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Künstler-Roman
Jörg Immendorff in herrischer Geste

Gut acht Jahre nach dem Tod des Düsseldorfer Malers Jörg Immendorff erscheint der erste Roman über ihn. In "Waghalsiger Versuch, in der Luft zu kleben" von Immendorff-Freund Tilman Spengler verschwimmen Realität und Fiktion. Das Thema seines Buches, so der Autor, sei Malerei und die Darstellung nach Innen und nach Außen.

Von Sandra Hoffmann | 09.08.2016
    Der Künstler Jörg Immendorff schaut am Donnerstag (17.11.2005) bei der Vorstellung der Restaurant-Kette "Monkey's" in Düsseldorf in Richtung seiner Skulptur, die den Künstler Josef Beuys mit Affen an der Hand zeigt.
    Der Düsseldorfer Künstler Jörg Immendorff im Jahre 2005. (picture alliance / dpa - Roland Weihrauch)
    "Die ganzen Malerfürsten der damaligen Jahre, wer es auch immer war, pflegte ja so ein Image des Raubeinigen, Rausgekotzten irgendwie, falscher Bert Brecht Verschnitt, 20er-Jahre, wenn Sie so wollen, heftiger Ledermantel, meistens einen in der Birne und den letzten Schuss noch zitternd in irgendeinem anderen Körperteil, und genauso gehörte dazu die mythische Teilnahme an Boxkämpfen oder das ekelhafte Behandeln von Frauen. Das ist aber sozusagen alles Teil der Inszenierung, und ich beschreibe die Inszenierung, ob Immendorff dann in seinem Privatverhältnis zu seiner Frau oder zu seinen Frauen – ob es da zärtlicher zuging, ob es da weniger rotzig zuging, da fang ich erst gar nicht an nachzufragen, weil so nah wollte ich mich da gar nicht hineinmischen. Sondern da ging’s mir schon eher darum zu zeigen: Hier ist die Inszenierung des starken deutschen Mannes."
    Deshalb wird einem Jörg Immendorf, um es gleich zu sagen, in Tilman Spenglers sogenanntem Roman, "Waghalsiger Versuch in der Luft zu kleben", nicht besonders sympathisch. Aber darum soll es auch nicht gehen. Erleben wir Leser einen Menschen in diesem Buch, jemanden aus Fleisch und Blut, einen, dem es um etwas geht, kann man fragen, und sofort sagen: Ja, das tun wir! Wir erfahren viel über den Maler in seinem Atelier, seinen Umgang mit Assistenten und Gästen, mit seinem Schutzheiligen, von Beuys über Monet bis Schopenhauer, den Umgang mit seiner Krankheit ALS, an der er schließlich 2007 stirbt, aber auch über den jungen und den politischen Immendorff, der in Heidelberg 1972 zur Gegenolympiade aufgerufen hat, und der, seines Ideenreichtums wegen, von Machtmännern aus der Wirtschaft gerne angeworben worden wäre, in dieser Sache aber anscheinend unbestechlich war.
    Tilman Spengler erzählt Jörg Immendorff als Gesellschaftsmenschen, als zoon politikon.
    "Ich spare das Private, glaub ich, soweit aus, bis es zu den Momenten der Trauer und der Reflexion über den Tod geht. Und das sind die Momente, in die ich mich ein wenig hineintraue, denn da spricht er über sich selber und seinen Tod, aber wir reden nicht über Geschichten, wie, ich weiß es nicht, Sexualität, außer es wird durch einen Düsseldorfer Richter verhandelt, aber das ist eigentlich nicht so das Thema des Buches, das Thema des Buches ist Malerei, und Darstellung nach Innen und nach Außen."
    Spengler erweckt Immendorff noch einmal
    Spengler erzählt Geschichten, die nie etwas vordergründig Anekdotisches haben, sondern vielmehr gespeist sind von Bild und Abbild, also von lebendigem, jetztigem Leben und der Konfrontation mit der Geschichte, dem bereits Vergangenen, dem was jenen geprägt hat, dem wir jetzt begegnen, und ganz konkret dem Bild im Sinne eines Gemäldes. So sieht der Leser in der ersten Geschichte des Buches Immendorff durch seine eigene Totenfeier wandeln, er ist noch da. Spengler erweckt ihn noch einmal, lässt ihn aufbegehren, mal neben dem Ex-Bundeskanzler Schröder sitzend, der auch in einer weiteren Erzählung seines von Immendorff gemalten Porträts wegen vorkommt, mal böse über die Trauerreden sprechend, die ihm zu Ehren gehalten werden. Er ist noch da, wie die Toten eben manchmal noch lange da sind in den Gedanken und Gefühlen der Menschen, die sie betrauern, aber er ist auch so noch da, wie sehr viele Tote, Maler und Geistesmenschen in den anderen Erzählungen des Buches für Immendorff, den Maler, noch lebendig sind, ganz gleich, ob in oder auf Bildern, oder nur so, als seien sie die guten Geister im Atelier, mit denen er spricht. Was hat Spengler daran interessiert, Immendorff als Figur für einen Prosatext zu entdecken?
