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Kujat dringt auf bessere Ausrüstung der Bundeswehr

Ex-General Harald Kujat fordert mehr Geld für die Bundeswehr. Auf lange Sicht könne sich Deutschland weiteren Anforderungen der NATO zu Auslandseinsätzen nicht entziehen, sagte der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr. Angesichts von Ausstattungs- und Organisationsdefiziten rate er derzeit aber von einem Einsatz in Südafghanistan ab.

Moderation: Dirk Müller |
    Dirk Müller: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Ex-General Harald Kujat, vormals Generalinspekteur der Bundeswehr und Chef des NATO-Militärausschusses. Guten Morgen!

    Harald Kujat: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Kujat, sind die Deutschen Drückeberger?

    Kujat: Nein, das sind sie sicherlich nicht. Aber wir müssen berücksichtigen, dass auf Dauer der Druck zunehmen wird, und ich denke, dass wir dem uns auch, auf lange Sicht jedenfalls, überhaupt nicht entziehen werden können. Man kann außenpolitisch diesen Kurs nicht durchhalten, wenn man als Drückeberger oder auch als Trittbrettfahrer bezeichnet wird. Aber im Augenblick würde ich auch nicht dazu anraten, dass wir zusätzliche Kräfte in den Süden verlegen.

    Müller: Aber wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Kujat, ist dieser Druck berechtigt?

    Kujat: Der Druck ist deshalb berechtigt, weil die NATO eine Solidargemeinschaft ist, weil eben auch Staaten dort unten bereits seit Längerem Verantwortung tragen, und weil Deutschland ein großes Land in der Allianz ist, das auch außenpolitisch sehr aktiv ist, und diesen Zusammenhang muss man immer im Auge behalten.

    Müller: Also ist Deutschland unsolidarisch?

    Kujat: Ich muss differenzieren. Außen- und sicherheitspolitisch ist es sicherlich unvermeidbar, dass wir diese Position aufgeben werden. Im Augenblick halte ich aber eine Verlegung deutscher Verbände in den Süden aus militärischen Gründen nicht für angeraten. Wir haben noch erhebliche Defizite, und ich denke, wir müssen das Risiko für die eingesetzten Soldaten soweit reduzieren, wie es überhaupt nur möglich ist, und das ist im Augenblick schwierig.

    Müller: Das heißt, was Washington, was ja auch London formuliert, das ist im Grunde richtig, das ist korrekt. Es geht um die Solidargemeinschaft westlicher Allianz oder NATO, aber wir können das im Moment militärisch noch nicht verantworten?

    Kujat: Ich würde es jedenfalls militärisch nicht anraten wollen, das muss man ganz deutlich sagen.

    Müller: Warum?

    Kujat: Der Verteidigungsminister hat ja gestern auch gesagt, dass, wenn Alliierte, wenn Freunde in Not geraten, dann werden wir helfen. Das bedeutet auch, dass wir bereit sein müssen, beispielsweise diese schnelle Eingreiftruppe, diese Kompanie dann, wenn Gefahr im Verzuge ist, auch mit anderen Eingreiftruppen aus anderen Sektoren im Süden einsetzen zu lassen, so dass der ISAF-Kommandeur die Möglichkeit hat, dort in einer Notsituation Kräfte zu konzentrieren. Das wäre für mich ein logischer Schluss.

    Müller: Aber warum sagen Sie grundsätzlich Ja, nur jetzt noch nicht?

    Kujat: Ich sage grundsätzlich Ja, weil Deutschland ein Land ist, das erheblichen Einfluss in der Allianz ausübt, bisher jedenfalls, ein Land, das auch außenpolitisch Ansprüche stellt, zum Beispiel ständiges Mitglied im Sicherheitsrat zu werden. Deutschland ist eben nicht Island oder Luxemburg, sondern Deutschland will Außenpolitik gestalten und soll auch Außenpolitik gestalten. Ich halte das für sehr, sehr wichtig. Aber dann muss man auf der anderen Seite auch bereit sein, solidarisch Lasten zu teilen mit anderen Verbündeten.

    Müller: Reden wir über die militärische Komponente, Herr Kujat. Warum sind wir im Moment noch nicht in der Lage, militärisch zu verlagern?

