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Küng: Toleranzdefizite in beiden Religionen

Angesichts des fünften Jahrestages der Anschläge auf das World Trade Center in New York hat der Theologe Hans Küng dem Islam und dem Christentum Toleranzdefizite vorgeworfen. Trotzdem könnten die Religionen auch Teil der Lösung des Konflikts sein. Dabei sollten die Religionen vor allem zur Besinnung rufen, sagte Küng.

Moderation: Klaus Remme | 11.09.2006
    Klaus Remme: Papst Benedikt XVI. setzt heute seinen Besuch in Bayern fort. Das minuziös geplante Programm führt ihn heute nach Altötting und zu seinem Geburtsort Marktl am Inn. In seiner gestrigen Predigt thematisierte der Papst das Verhältnis der Religionen zueinander und den Platz der Religion in einer säkularisierten Welt, eine durchaus politische Predigt einen Tag vor dem heutigen Jahrestag des 11. September. Nach dem Terror in New York zeigten sich tiefe Risse zwischen der arabischen und der westlichen Welt. Nicht nur in den USA steht allzu oft der Islam am Pranger und viele warnen vor falscher Toleranz. - Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem katholischen Theologen Hans Küng. Seine Stiftung Weltethos beschäftigt sich mit eben diesem Dialog zwischen den Religionen und sein Buch "Der Islam" ist vor zwei Jahren erschienen. Guten Morgen Herr Küng!

    Hans Küng: Guten Morgen Herr Remme!

    Remme: Herr Küng, alle wissen wo sie waren, als die Flugzeuge ins World Trade Center einschlugen. Wie haben Sie den 11. September erlebt?

    Küng: Ich war unmittelbar vorher in Katar am Golf in einer kleinen Gruppe von Kofi Annan zusammengerufen, um über das neue Paradigma von Weltpolitik zu diskutieren. Ich saß hier am Schreibtisch, wo ich jetzt sitze, und mir wurde das reingerufen, ich solle das Fernsehen einschalten. Ich habe noch gesehen, wie das zweite Flugzeug in das World Trade Center stürzte, eine wahnsinnige Katastrophe.

    Remme: Haben Sie die Auswirkungen dieser Anschläge für die kommenden Jahre sofort begriffen?

    Küng: Nein. Ich habe vor allem nicht gedacht, dass man auf so kontraproduktive Weise von Amerika reagieren würde, denn man hätte das ja auch ganz anders auffassen können. Man hätte Ursachen erforschen können. Man hätte ein Umdenken einleiten können. Man hat ja damals nicht irgendein christliches Zentrum angegriffen, sondern die Zentren der amerikanischen wirtschaftlichen Macht in New York und der militärischen Macht. Man hätte nicht einfach militärisch reagieren können, dürfen. Ich habe nicht erwartet, dass Bush einen Krieg ausruft.

    Remme: Seit dem Tag sieht sich aber nun einmal der amerikanische Präsident und sein Land im Kriegszustand, zunächst in Afghanistan, dann im Irak. Sie sehen diese Supermacht USA also auf falschem Weg?

    Küng: Ich sehe sie auf ganz falschem Weg und es ist ja langsam auch in Amerika deutlich geworden, dass viele dieser Gründe gar nicht wahr waren. Ich meine man hätte in Afghanistan schon eine andere Strategie einleiten können. Man hätte das als Geheimdienstaktion machen können. Man hätte jedenfalls nicht mit Flugzeugverbänden, Flottengeschwadern ein terroristisches Netzwerk bekämpfen können. Aber vor allem natürlich der Irak-Krieg, da sind ja unterdessen zwei Dinge deutlich geworden. Der Irak besaß keine Massenvernichtungswaffen und arbeitete nicht an Atomwaffen. Das zweite: Eine reine Erfindung ebenfalls die Zusammenarbeit von Saddam Hussein mit El-Kaida. Das haben jetzt langsam auch die Amerikaner begriffen und sogar im amerikanischen Kongress ist die Einsicht nun durch und sogar öffentlich publiziert worden.

    Remme: Herr Küng, George Bush ist nach eigenem Bekunden ein zutiefst religiöser Mensch. Er wird von einer einflussreichen religiösen Rechten unterstützt, so wie die Religion in den Vereinigten Staaten insgesamt eine eminent wichtige Rolle spielt. Handelt es sich hier vielleicht doch um einen Konflikt zwischen Christentum und Islam?

