesetz gibt, was über den Europäischen Gerichtshof in Den Haag gekommen ist. Das heißt, Ärzte dürfen eigentlich gesetzlich in unserem Lande nicht länger als 48 Stunden pro Woche arbeiten. Früher haben die länger und mehr gearbeitet, haben dafür mehr Überstunden und Dienste bezahlt bekommen, und dieses Einkommen ist ihnen jetzt nicht mehr zugänglich. Das heißt, die gesetzliche Grundlage hat dazu geführt, dass die Ärzte weniger verdienen.

    Heuer: Und das finden Sie nicht in Ordnung?

    Lentze: Die gesetzliche Grundlage, dafür kann ich nichts. Das ist allgemeines Recht in der Europäischen Union. Damit muss man leben. Das war ja ein Gerichtsurteil, was sinnigerweise von einem deutschen Assistenten angestrengt wurde, was dazu geführt hat, dass die Ärzte jetzt viel weniger verdienen als früher.

    Heuer: Ulla Schmidt, die Gesundheitsministerin, hat jetzt signalisiert, sie fände eine moderate Gehaltserhöhung – so sagt sie – für Ärzte in Ordnung. Fänden Sie das auch richtig, Herr Lentze?

    Lentze: Ich denke, über Gehaltsforderungen kann man diskutieren. Allerdings das Streikziel, 30 Prozent mehr zu verlangen, ist jenseits dessen, was man zahlen kann, und ist im Vergleich zu anderen Streikenden, sagen wir mal die Metallarbeiter oder im Druckgewerbe oder auch im öffentlichen Dienst, wo es um Gehaltserhöhungen zwischen ein und drei Prozent geht, zehnmal so hoch. Und dafür hat niemand Verständnis.

    Heuer: Sie sind ja ein Praktiker. Wenn Sie sagen, 30 Prozent sind zu viel, was wäre denn dann machbar?

    Lentze: Das muss verhandelt werden. Ich denke mal – das ist meine persönliche Meinung -, das wird irgendwo bei fünf Prozent liegen, plus. Aber sehr viel mehr wird das nicht werden.

    Heuer: Die Klinikärzte streiken ja auch wegen der Arbeitsbelastung, die sie haben. Wir haben darüber schon kurz gesprochen. Herr Lentze. Wie viele Überstunden werden denn bei Ihnen in Bonn pro Woche ungefähr gemacht?

    Lentze: Die Überstundenzahl ist natürlich erheblich. Da aber nur 48 Stunden pro Woche bezahlt werden können, wird der Rest der Überstunden in Freizeit genommen. Davon haben die Ärzte aber kein Gehalt. Das Argument der Gewerkschaft für die Ärzte, also des Marburger Bundes, dass die Patienten ein Recht darauf haben, einen ausgeschlafenen Arzt zu haben, ist insofern etwas unverständlich, weil ein Arzt, der 36 Stunden gearbeitet hat, deswegen nicht wacher wird, weil er besser bezahlt wird.

    Heuer: Aber er wird vielleicht wacher, wenn er ein bisschen mehr Zeit hat, auch zwischendurch mal zu schlafen. Viele Ärzte sagen ja, ein ganz großer Teil ihrer Arbeitszeit geht drauf für Verwaltungsarbeit. Kann man da nicht ein schlankeres Krankenhaus organisieren?

    Lentze: Die Zunahme der Verwaltungsarbeit ist uns ja durch das neue Gesundheitsgesetz beschert worden. Das hat sich ja insofern geändert, als das Geld dadurch von den Ärzten erarbeitet wird, dadurch dass sie verschlüsseln müssen. Die Verschlüsselung einer Krankheit, also die Diagnosestellung, ist eine ärztliche Aufgabe. Das kann man nicht an die Verwaltung delegieren. Dadurch ist die Arbeit etwas mehr geworden. Das ist aber Folge des neuen Gesundheitsstrukturgesetzes.

    Heuer: Und dann müsste das Gesetz geändert werden, damit die Ärzte entlastet werden?

    Lentze: Ja. An dieser Schraube muss man, glaube ich, etwas drehen, damit die Verwaltungsarbeit für die Ärzte etwas besser wird. Derzeit bleibt aber keine andere Möglichkeit, weil eine Diagnose zu stellen ist eine ärztliche Tätigkeit und natürlich auch die Verschlüsselung dieser Diagnose.

    Heuer: Herr Lentze, die Ärzte streiken. Das Pflegepersonal wird aber viel schlechter bezahlt. Sind Schwestern und Pfleger ein bisschen sauer auf die Ärzte an Ihrer Klinik?

    Lentze: Ich persönlich war schon immer der Meinung, dass der Berufsstand des Pflegepersonals zu schlecht bezahlt wird in unserem Land, denn die Schwestern müssen ständig zu ungünstigen Zeiten an Wochenenden und in der Nacht arbeiten und werden im Vergleich zu anderen Tarifgruppen, glaube ich, etwas unterbezahlt. Die hätten, glaube ich auch, ein Anrecht darauf, etwas mehr zu verdienen.

    Heuer: Und sind sauer?

    Lentze: Ich denke mal, ja. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da großes Verständnis für eine 30-prozentige Gehaltssteigerung ist.

    Heuer: Michael Lentze, der Ärztliche Direktor des Bonner Universitätsklinikums. Herr Lentze, danke für das Gespräch.

    Lentze: Bitte sehr. Auf Wiederhören.