Thekla Jahn: Demokratie ist schön, macht aber Arbeit, fordert Geduld und ist kein Garant für ein gutes Leben. Glaubt man den Umfragen, dann zweifeln immer mehr Menschen daran, dass die Demokratie die Probleme in unserer Gesellschaft lösen kann. Immer weniger Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich aktiv am gesellschaftlichen Diskurs oder in der Politik. Ist das die Stunde der Kunst, der künstlerischen Provokation, gar der Sabotage und der Subversion? Beim Berliner Künstlerkollektiv steckt die Antwort im Namen: Peng! Und mit zwei der gar nicht scheuen und zurückhaltenden Peng!-Mitglieder spreche ich nun, mit Nina Los und Paul von Ribbeck. Schönen guten Tag!
"Provoziert von der Politik, von den Unternehmen"
Paul von Ribbeck: Hallo!
Nina Los: Hallo!
Jahn: In dieser Woche befasst sich der Sender 3sat mit der Demokratiedämmerung und im Rahmen dieser Themenwoche sind eine Reihe von Dokus und Filmen dort zu sehen, darunter morgen abend eine Dokumentation über Peng!, Titel: "Die Kunst der Provokation – Ein Künstlerkollektiv macht Demokratie". Herr von Ribbeck, wie kann man mit Provokation Demokratie machen? Ein irreführender oder ein treffender Titel?
Von Ribbeck: Naja, ich muss gestehen: der Titel ist ein bisschen unglücklich gewählt. Also ich sehe das selber nicht so, dass wir provozieren, ich glaube, wir konfrontieren eher. Wir wurden vorher schon provoziert von der Politik, von den Unternehmen, die wir eben mit genau dieser … den Handlungen, die sie eben politisch machen uns provoziert haben. Uns als Zivilgesellschaft, als Bürgerinnen und Bürger. Und dann reagieren wir, beziehungsweise agieren wir so, dass wir versuchen, die wieder auf die richtigen Gleise zu bringen.
"Man muss sich nicht alles gefallen lassen!"
Jahn: Mit Ihrer subversiven Aktionskunst haben Sie schon einige Male für Aufsehen gesorgt. Zum Beispiel 2013, als Sie den Shell Science Slam störten, im Vortragsraum unkontrolliert eine ölartige Flüssigkeitsfontäne sprudeln ließen, um auf eine mögliche Ölkatastrophe in der Arktis hinzuweisen. Oder bei der re:publica 2014, als Sie sich als Google-Mitarbeiter ausgaben und neue, beängstigende Überwachungsprodukte präsentierten. Was bringen solche Aktionen?
Los: Solche Aktionen bringen in erster Linie eine lebendige Debatte über Themen, die teilweise schon als verloren gesehen werden. Und wir hoffen, dass es andere Menschen dazu inspiriert, selber aktiv zu werden und eine Kritik an den, ja, an den bestehenden Verhältnissen, an den Narrativen, die unsere Kommunikation prägen. Wir versuchen mit unseren Aktionen, die herrschenden Narrative zu brechen und zu zeigen: Man kann was machen! Man muss sich nicht alles gefallen lassen! Und ja, man soll selber aktiv werden.
Von Ribbeck: Naja, was diese Debatten bringen? Ich glaube, dann sollte man fragen: Was bringt überhaupt Demokratie, was bringt überhaupt Meinungsaustausch? Und in dem Fall ist es ein Blick auf eine Gesellschaft, die oft überfrachtet ist mit Möglichkeiten – und eben Unmöglichkeiten -, die das Gefühl hat: Was kann ich denn überhaupt noch tun? Und wir versuchen zu inspirieren. Wir versuchen eben, Momente in den Diskurs reinzubringen um zu sagen: Schaut mal, es wirkt hoffnungslos, aber es gibt auch Ansätze, die klar darauf hinweisen, dass es Alternativen gibt!
"Die Zivilgesellschaft sollte ein Big Player sein!"
Jahn: Mit Ihren Aktionen gehen Sie aber ein hohes Risiko ein, nämlich verklagt zu werden, zum Beispiel von Shell oder von Google oder von anderen Unternehmen. Das sind ja Big Player!
Von Ribbeck: Ja durchaus, aber ich glaube, die Zivilgesellschaft sollte auch ein Big Player sein! Und wir handeln ja immer aus einer Legitimität heraus. Das heißt: Wir prüfen vorher ausgiebig, ob das Sinn macht, was wir denken, wir tauschen uns aus. Und sind da jetzt keine Alleinkämpfer*Innen, die sagen: Wir wissen, wo was richtig und was falsch ist - so wie es oft eben die Unternehmen tun und dann einfach hinterher, wenn die verklagt werden, die Strafe zahlen. Aber das tut denen nicht so richtig Weh.
Ein Netzwerk für Synergien
Jahn: Der jüngste Coup in diesem Jahr, der morgen abend ausführlich auf 3sat zu sehen sein wird in der Dokumentation ist dieser: Sie wollten die Vertreter der Rüstungsindustrie vorführen, laden sie ein zu einer Veranstaltung, die einerseits Branchentreff sein soll, bei der aber auch andererseits der erste "Deutsch-französische Preis für Frieden und Sicherheit", den Sie sich natürlich ausgedacht haben, verliehen werden soll. An eines dieser Rüstungsunternehmen vergeben, von einer Veteraneninitiative. Und um das so glaubwürdig wie möglich aussehen zu lassen ist ein großer logistischer Aufwand nötig: Webseiten müssen gebastelt werden, eine PR-Agentur fingiert, Logos entwickelt, Einladungen formuliert, ein Preis designt und hergestellt werden, eine repräsentative Location gefunden und geschmückt werden, Reden geschrieben und einstudiert werden. Wie viele Menschen waren an diesem Projekt beteiligt?