    Küng: Nein, das ist kein Konflikt einfach zwischen Christentum und Islam. Es ist übrigens auch richtig, dass einerseits die protestantischen Fundamentalisten mitgeholfen haben, aber auch sehr viele jüdische Intellektuelle, diese Neokons, die verantwortlich waren für diese Strategie. Man hat ja geradezu diese Strategie entworfen, schon 1993 zum ersten Mal ein Dokument veröffentlicht, man müsste ein neues, imperialistisches, geopolitisches Gesamtkalkül entwickeln. Das war vor allem ein Kalkül, um das militärische Gewicht einzusetzen, um die Oberherrschaft im Mittleren Osten zu gewinnen und über die Ölquellen.

    Remme: Gestern hat Papst Benedikt XVI. zur Toleranz gegenüber anderen Religionen aufgerufen. Sehen Sie aber nicht doch eher das Toleranzdefizit beim Islam als beim Christentum?

    Küng: Jede dieser beiden Religionen hat ein Toleranzdefizit. Wenn man das von muslimischer Seite her betrachtet, dann sieht man, dass nun mehrere islamische Länder überfallen worden sind, Afghanistan, Irak. Dann das Zentralproblem natürlich, das Palästinenser-Problem, dass man seit Jahrzehnten einen Palästinenser-Staat verhindert, dass es nun auch sehr viele andere Maßnahmen des Westens gegen den Islam gibt. Also das kommt auf den Blickwinkel an.

    Remme: Können vielleicht, wenn Sie sagen, dass die Religionen nicht Teil des Problems sind, die Religionen Teil der Lösung sein?

    Küng: Die Religionen sind natürlich zum Teil ein Teil des Problems, aber sie können tatsächlich auch ein Teil der Lösung sein. Ich komme gerade von der Weltkonferenz für Religion für den Frieden in Kyoto. Da trat immerhin der Chief-Rabbi von Israel auf und der oberste Richter der Palästinenser. Die Religionen müssen vor allem mal zur Besinnung rufen, denn das ist es ja was im Grunde fehlt, ein Umdenken. Man müsste auf die Ursachen gehen, woher kommt das eigentlich, warum hassen sie uns in Amerika? Das hat ja ganz bestimmte Gründe. Und man müsste natürlich vor allem die Politik umsteuern. Wir zäumen zurzeit die Politik, das Pferd vom Schwanz her auf. Wir versuchen alle möglichen Lösungen im Nahen Osten und sehen nicht, dass die Lösung nur möglich ist durch eine grundlegende Lösung des Palästinenser-Problems. Da ist der Staat Israel gefordert. Mit diesem Überfall auf den Libanon ist die Sache nur noch schlimmer geworden. Aber vielleicht setzt jetzt auch in Israel die Besinnung ein, dass das alles der falsche Weg war.

    Remme: Kein Friede zwischen den Nationen ohne Frieden zwischen den Religionen. So lautet eine Regel Ihrer Stiftung Weltethos. Ist dieser Frieden zwischen den Religionen zurzeit gegeben?

    Küng: Ich würde sagen wenn es nur auf die Religion ankäme - und ich weiß, dass der Papst Benedikt ähnlich denkt -, wäre ein Dialog ja durchaus möglich. Aber das schlimme ist dies, dass die Politik ständig die Religion instrumentalisiert für die eigenen Zwecke.

    Remme: George Bush hat erst kürzlich wieder von islamischen Faschisten gesprochen, dies im Zusammenhang mit Terroranschlägen, die in London geplant waren und dann aufgeflogen sind. Ist die Verbindung dieser beiden Begriffe für Sie nachvollziehbar?

    Küng: Das ist alles eine dröhnende Politrhetorik, die die falsche Politik von Bush verschleiern soll. Jetzt tut man so, wie wenn es da eine Front gäbe gegen die Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten waren ja lange Zeit doch auch in Arabien durchaus beliebt. Also das ist der falsche Begriff und soll nur wieder als ein Drohwort gebraucht werden, um diese wahnsinnige Politik, Militärpolitik der Bush-Administration zu rechtfertigen.