    "Das hängt, glaube ich, damit zusammen, dass es bestimmt Stoffe gibt, die schauen bestimmte Leute an und sagen: Schreib mich auf! Und das war bei diesem Stoff so, ich war mit Immendorff längere Zeit zusammen, man kann fast sagen befreundet, und mich hat ein wenig fasziniert, die Art und Weise, wie er an Beschreiben von Gesellschaft rangegangen ist mit seinen Bildern, an die deutsche Geschichte, an die deutsche Politik, und nachdem er tot war, habe ich gedacht, man müsste mal so ein Buch schreiben, wo man auch praktisch in Tableaus, also in Bildern, wie Immendorff sie entworfen hat, wo die Lebenden und die Toten miteinander verkehren, und das auf eine hoffentlich einigermaßen humorige Art und Weise, wie man das so festhält oder versucht darzustellen."
    Tatsächlich ist dieser Prosa-Band über Jörg Immendorff auch eine Art Kulturgeschichte von den 1970-Jahren an bis in die ersten 2000er-Jahre hinein. Die Personen aus Kunst- und Geistesgeschichte, aus Politik und Gesellschaft, die durch dieses von Spengler neu angeordnete Malerleben hindurchwandeln, sind angefangen vom Trauzeugen "Jupp" Beuys über Klaus Staeck, Sigmar Polke, Gerhard Schröder bis zu Michael Werner, dem großen Galeristen, wie den Orten, die den Rahmen für die Geschichten geben, "Ratinger Hof", St. Petersburg, Schanghai oder auch Peking, alle irgendwie legendär und werden es durch diese Spenglerschen Tableaus, wenn auch vom kleinen Immendorff’schen Universum aus betrachtet, noch etwas mehr. Aber natürlich fragt man sich genau deswegen beim Lesen immer wieder, wie viel von dem, was gar nicht erfunden klingt, ist erfunden, und wie viel der Fiktion ist auf höchst kunstvolle Weise komponierte Wirklichkeit?
    "Ich kann’s nicht mehr sagen, weil ich ja die Figur Immendorff erfunden habe, und er sagt ja manchmal hochgescheite Sachen über die Kunst oder die Theorie der Kunst, von denen ich mich nicht mehr direkt erinnere, ob er das gesagt hat, oder ob ich das gesagt habe, im Zweifelsfall hab’, glaube ich, das zu verantworten und leg’s ihm in den Mund, weil das dramatisch besser passt, das ist so eine Art osmotischer Prozess, wenn ich mal zu einem schrecklichen Fremdwort greifen darf, aber ist natürlich auch so, dass es den Rätselcharakter oder den Interpretationshintergrund haben soll, wie ein Bild. Ja, man steht davor, der Betrachter weiß erst gar nicht, was gemeint ist, dann erschließt es sich mehr und mehr und was da nun hart realistisch ist, und was da der Dramatik zuzurechnen ist, die ein Bild aufbauen soll, das darf dann der Betrachter entscheiden. Und Bilder sind ja nicht Rorschachtests, oder Rohrschachtests der Wirklichkeit oder der Interpretation, sondern da darf jeder der Fantasie freien Raum lassen."
    Wenn Immendorff in diesem Roman, wie Tilman Spengler es bereits selbst sagte, fast ausschließlich als Inszenierung seiner selbst vorkommt, als Malerfürst in seiner herrischen Geste, so geschieht durch eine einzige Erzählung eine Veränderung im Blick auf das Wesen dieses Menschen.
    Das letzte Tableau
    "Stammzellen", das letzte Tableau innerhalb des Erzähl-Rahmens zwischen Totenfeier und Taufe, erzählt, wie Jörg Immendorff sich voller Hoffnung in eine Klinik begibt, wo ein Arzt durch Stammzellentransplantation von Föten Heilung verspricht. Und wie dieser Jörg Immendorff, dem Geltung und Kontrolle über alles zu gehen scheinen, in einer Klinik aus Gold bei seiner Angst ankommt, und sich ein kleines Loch in den Schädel bohren lässt, durch das, womöglich, die Gesundheit hineinfließen könnte. Das ist berührend und macht aus einem Macht-haber einen Menschen.
    "Das ist der ultimative Versuch der Unsterblichkeit, aber der physischen Unsterblichkeit, und dem ging ja so eine Reihe von Schritten voraus, die ich hier nicht beschreibe, aber das war alles dasselbe: Wenn es zu diesem Ende kommt, dann glaubt man auch wieder an Kunst, und hier an die Kunst eines Schwindlers aus Peking oder aus dem Norden von Peking, der verspricht mit den Stammzellen Bewegung wieder in das Hirn hineinzuspritzen, wenn er nur einfach eine Spritze durch den Schädel bringt. An irgendeiner Stelle schreibe ich mal: "auch Krankheitsbilder sind Bilder", das reflektiert diesen Satz: dass er so sagt, gut, ein Bild entsteht durch Kunst, Krankheit entsteht durch Kunst, also muss Gesundheit durch Kunst auch entstehen können, da muss etwas Magisches da sein. Und das ist dieser Moment, in dem er sich in den Westen von Peking begibt, in diese schreckliche Klinik."
    Tilman Spengler: "Waghalsiger Versuch, in der Luft zu kleben", Roman. Berlin Verlag, 160 Seiten, 18 Euro