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Künstlicher Tastsinn
Handprothese mit Gefühl

Die menschliche Haut enthält 100 Millionen Sinneszellen, die Druck messen, Vibrationen, Wärme und Kälte. Schon lange versuchen Wissenschaftler, solche Sinneszellen künstlich nachzubauen, etwa für die Robotik oder für Prothesen. Nun stellen US-Forscher einen neuen Ansatz vor - eine Art künstlichen Tastsinn, basierend auf einer Art Noppenfolie.

Von Frank Grotelüschen | 16.10.2015
    Eine künstliche Hand, bestehend aus mehreren goldfarbenen Elementen und schwarzem Plastik
    Künstliche Haut: Ein flexibles Gewebe übermitteln Druckreize ans Hirn (Stanford University)
    Die Hand ballt sich zur Faust, öffnet sich wieder, dann klappt der Daumen nach innen, die Hand greift zu. Moderne Handprothesen sind erstaunlich agil, dafür sorgen ausgefeilte Robotertechnik und winzige Elektromotoren. Was noch fehlt, ist das Gefühl. Zwar messen Sensoren die Kraft, mit der die Hand zugreift, und geben dann per Vibration eine Rückmeldung an ihren Träger. Doch einen richtigen Tastsinn haben sie noch nicht. Dazu bräuchte es eine Art künstliche Haut - und genau daran arbeitet Zhenan Bao, Chemikerin an der kalifornischen Stanford Universität. Einen ersten Prototypen präsentiert sie nun im Fachmagazin Science.
    "Stellen Sie sich ein Stückchen Plastikfolie vor. Auf dieser Folie sind winzige Pyramiden aus Gummi aufgebracht, sie enthalten nanometerkleine Röhrchen aus Kohlenstoff. Drückt man auf die Folie, werden die Gummipyramiden zusammengepresst und die Nanoröhrchen erzeugen ein elektrisches Signal."
    Nur der erste Schritt in Richtung künstliche Haut
    Verklebt ist die Gumminoppen-Folie mit einer zweiten Folie - einer hauchdünnen und biegsamen Elektronikschaltung, gefertigt mit einem Tintenstrahldrucker. Diese Elektronik wandelt die Signale der Drucksensoren um in Pulse ähnlich wie Nervensignale. Je stärker dabei der Druck auf die Noppenfolie, umso schneller die Folge der künstlichen Nervenpulse. Nur: Wie kommen diese Pulse ins Gehirn?
    "Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ließe sich der Sensor über eine implantierbare Elektrode an ein geeignetes Nervenbündel anschließen. Oder man wandelt die elektrischen Signale um in optische. Mit diesen Lichtpulsen werden dann spezielle lichtempfindliche Proteine angesteuert, die man zuvor mithilfe der Gentechnik ins Gehirn eingeschleust hat."
    Optogenetik, so nennt sich dieses noch junge Verfahren, das Baos Team in seiner Arbeit verwendet hat. Getestet haben es die Forscher an lebenden Hirnzellen von Mäusen. Das Resultat:
    "Wir haben gesehen, dass die Hirnzellen auf unsere Sensorsignale ähnlich reagieren wie auf die von richtigen Sinneszellen."
    Durchaus eindrucksvoll, aber nur der erste Schritt in Richtung einer künstlichen Haut, meint Bao. Auf dem Weg dorthin steht noch einiges an Laborarbeit bevor.
    "Bislang haben wir nur kleine Folienstückchen mit wenigen Drucksensoren gebaut. Aber unsere Haut enthält viele Sinneszellen. Also müssen wir jetzt herausfinden, wie man viele Sensoren auf großer Fläche herstellen kann. Und außerdem wollen wir nicht nur Drucksensoren in unsere Kunsthaut integrieren, sondern auch Temperaturfühler."
    Überwachung von Herzschlag und Blutdruck denkbar
    Versuche mit menschlichen Prothesenträgern sind noch nicht konkret geplant, wohl aber Tierexperimente. Doch es könnte auch andere Einsatzfelder geben für den Sensor aus Stanford. Vielleicht könnte man Robotern einen Tastsinn verleihen, meint Bao, ein Ziel, an dem auch andere Gruppen arbeiten. Oder:
    "Da unsere Sensoren extrem empfindlich sind, taugen sie für tragbare Elektronik. Zum Beispiel könnte man sie in Pflaster integrieren, die man einfach auf die Haut klebt und die dann Herzschlag und Blutdruck genau überwachen."
    Eine Anwendung, die durchaus früher einsatzreif sein dürfte als die Handprothese mit Gefühl.