Samstag, 20. April 2024

Archiv

Künstler Diango Hernández
Rauschen von Volkes Meinung

Im Museum Morsbroich in Leverkusen ist ab Sonntag die erste große Einzelausstellung des in Kuba geborenen Künstlers Diango Hernández in Deutschland zu sehen. Eine Ausstellung, die praktisch aus Sand, Muscheln und Wellenformen in heiteren Pastelltönen gebaut und gemalt ist. Und "Theoretical Beach" – theoretischer Strand heißt.

Von Peter Backof | 20.05.2016
    Das Werk "The boat" des Künstlers Diango Hernández, zu sehen in der Ausstellung Theoretical Beach
    Das Werk "The boat" des Künstlers Diango Hernández, zu sehen in der Ausstellung Theoretical Beach. (Museum Morsbroich / Anne Pöhlmann)
    Unter dem Pflaster, das schrieben Studierende auf Transparente in Paris 1968, unter dem Pflaster:
    "Ist der Strand! Ja, so sagt man. Und auf Kuba heißt es: Wenn der Strand nicht zu uns kommt, gehen wir halt an den Strand!"
    Maritime Metaphorik zwischen Redensart und politischer Idee. Naheliegend, dass in einem Inselstaat wie Kuba der Strand, die Weite des Meers und das Boot mit besonderer Bedeutung aufgeladen sind.
    "Granma, so heißt ja die offizielle Parteizeitung, die benannt ist nach dem Boot, auf dem Fidel und seine Mitstreiter anlangten, damals in den Fünfzigern."
    Originale und längst vergilbte Titelseiten von El Granma mit dem Konterfei von Fidel Castro: Ein Zugang zum theoretischen Strand von Diango Hernández. Der Künstler mit Vollbart und modischem Dutt, äußerlich dem Maximo Lider in jungen Jahren gar nicht so unähnlich, hat die Zeitungsseiten mit roten und blauen Wellen übermalt. Um die Parteitexte als Blabla-Rhetorik hinzustellen? Nein, es ist komplexer gemeint und gemacht.
    "Ich habe, hier daneben, Reden von Fidel analysiert. Welche Wörter benutzte er am häufigsten? Attacke, Angriff, 49 Mal wiederholt, nach meiner Zählung, Der Plan: 46 Mal."
    Sinuswellen als akustisches Bild
    Und die Wörter Angriff, Plan, Sturm und viele andere hat er verschlüsselt. Zu roten und blauen, sehr regelmäßigen Sinuswellenkurven. Mit denen sind fast alle Werke in der Ausstellung und auch die Wände – auf den ersten Blick dekorativ – bepinselt. Die Wellen haben verschiedene Längen: Exakt so viele Sinuswellenbäuche wie die Wörter Silben haben.
    "Sinuswellen auch als akustisches Bild. Ich abstrahiere Wörter zum Klang, zum Lärm, den wir im Wortsinn nicht mehr verstehen."
    Verklausulierte Botschaften? Es geht nicht darum, zu dechiffrieren, für was die Wellen semantisch genau stehen, sondern zwischen den gemalten Zeilen um Zensur als Thema. So wie man das Rot und das Blau wiedererkennt, als Rahmen eines originalen Auslandsbriefkuverts seiner Familie. Mitte der Neunziger Jahre. Krisenzeit auf Kuba. Vielleicht wurde dieser Brief ja wirklich von jemandem überprüft? Zensur, was heißt das denn praktisch?
    "Das Internet, die Kommunikation, die Medien auf Kuba? Immer noch eingeschränkt. Gut, das öffnet sich jetzt so allmählich, ist aber nach wie vor großes Thema. Du hast kein Facebook! Soziales Netzwerken, das funktioniert da nicht, auch schon alleine technisch nicht."
    Humor und Lebensfreude
    Ausgesprochen regimekritisch will man Diango Hernández aber trotzdem nicht nennen. Es gibt Aspekte des Realsozialismus, mit denen er sympathisiert: Historische Straßenzüge in Havanna ohne ein einziges Werbeplakat. Eine befreiende Aussicht, auch schön von Europa aus gesehen. Realsozialismus, vielleicht geht das ja doch? Zumindest, sagt er, sei das Auseinanderklaffen von Plan und Wirklichkeit auf Kuba ein anderes als zum Beispiel in der ehemaligen DDR.
    Zurück an den Strand: In einem Saal im Museum Morsbroich sind mit Eisengestänge in 3D Luftverwirbelungen eines Hurrikans nachgebildet. Der Sturm, der alles verändert, noch so eine Metapher aus dem Repertoire Fidel Castros. Bei Diango Hernández ist das natürlich auch ein "Wind of Change". Man hört – theoretisch - Klaus Meine von den Scorpions pfeifen. Ist das naiv, an Kräfte des Guten zu glauben, an allmählichen Wandel, der ohne radikalen Umsturz auskommt? Für Diango Hernández nicht:
    "Politische Ideen haben ja immer so einen theoretischen Ernst. Masterpläne. Wie hohle Muscheln, die ich am Strand sammle und hier ausstelle. Man muss sie füllen, die Leute müssen sie selber füllen, warum nicht einfach auch mit Humor und Lebensfreude? Dann verändert sich die Gesellschaft."
    Humor also. Wenn man aus dem theoretischen Strand in Morsbroich wieder herauskommt, läuft man über den Schlosshof auf die Rückseite des Titeltransparents der Schau zu. Dort steht: Venceremos! Wir werden siegen! Als letzter Abgesang auf die Kampfrhetorik von früher.