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Kuhn: Finanzmarktstabilisierungsgesetz ist "Murks"

Der Rettungsschirm der Bundesregierung greift laut Grünen-Fraktionschef Fritz Kuhn zu kurz. Die Banken gäben ungern öffentlich zu, Hilfen in Anspruch nehmen zu müssen, dies sei ein "Konstruktionsfehler mit Ansage". Angesichts der Finanzkrise müsse auch eine Börsenumsatzsteuer diskutiert werden.

Fritz Kuhn im Gespräch mit Jochen Fischer |
    Jochen Fischer: Das Gesetz zur Stabilisierung des Finanzmarktes, das in der vergangenen Woche beschlossen worden war, hat nun auch den Segen der EU-Kommission. Keine Bedenken also gegen die Hunderte Milliarden schwere Garantieerklärung für Not leidende Banken. Und was nun? - Es ist keineswegs so, dass die Banken jetzt beim Finanzminister Schlange stünden und unter den Rettungsschirm schlüpfen wollten. Einzig bei den Landesbanken scheint es so zu kommen. Und was ist mit den anderen, mit den Privatbanken? - Seit heute wissen wir, die Hypo Real Estate will ebenfalls zuschlagen. Aber die anderen? Haben die keine Probleme oder schämen die sich so wie Deutsche Bank Chef Ackermann und reden nur nicht darüber? - Seit gestern steht auch die Expertengruppe bei Fuß, die von Bundeskanzlerin Merkel berufen worden ist, um künftige Krisen zu erkennen und zu vermeiden. - Fritz Kuhn, der Fraktionschef der Grünen im Bundestag, ist jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Kuhn.

    Fritz Kuhn: Guten Morgen, Herr Fischer.

    Fischer: Sie haben damals das Finanzmarktgesetz im Vorfeld als Murks bezeichnet. Gilt diese Bewertung nun auch für die Kommission der Kanzlerin?

    Kuhn: Das Gesetz ist Murks, weil es nicht greift und viel zu wenig staatlichen Einfluss und staatlichen Eingriff in die Not leidenden Banken bringt. Die Expertenkommission hat ja noch keine Ergebnisse vorgelegt. Sie soll ja künftige Regeln des Finanzmarktes rasch für Mitte November ausarbeiten für die internationalen Konferenzen. Ich würde sagen, da muss man mal Ergebnisse abwarten. Ich schaue ein bisschen skeptisch auf die Zusammensetzung, weil die natürlich zu sehr in der Bankwelt angesiedelt ist. Ich hätte mir gewünscht, dass darin auch Leute von außen mit dabei sind, aber das muss man sehen, wie Herr Issing das macht, der ja ohne Zweifel ein Experte auf dem Gebiet ist. Wichtig ist, dass die keine Maßnahmen ausklammern aus irgendwelchen politischen Vorgaben. Zum Beispiel ist es notwendig, dass wir in Deutschland eine bessere Finanzaufsicht haben. Es ist notwendig, dass man verbriefte Kredite mit mehr Eigenkapital unterlegt, dass man die Rating-Praxis der internationalen Rating-Agenturen vereinheitlicht und stärker kontrolliert. Und ein Punkt, der gerade nicht in der öffentlichen Diskussion auf der Seite der Regierung ist, ist der, dass man eine Börsenumsatzsteuer einführen sollte, erstens um den täglichen Geldfluss etwas in vernünftige Bahnen zu lenken, und zweitens, um auch Mittel zu bekommen, aus denen Finanzmarktkrisen finanziert werden können. Börsenumsatzsteuer sollte also als globales Thema mit in die Verhandlungen.

    Fischer: Das sind sozusagen langfristige Vorstellungen, die Sie da entwickeln. Was ist in der Bankenkrise denn jetzt eigentlich vordringlich sofort zu tun?

