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Kultur im Untergrund

In Weißrussland gibt es zwei Versionen von Kultur: die offizielle postsowjetische des staatlichen Kunstverbandes und die inoffizielle alternative der unabhängigen Künstler. Doch wer selbstständig bleiben möchte, muss mit seiner Kunst ums Überleben kämpfen und wird vom Staat im Auge behalten.

Von Anja Schrum |
    Eine geländerlose Betontreppe führt in den Keller. Es geht einen niedrigen, fensterlosen Gang entlang. Über Heizungsrohre hinweg, vorbei an blätternder Wandfarbe und bröselndem Putz. Am Ende des Ganges dröhnt ein Kompressor. Die Holztür dahinter ist nur angelehnt.

    Sascha Akutsyionak lässt die Airbrush-Pistole in seiner Hand sinken. Vorsichtig legt der 23-Jährige sie auf ein altes Bügelbrett zwischen unzählige Farbfläschchen. Sein fensterloses Kelleratelier ist vielleicht zehn Quadratmeter groß. Es riecht nach Farbe. Von der niedrigen Decke baumelt eine Neonröhre.

    "Das sind keine Katakomben. Das ist genau so ein Arbeitsplatz wie jeder andere. Künstler wählen in der Regel Mansarden oder eben Kellergeschosse. Früher habe ich in einer Mansarde gearbeitet. Aber mit der Zeit sind wir ärmer geworden, deswegen sind wir jetzt hier, sozusagen vom Himmel zurück auf die Erde – eigentlich unter die Erde. Da muss man durch."

    Seit zwei Jahren arbeitet Akutsyionak hier, im Keller des Minsker Kinos Raketa als Plakatmaler. Ein Brot-Job, der ihm umgerechnet 230 Euro im Monat bringt. Dafür muss er zwei Plakate pro Woche abliefern. Dann erst hat er Zeit für eigene Arbeiten.

    Zwar gibt es auch in Belarus Stipendien für junge Künstler. Doch dafür müsse man an Wettbewerben teilnehmen, vielleicht Kompromisse eingehen, sagt Sascha Akutsyionak. Er aber will unabhängig bleiben.

    "Es gibt Schulen, es gibt Kunstkombinate, wo die Künstler ausgewählt werden, um die Arbeit machen zu können. Dafür muss man Mitglied im staatlichen Kunstverband sein. Aber ich denke, wir passen nicht zueinander, wir haben zu unterschiedliche Vorstellungen."

    In Weißrussland gibt es quasi zwei Versionen von Kultur: die offizielle postsowjetische und die inoffizielle alternative. Der Staat behält die unabhängige Künstlerszene im Auge. Literaten oder Musiker, die in ihren Werken explizit politische Kritik üben, können auf Schwarzen Listen landen. Dann finden sie keine Möglichkeit mehr, in großen Hallen aufzutreten oder ihre Bücher drucken zu lassen.

    Sascha Akutsyionak will seine Kunst nicht politisch interpretiert wissen. Als Künstler werde man schnell vereinnahmt, fürchtet er. Von jeder Seite. Also hat er sich zurückgezogen. In den Untergrund – im Wortsinn…

    "So sieht's aus: Hier bin ich und meine Kunst, und dort draußen ist die Politik. Ich habe Energie, ich habe meinen eigenen Kopf, ich habe meinen eigenen Gedanken. Und so verstehe ich auch meine Freiheit. Ich bin nicht dumm. Und ich weiß, was ich besser lassen sollte. Also ich bin nicht so dumm, irgendetwas zu machen, was nicht akzeptiert oder gut geheißen werden kann."

    Der junge Künstler zieht ein paar Plakate aus der Ecke hervor, rollt sie vorsichtig auseinander. Weil er sich Leinwand nicht leisten konnte, sind seine ersten Arbeiten auf der Rückseite der Kinoplakate entstanden. Realistische, detailgenaue Bilder, deren Motive zum Teil verstörend wirken.

    Ein aufgerissener Männermund, aus dem ein Krebs krabbelt. Das Bild eines sabbernden Zwerges unter einem großen Umhang. Noch verkauft Sascha kaum Bilder. Die Plakatmalerei hält ihn über Wasser. Die Leute hätten ohnehin andere Sorgen, sagt er. Die Wirtschaftskrise, die Rubel-Abwertung haben die Preise in die Höhe getrieben. Für Kunst ist kein Geld übrig.

    "Es ist alles teurer geworden. Die Preise für Farben, Pinsel, Leinwand, für die Arbeit selbst. Ich kaufe Farbe im Voraus, oder ich suche Leute, die Farbe über haben und mir geben. Hier kam so ein Typ vorbei und hat mir einen Sack Farbe für eine Flasche Wodka angeboten. Er hat seine Werte, ich habe meine."