    Kujat: Wir sind natürlich, wären natürlich in der Lage, aber ich halte es nicht für sinnvoll, das im Augenblick zu tun, weil wir eben in bestimmten Bereichen Defizite haben, die unbedingt ausgeglichen werden müssen, und wir haben uns auf diese Situation eben nicht zeitgerecht vorbereitet. Wir brauchen ein Verbundsystem, das, was man vernetzte Operationsführung nennt, von permanenten Aufklärungssystemen über Führungs- und Informationssysteme, die Zeitverzuginformationen übertragen können, bis hin zu weiter reichenden Waffensystemen. Man muss immer bedenken, dass die optimale Ausstattung unserer Soldaten auch den größtmöglichen Schutz und die größtmögliche Sicherheit bedeutet, nicht nur beste Voraussetzung für die Durchführung des Auftrages ist. Diesen Zusammenhang dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.

    Müller: Herr Kujat, wenn wir jetzt viel über die Bundeswehr in den vergangenen Jahren gelesen haben, dann gab es ja auch Artikel, wonach wir dann oft als modernste Armee der Welt bezeichnet wurden oder als eine der führenden Armeen der Welt. Das heißt, das stimmt alles gar nicht?

    Kujat: Das würde ich für sehr, sehr weit hergeholt halten. Die Bundeswehr befindet sich nach wie vor und seit vielen Jahren schon inmitten eines Reformprozesses. Das heißt, sie ist auf dem richtigen Weg, das würde ich schon unterstreichen. Aber wir sind noch lange nicht da angekommen, wo wir hinwollen und wir auch hinmüssen am Beginn des 21. Jahrhunderts unter den veränderten sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und angesichts der Herausforderungen, die diese neuen Rahmenbedingungen auch mit sich bringen.

    Müller: Sie haben ja die Modernisierung, Herr Kujat, auch als Generalinspekteur der Bundeswehr immer wieder gefordert. Hat die Politik Sie im Stich gelassen?

    Kujat: Nein, ich habe nicht nur gefordert, sondern ich habe ja auch als Generalinspekteur die Reform, die im Augenblick ja noch läuft, gestaltet, entworfen und gestaltet begonnen, und ich denke nach wie vor, dass dieser Ansatz richtig ist. Aber ich habe auch immer gesagt, dass man gerade auch am Beginn einer solchen Reform Geld in die Hand nehmen muss, damit man Fortschritte erzielt, und das ist weder während meiner eigenen Amtszeit noch heute im ausreichenden Maße geschehen.

    Müller: Um da noch mal zu bleiben, das heißt, die Politik hat in diesem Zusammenhang versagt?

    Kujat: Jedenfalls die, die über die Finanzmittel für die Bundeswehr entscheiden, haben aus meiner Sicht nicht die richtige Entscheidung getroffen, und möglicherweise sind auch nicht die richtigen Prioritäten gesetzt worden, das muss man sagen. Priorität hat heute der Einsatz in aller erster Linie. Das kostet Geld, das wussten wir von Anfang an. Wenn man eine Entscheidung trifft, Soldaten in einen Auslandseinsatz zu schicken, dann muss man sich auch darüber im Klaren sein, dass dies nur unter bestimmten Bedingungen erfolgen kann. Und diese Bedingungen werden weitgehend auch von der Finanzlage beeinflusst.

    Müller: Nun ist der arme Peer Steinbrück in dieser Situation, also der Finanzminister, ja für viele Dinge Schuld, die nicht funktionieren und nicht klappen. Aber reden wir noch einmal über die anderen Verantwortlichkeiten. Wenn die Politik nicht ausreichend Mittel zur Verfügung stellt, wie groß ist dann die Verantwortung des Verteidigungsministers?

    Kujat: Nun gut, der Verteidigungsminister ist derjenige, der die Mittel anfordert, und der Finanzminister ist derjenige, der die Mittel zur Verfügung stellt. Ich kann und will nicht beurteilen, wie das in diesem Beziehungsgefüge bisher geschehen ist, jedenfalls nach meiner Amtszeit als Generalinspekteur nicht. Insgesamt muss man natürlich sagen, dass man diese Dinge als Politiker, vor allen Dingen auch als Parlament, sehen muss. Das Parlament ist letzten Endes auch der Ort, an dem die Entscheidung über einen Auslandseinsatz fällt. Die Bundeswehr ist ja, das sagen viele, eine Parlamentsarmee, also denke ich mal, dass man hier keine singuläre Schuldzuweisung treffen kann, sondern es ist eine Situation, wie sie sich in einer Demokratie eben manchmal ergibt. Und man muss eben auch bedenken, dass unsere Bevölkerung nun nicht besonders enthusiastisch ist für Auslandseinsätze, und das spielt natürlich auch in diesem Zusammenhang eine Rolle.

    Müller: Der frühere Vier-Sterne-General Harald Kujat war das, vormals Generalinspekteur der Bundeswehr. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.