    Kuhn: Vordringlich im Sinne von Krisenmanagement ist meines Erachtens wirklich, dass die Regierung die entscheidenden Schwächen ihres Gesetzes noch mal anschaut und verändert. Die bestehen darin, dass sie eine Lösung gefunden haben, bei der die Banken selber diktieren und sagen können, ob und wie ihnen geholfen wird. Die Engländer, die Amerikaner, die Holländer haben das anders gemacht. Die haben eine effektive intelligente Teilverstaatlichung gemacht.

    Fischer: Warum ist das besser?

    Kuhn: Weil dann die Banken nicht in dieses Problem geschoben werden, in dem sie jetzt sind. Eine Privatbank hat doch heute folgendes Problem: Geht sie zum Rettungsschirm und wird dies öffentlich, kann es ihr passieren, dass sie höhere Verluste an der Börse hat, weil der Kurs runtergeht (aha, angeschlagene Bank), als sie beim Rettungsschirm bekommt. Das ist ein Konstruktionsfehler mit Ansage. Davor hatten wir vor der Verabschiedung gewarnt. Deswegen haben wir auch mit Nein gestimmt, weil so etwas nicht funktionieren kann. Da hat man sich gescheut, den starken effektiven Eingriff einer Verstaatlichung zu gehen, hat gedacht, man findet eine besonders schlaue Lösung, und ist jetzt doch mehr oder weniger auf die Schnauze gefallen.

    Fischer: Also glauben Sie, dass es viele Banken gibt, die sich sozusagen schämen, wie es Herr Ackermann ausgedrückt hat?

    Kuhn: Schämen ist nicht die richtige Kategorie. Da geht es ja nicht um das, was wir normalerweise unter Schämen verstehen, sondern es geht darum, dass sie stärkere Verluste befürchten, wenn sie den Rettungsschirm in Anspruch nehmen. Hätte man gesagt, der Staat entscheidet wem er hilft durch Anteilsübernahme (übrigens immer nur in einer kurzen Hand; das geht ja nicht über Jahrzehnte, sondern bis die Krise durchgestanden ist), dann hätte man genau dieses Problem vermeiden können. Aber man hätte sich dann dem Thema Teilverstaatlichung auch wirklich nähern müssen.

    Fischer: Der Finanzminister Peer Steinbrück hält ja die Manager eigentlich für so ehrlich, dass sie eine Schieflage ihres Institutes nicht in Kauf nehmen würden. Sie sehen das also anders?

    Kuhn: Langfristig wird dies kein Manager tun können. Er muss sogar aufpassen, dass er sich dann nicht rechtlichen Auseinandersetzungen gegenüber sieht. Aber sie werden natürlich alle gezwungen, diese Abwägung zu machen, Börse geht runter, stärker als im Rettungsschirm drin ist. Die muss jeder Banker machen und das ist ein Konstruktionsfehler des Gesetzes. Da muss man jetzt nicht die Banker alle einzeln bestimmen. Die müssen halt gegenüber ihren Aktionären ja auch Rechenschaft ablegen.

    Fischer: Sie schlagen also Teilverstaatlichung vor. Nun gibt es entsprechende Vorschläge, auch was die Automobilindustrie betrifft. Treten Sie denen ebenfalls bei?

    Kuhn: Nein. Die Automobilindustrie, das ist ja ein völlig anders gelagerter Fall. Die hat jetzt in Deutschland ein doppeltes Problem. Erstens weniger Absatz wegen der Finanzkrise, denn die Leute sind jetzt nicht zum Geldausgeben bereit, sondern die wollen erst mal gucken, wie das ganze weitergeht. Und zweitens haben wir zum Teil auch die falschen Autos. Die großen, Energie fressenden Fahrzeuge gehen jetzt besonders schlecht weg. Kleine Drei-Liter-Autos, die schon Ökostandard haben, gibt es in Deutschland viel zu wenig. Da hat man technologisch verschlafen. Aber das können sie nicht mit Geldspritzen oder Konjunkturspritzen oder sonst was lösen, sondern das ist ein Marktproblem, wo man schauen muss, dass man möglichst schnell aus der Krise insgesamt kommt. Da ist eine Lösung der Bankkrise vorrangig, weil die schafft wieder Vertrauen für die Verbraucher, so dass die Geld ausgeben können.

