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Künftige Chemikalienpolitik der EU

"Gut gemeint, aber schlecht gemacht." Vom neuen Chemikalienrecht der EU erwartet der Deutsche Industrie- und Handelskammertag in erster Linie Wettbewerbsnachteile. "Reach" heißt die Abkürzung für dieses dickleibige Werk, und die verschiedenen EU-Gremien müssen darüber noch abstimmen. Es geht um Informationen und Sicherheitsbewertungen für alle chemischen Stoffe. Und das ist nicht nur für Produzenten und Importeure wichtig, sondern auch für Unternehmen, die diese Stoffe verarbeiten. Ein Problem vor allem für kleine und mittelständische Firmen, befürchtet der Industrie- und Handelskammertag. Anders als die Großen können sie nicht einfach ins außereuropäische Ausland abwandern. Im Berliner Umweltbundesamt diskutieren Fachleute heute über das neue Chemikalienrecht.

Von Dieter Nürnberger | 01.09.2004
    Das Hauptaugenmerk bei dieser Veranstaltung des Umweltbundesamtes liegt bei der Analyse der Kosten und natürlich beim Nutzen einer neuen EU-Chemikalienpolitik. Der Name Reach steht ja als Abkürzung für Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien. Und dabei geht es um rund 30.000 verschiedene Stoffe und Substanzen, die da überprüft werden sollen. Andreas Troge, der Präsident des Umweltbundesamtes sieht zuallererst auf Verbraucherseite einen großen Nutzen, denn der Alltag der Bürger sei durch Chemikalien bestimmt. Ein paar Beispiele:

    Stichworte sind hier Freisetzungen aus Baumaterialen, Farben oder Lacken. Aber es sind auch Themen, die neu aufkommen und allein die Umwelt betreffen, nachdem sie hoffentlich die Gesundheit verbessert haben. Ich meine Arzneimittelrückstände - beispielsweise in Grund- und Oberflächengewässern. Und ich meine auch hormonell wirkende Substanzen, die sich in Alltagsprodukten finden - etwa in Kunststoffen oder Kosmetika.

    Der Entwurf der EU-Kommission liegt seit Oktober 2003 auf dem Tisch. Und die Diskussion ist damit natürlich noch lange nicht beendet. Die Chemieindustrie befürchtet ja gravierende Wettbewerbsnachteile gegenüber der Konkurrenz in aller Welt - bisher mussten ja die Behörden nachweisen, dass bestimmte Stoffe bedenklich sind, mit der neuen Chemikalienrichtlinie dreht sich dies um, Hersteller und Importeure müssen dann den Beweis der Unbedenklichkeit antreten. Die Industrie befürchtet vor allem eine recht teure bürokratische Handhabung der Richtlinie. Wilfried Mahlmann vom Umweltministerium in Berlin sieht hier aber auch noch Möglichkeiten zur Vereinfachung des Verfahrens:

    Wir möchten die Vorgabe "ein Stoff, ein Dossier". Das bereitet Schwierigkeiten, weil eben die Situation der Wettbewerber am Markt sehr unterschiedlich sein kann. Jetzt haben aber die Engländer, unterstützt von den Ungarn, einen recht ausgereiften Vorschlag vorgelegt. Der sieht eine gewisse Flexibilität vor, aber auch die Möglichkeit, dass man bei den Prüfdaten gemeinsam vorlegen muss. Keine unnötigen Prüfversuche also, sondern nur einen. Firmensensible Daten aber, wie beispielsweise die Tonnage, sollen vertraulich gehandhabt werden.

    Auch die Umwelt- und Verbraucherschützer, so hieß es heute Vormittag in Berlin, wollten selbstverständlich auch weiterhin eine wettbewerbsfähige Chemieindustrie in Europa. Andreas Ahrens vom Ökopol Institut in Hamburg geht davon aus, dass es beides geben wird - nämlich Gewinner und Verlierer. Der Wettbewerb als Ganzes werde aber gestärkt, sagt er:

    Dass nämlich eine robustere Datenlage über die Stoffe, die auf dem Markt sind, geschaffen wird. Und dadurch kann "Reach" dazu beitragen, dass Wettbewerbsverzerrungen vermindert werden. Und vor allem, dass überraschende Schadensfälle vermindert werden. Die Stoffe werden berechenbarer und auch vergleichbarer. Und eine Nichtverfügbarkeit von Stoffinformationen kann dann auch nicht mehr als Wettbewerbsvorteil genutzt werden. Hier gibt es weiterhin offene Fragen, vor allem darüber, welche Mindestdaten für jeden Stoff verfügbar sein müssen.

    Ähnlich Umweltbundesamts-Präsident Andreas Troge, er sagt, dass vor allem jene Nachteile durch "Reach" haben werden, die sich bislang kaum um Sicherheitsaspekte ihrer Stoffe oder Produkte gekümmert haben. Rund ein Prozent des Umsatzes der europäischen Chemieindustrie würde die Anwendung von "Reach" allgemein kosten. Langfristig hofft Troge aber, dass die Chemierichtlinie weltweit eine Art Prädikatszeichen werden wird:

    Ich bin der Auffassung, dass der Hinweis "Reach-geprüft" einen Wettbewerbsvorteil bedeuten wird. Und ich sage dies vor dem Hintergrund, dass die Europäische Union ja nun wahrlich kein Zwergstaat ist. Sondern ein riesiger Binnenmarkt, der auch weltweit Maßstäbe setzt.

    Der Diskussionsprozess wird also, trotz schon jahrelanger Vorbereitungen, weitergehen. In den europäischen Gremien vor allem und man erwartet, dass das neue Recht frühestens 2006 verabschiedet werden wird. Dann natürlich noch mit Übergangsfristen - aber am Ende, dann wohl im kommenden Jahrzehnt, soll auf jeden Fall mehr Sicherheit für die Verbraucher stehen.