Von Ribbeck: An dem Projekt waren im Großen und Ganzen vermutlich so um die 50-60 Leute beteiligt, wenn wir wirklich jeden Handgriff mitzählen.
Jahn: Und die gehören alle zum Künstlerkollektiv Peng!?
Von Ribbeck: Genau das tun sie nicht, sondern die kooperieren mit uns. Wir sind eben, arbeiten viel mit Leuten zusammen, wie so ein loses Netzwerk, das Synergien eben nutzt, die so im Raum stehen. Viele Leute haben Lust, so ein bisschen was dazuzugeben. Und es ist aber eben schon ein sehr, sehr großer Organisations- und Abstimmungsaufwand, weil wir immer bemüht sind, im Konsens zu arbeiten.
"Die Waffenindustrie ist verblendet"
Jahn: Jetzt frage ich mich natürlich bei so einer Riesenaktion, das kostet unglaublich viel Geld, Zeit und Geld. Wer finanziert Sie?
Von Ribbeck: Na, in dem Fall hat das die Bundeskulturstiftung finanziert und das Schauspiel Dortmund. Das waren zwei Akteure mit Ressourcen, die uns … mit denen wir kooperiert haben. Und eben die vielen ehrenamtlichen Stunden, die die ganzen Menschen da reingeben, die Lust haben, das zu unterstützen.
Jahn: Bei Ihrer jüngsten Aktion mit der Rüstungsindustrie kommt letztlich nur ein Vertreter von Thyssenkrupp, der aber doch noch während der Veranstaltung Lunte riecht und sich wieder aus dem Staub macht. Viel Aufwand für Peng! – doch in diesem Fall ohne Erfolg, oder?
Wir haben noch länger mit Peng! gesprochen -
Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
Los: Naja, also wenn man eine Falle legt, ist der Unterschied zwischen niemand kommt und eine Person kommt unserer Meinung nach wesentlicher als wenn eine oder fünf Personen kommen. Der Fakt ist: Wir haben eine Veranstaltung auf die Beine gestellt, die scheinbar plausibel genug war für eine Person, die ein sehr hohes Tier im Waffengeschäft ist, zu kommen und sich das anzugucken. Und das zeigt zum Beispiel auch, dass Vertreter von der Waffenindustrie, zum Beispiel Thyssenkrupp, sogar so verblendet sind, dass sie denken, sie hätten tatsächlich einen Preis für Sicherheit und Frieden verdient. Und das sagt schon was aus.
Eine subversive Szene
Jahn: Es gab und gibt einige Künstler und Künstlerkollektive, die ähnlich subversiv agieren, zivilen Ungehorsam vorleben, zum Beispiel Christoph Schlingensief, der war in Deutschland einer der radikalsten, die Yes Men Group oder Pussy Riot sind weltweit aktiv. Was unterscheidet Sie von diesen Aktivisten?
Von Ribbeck: Naja, wir sind natürlich eine Gruppe, die in einem anderen historischen Kontext agiert und in einem anderen kulturellen Kontext. Aber im Prinzip sind das natürlich auch wichtige Inspirationen für uns. Also im Fall von Yes Men und Pussy Riot kennen wir die auch persönlich und arbeiten gerne mit denen zusammen. Im Fall von Schlingensief sind viele Leute, die mit dem zusammengearbeitet haben bei uns in Projekten eingebunden gewesen. Also das kann man sich vorstellen wie eine Szene. Ich glaube, eine wichtige Frage die man stellen kann ist: Wo enden die Grenzen der Kunst, was oft eine Symbolik, eine Geste ist und wo wird es wirklich real und gehen wir persönliches Risiko damit ein? Das kann man versuchen, ist aber nie ganz sauber.
Selbstironie für politische Wirksamkeit
Jahn: Eins fällt auf: Sie sind voller Ironie. Aber auch nicht nur voller Ironie was andere angeht, sondern auch durchaus selbstironisch. Ein wichtiger Ansatz für Sie?
Los: Ja, ein sehr wichtiger Ansatz für uns! Also ohne Selbstironie läuft man Gefahr, irgendwie sehr träge zu werden und sich viel zu ernst zu nehmen und sich wichtiger einzuschätzen als man eigentlich ist. Und das ist sowohl für die Wahrnehmung durch andere, als für die politische Wirksamkeit sehr gefährlich.
Jahn: Vielen Dank, Nina Los und Paul von Ribbeck! Die Dokumentation "Die Kunst der Provokation – Ein Künstlerkollektiv macht Demokratie" ist am 23.08. zu sehen um 21:15 Uhr auf 3sat. Und im Rahmen der dortigen Themenwoche gibt es täglich mehrere Dokumentationen, unter anderem zu den Möglichkeiten und Grenzen direkter Demokratie, zu den Ursachen der Demokratiekrise und zur Frage: Demokratie und Wirtschaft – wer regiert wirklich?
Von Ribbeck: Vielen Dank!
Jahn: Ich danke Ihnen!
Los: Auf Wiedersehen!
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