    Fischer: Sie haben eben in der Bankenkrise davon gesprochen, dass wir eine bessere Bankenaufsicht bräuchten. Was ist denn da im Moment im Argen?

    Kuhn: In Deutschland ist es sehr stark aufgesplittert zwischen der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzen, und der Deutschen Bundesbank. Man muss dort also eine Zuständigkeitsklärung machen. Wir schlagen vor, dass die Finanzaufsicht ganz bei der BaFin konzentriert wird und die Deutsche Bundesbank sich mit der Geldpolitik beschäftigt, was ihre eigentliche Aufgabe ist. Da liegen viele Sachen auf dem Tisch. Die Regierung hat das bisher nicht konsequent gemacht, aber ich denke, dass das der erste Schritt ist, in Zukunft zu machen, was wir national machen können.

    Fischer: Waren diese Probleme nicht längst bekannt? Hätte man nicht schon bereits zu Ihren Regierungszeiten _98 bis 2005 darauf kommen können?

    Kuhn: Ich würde mal sagen, man hat spätestens darauf kommen können, als im Sommer letzten Jahres 2007 man sehen konnte, was sich in den USA zusammenbraut. Man hat in Deutschland zu lange geguckt nach dem Muster, na ja, das wird ein amerikanisches Problem sein, schauen wir mal, wie es aussieht und wie es ausgeht. Das war nicht richtig. Wir haben im Dezember 2007 einen Antrag im Bundestag eingebracht, der auch diese Finanzaufsichtsfragen in Deutschland auf den Schirm nimmt, und Vorschläge gemacht, aber damals hat die Regierung (und das war ein Fehler) noch gedacht, na ja, das ist kein deutsches Problem, sondern ein amerikanisches.

    Fischer: Und in Zeiten rot/grüner Regierung war das alles in Ordnung?

    Kuhn: Man hätte immer schon Sachen verändern können, aber das Bewusstsein dafür (ich rede jetzt über den Punkt Finanzaufsicht), dass wir das bündeln müssen, ist erst bei uns jedenfalls im Jahr 2007 so entstanden.

    Fischer: In der Finanzkrise hat Deutschland gehandelt. Andere haben auch gehandelt. Aber kann Deutschland denn alleine überhaupt etwas ausrichten?

    Kuhn: Das muss man abschichten. Deutschland kann national einiges tun. Da gehört das Thema Finanzaufsicht, Bankenaufsicht in unseren Märkten dazu. Und Deutschland kann innerhalb der EU und bei den internationalen Konferenzen wie jetzt im November klare und gute Vorschläge machen und es ist eine politisch, diplomatische Frage, dass man sich vorher die Verbündeten für diese Vorschläge sucht. Die Aufgabe der Regierung wäre jetzt, europäisch koordiniert mit einem gemeinsamen Vorschlagspaket bei der Konferenz Mitte November aufzulaufen, denn der entscheidende Punkt dafür, dass die Finanzmärkte jetzt wieder Vertrauen gewinnen, ist doch, dass es jetzt in der Zukunft neue Regeln gibt, nach denen gespielt wird, ohne Schlupflöcher, auch unter Trockenlegung der so genannten Steueroasen, wo keine Steuergesetzgebung gilt, um klar zu machen, in der Zukunft wird nach besseren Regeln Finanzmarkt praktiziert. Das ist die Hauptaufgabenstellung. Es ist sehr wenig Zeit dafür, 14 Tage, dies zu leisten, aber ich denke, dass man es leisten kann, wenn man auf Hochtouren arbeitet.

    Fischer: Fritz Kuhn, Fraktionschef von Bündnis 90/Die Grünen, im Deutschlandfunk. Vielen Dank!

    Kuhn: Ich danke Ihnen.