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Künftiger AOK-Bundesvorsitzender: Gesundheitsfonds löst keine Probleme

Herbert Reichelt, ab Januar Vorsitzender des AOK-Bundesverbandes, bekräftigt die Kritik der Kassen am Gesundheitsfonds. Er löse keine Probleme der Gesundheitsversorgung. Die Reform des Risikostrukturausgleichs, die ebenfalls im Januar in Kraft tritt, begrüßt Reichelt dagegen ausdrücklich. Der Ausgleich sieht Mehrzahlungen aus dem Fonds an Kassen vor, die mehr chronisch Kranke und Risikopatienten betreuen.

Herbert Reichekt im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: In drei Tagen wird der Gesundheitsfonds als eine der zentralen Reformmaßnahmen der Großen Koalition eingeführt. Es gibt viele Kritiker an diesem Gesundheitsfonds. Die Kritiker sind ganz klar in der Mehrheit, auch bei den Allgemeinen Ortskrankenkassen. Herbert Reichelt wird zum 01. Januar der Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes sein und ihn habe ich gefragt, ob er zu den Befürwortern des Fonds zählt.

    Herbert Reichelt: Eindeutig nein, Herr Meurer. Auch die AOK hat die Einführung des Gesundheitsfonds stets kritisch gesehen und wir haben das auch immer so kommentiert, und wir bleiben auch heute bei dieser Einschätzung. Der Fonds löst aus unserer Sicht keine Probleme unserer Gesundheitsversorgung.

    Meurer: Wie werden sich denn die Beiträge bei der AOK jetzt verändern?

    Reichelt: Wir werden sicherlich etwas besser dastehen, als wir das in der Vergangenheit getan haben, aber da ist mir ganz wichtig, auf eines hinzuweisen. Wenn wir den Gesundheitsfonds kritisieren, kritisieren wir natürlich keineswegs die Verbesserung im so genannten Risikostrukturausgleich. Das muss man sehr deutlich unterscheiden. Ich glaube, was ganz wichtig ist: beide Veränderungen treten jetzt zum 01. Januar 2009 in Kraft und es wird zuweilen der Eindruck erweckt, dass auch beides nur zusammen hätte eingeführt werden können. Das ist aber nicht der Fall. Die ausgesprochen sinnvolle Verbesserung des Risikoausgleichs und diese längst überfällige Reform, die hätte man auch ohne Gesundheitsfonds schaffen können.

    Meurer: Aber Fakt ist, dass es eben jetzt mit dem Gesundheitsfonds kommt, und das müsste doch eigentlich bei der AOK, die bisher tendenziell Mitglieder hat, die älter sind, weniger gut verdienen, kranker sind als bei anderen Versicherungen, helle Freude auslösen.

    Reichelt: Das führt zu einer Verbesserung bei uns. Wir müssen in der Tat feststellen – Sie haben es schon richtig gesagt -, der neue Risikoausgleich beinhaltet eine deutlich genauere Berücksichtigung des Krankheitsrisikos, als das bislang der Fall war. Das bedeutet natürlich, dass zukünftig das Geld in stärkerem Maße einfach dort hingelenkt wird, wo es für die Versorgung von Kranken benötigt wird. Das bedeutet natürlich auch: diejenigen Krankenkassen, die auch in der Vergangenheit schon immer für die medizinische Versorgung ihrer Versicherten mehr tun mussten, wie eben die AOK, weil sie mehr Ältere, mehr chronisch Kranke versichert hatten, diese Krankenkassen erhalten in Zukunft auch mehr Mittel für diese Versorgung aus dem Fonds.

    Meurer: Der Fonds wird ja angesiedelt sein beim Bundesversicherungsamt, und da heißt es jetzt, Dank des Fonds und des Risikostrukturausgleichs wird es keinen Wettlauf der Krankenkassen mehr um die Gesunden geben, sondern eher einen Wettlauf um die Kranken. Wird das so sein?

    Reichelt: Den ersten Teil dieses Satzes kann ich unterstreichen, den zweiten eigentlich nicht. Es wird selbstverständlich nach wie vor so sein – und daran ändert kein Risikoausgleich der Welt etwas -, dass das allerbeste Risiko natürlich immer noch jemand ist, der kerngesund ist. Das ändert sich auch niemals. Was nur ganz wichtig ist, ist: mit dem verbesserten Risikoausgleich wird der Anreiz, seine Energie darauf zu lenken, jetzt solche Versicherte anzuwerben, herauszufiltern, natürlich deutlich gedämpft. Das ist ganz, ganz wichtig, weil das sorgt in der Tat dafür, dass die Anreize bei allen Krankenkassen verschoben werden. Sie werden so verschoben, dass sich eben alle Krankenkassen jetzt verstärkt um eine qualitativ gute Versorgung auch der kranken Menschen kümmern müssen.

    Meurer: Das sind doch rundum alles gute Nachrichten, kein Wettbewerb mehr um die Gesunden, aber eben doch: die Kassen werden mehr tun für die Kranken?

    Reichelt: Das ist eigentlich die Konsequenz, aber noch mal - ich betone es immer wieder gerne -, nicht weil wir den Gesundheitsfonds haben, sondern weil wir einen deutlich verbesserten Risikoausgleich haben, und dieser Risikoausgleich ist wirklich – man muss das einfach so sehen – ein konstitutives Element dieser gesamten Ordnung. Wenn Sie erlauben, würde ich an der Stelle gerne noch mal ein paar grundsätzliche Sätze zur Funktionsweise dieses Ausgleichs sagen, denn da gibt es ja häufig Missverständnisse, das seien so Transferleistungen zwischen den Krankenkassen. Das ist ganz und gar nicht der Fall. Ich will es mal so sagen: Bei privaten Krankenkassen werden Sie, wenn Sie dort in die Versicherung eintreten, entsprechend Ihres persönlichen Krankheitsrisikos eingestuft.

    Meurer: Und bekommen je nachdem einen Aufschlag, wenn sie bestimmte Vorkrankheiten haben..

    Reichelt: Genau so ist es. Sie bekommen eben einen höheren Beitrag oder einen niedrigeren, je nach Krankheitsrisiko. – In der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine solche Vorgehensweise aus ganz grundlegenden sozialen Erwägungen ausgeschlossen. Die Beiträge sollen solidarisch aufgebracht werden, eben proportional zum Einkommen, sozusagen jeder nach seiner Leistungsfähigkeit.

    Meurer: Aber sie, die AOK, werden doch vom Fonds mehr Geld für jemanden bekommen, der bestimmte Krankheiten aufweist?

    Reichelt: Genau so ist es und das ist genau die Geschichte. Schon in der Vergangenheit war es dann so, dass eigentlich die Zuweisungen bei den Krankenkassen so ankommen sollten, dass natürlich die Morbidität, also das Krankheitsrisiko, berücksichtigt werden sollte. Nur in der Vergangenheit war das halt so, dass das ausschließlich oder fast ausschließlich nach Alter und Geschlecht war, und das ist natürlich ein sehr ungenauer Indikator, denn nicht alle 60jährigen sind gleich krank. Das ist, glaube ich, selbstredend. Aber jetzt werden eben auch das tatsächliche Krankheitsgeschehen berücksichtigt. Das führt zu Genauigkeit in diesen Zuweisungen und damit wird in der Tat erreicht, dass diejenigen, die sehr viele chronisch Kranke beispielsweise versichert haben, natürlich höhere Zuweisungen aus dem Fonds bekommen als vorher.

    Meurer: Noch mal zu dem Beitragssatz. 15,5 Prozent gelten ab dem 01. Januar einheitlich als Beitragssatz. Bedeutet das bei der AOK auf breiter Front Beitragssenkungen?

    Reichelt: Nein. Das bedeutet auch bei der AOK nicht auf breiter Front Beitragssenkungen, denn wir haben insgesamt natürlich eine deutliche Steigerung des allgemeinen Beitragssatzes in der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahre 2009. Das hängt übrigens – und auch da, muss ich sagen, darf man keinen Missverständnissen Vorschub leisten – nicht mit der Einführung des Gesundheitsfonds zusammen, sondern hängt damit zusammen, dass wir in vielen Bereichen doch deutliche Ausgabensteigerungen haben werden. Hier werden allein durch die Reform der ärztlichen Vergütung etwa 2,7 Milliarden Euro mehr in die niedergelassenen Praxen gelenkt. Das ist politisch so gewollt und man muss sagen, das muss ja irgendwo auch aufgebracht werden.

    Meurer: Alle gesetzlichen Kassen insgesamt haben 2009 11 Milliarden Euro mehr als 2008. 11 Milliarden Euro mehr, reicht das nicht?

    Reichelt: Nein, das reicht tatsächlich nicht. Wir sind mittlerweile ja ein wenig daran gewöhnt worden, mit großen Milliardenbeträgen umgehen zu müssen, auch aus anderen Bereichen, aber es ist tatsächlich so, dass die Ausgabensteigerungen wahrscheinlich noch ein Stück darüber liegen. Wir kalkulieren im Moment, dass dieser Beitragssatz von 15,5 Prozent nicht ganz ausreichen wird. Uns werden zwischen 700 Millionen und einer Milliarde etwa fehlen.

    Meurer: Wie werden sie das decken oder ausgleichen?

    Reichelt: Das hängt natürlich davon ab, wie die einzelnen Krankenkassen betroffen sind. Für die AOK denke ich, da wir tatsächlich höhere Zuweisungen aus dem Risikoausgleich nun erhalten werden, höhere Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds bekommen, kann ich eigentlich für das Jahr 2009 sagen, dass wir wahrscheinlich damit auskommen werden. Andere Krankenkassen werden damit die eine oder andere Schwierigkeit bekommen und dann tritt das ein, was der Gesetzgeber ja gewollt hat, dass dann möglicherweise auch Zusatzbeiträge von einzelnen Krankenkassen erhoben werden müssen.

    Meurer: Die FDP will den Gesundheitsfonds abschaffen, wenn sie nach der Bundestagswahl 2009 zusammen eine Koalition mit der Union bildet. Steht die Abschaffung des Fonds schon auf Ihrem Weihnachtswunschzettel 2009?

    Reichelt: Das ist so: Ich habe ja anfangs gesagt, wir haben den gesamten Prozess der Einführung des Fonds ausgesprochen kritisch begleitet und auch kommentiert. Aber jetzt ist die Situation so: die Politik hat ihn gegen viele kritische Stimmen gewollt und letztendlich durch- und umgesetzt. Darüber jetzt nachträglich zu lamentieren, hilft nicht. Wir Krankenkassen müssen im Moment das beste daraus machen. Die AOK wird das zum Nutzen ihrer Versicherten auch tun. Ich kann mir ehrlich gesagt nicht vorstellen, dass man ein solches Instrument, das ja nun wirklich mit gehörigem Aufwand eingeführt wird, einführt und schon nach zwei Jahren wieder abschaffen kann. Das wird mit großer Sicherheit nicht passieren. Also ich glaube, uns ist jetzt auf die Fahnen geschrieben, wir müssen aus dem Fonds eben das beste machen, und die AOK wird das auch tun.

    Meurer: Der künftige Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes Herbert Reichelt bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Danke schön und auf Wiederhören!

    Reichelt: Auf Wiederhören.