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Kultur-Preise in der Krise
Die ideale Jury: eine Person!

Der Echo wird abgeschafft, der Literatur-Nobelpreis dieses Jahr womöglich nicht verliehen. Die Oscars sind zu weiß, die Grammys zu männlich. Die Krise der großen Preise sei auch der Zusammensetzung der Jurys geschuldet, sagte der Medienwissenschaftler Jochen Hörisch im Dlf - und plädiert für mehr Exzentrik.

Jochen Hörisch im Gespräch mit Anja Reinhardt |
    Die Rapper Kollegah (links) und Farid Bang feiern die Verleihung des Deutschen Musikpreises "Echo". Die Verleihung zog eine Kontroverse nach sich, die zur Abschaffung des "Echo" führte.
    Die Verleihung des "Echo" an Farid Bang und Kollegah zog eine Kontroverse nach sich, die zur Abschaffung des "Echo" führte. (dpa / picture alliance / Jens Kalaene)
    Anja Reinhardt: Den Echo gibt es nicht mehr, jedenfalls nicht in der bisherigen Form, der Literaturnobelpreis wird möglicherweise erst wieder 2019 vergeben, die Oscars waren schon immer zu weiß, die Grammys zu männlich. So viel geballte Kritik an den Jurys und an den Modi der Preisvergabe gab es noch nie. In vielen Fällen auch zu recht, denn Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit oder Rassismus können nicht mit Kunstfreiheit gerechtfertigt werden. Dirigent Christian Thielemann, unter anderem Chef der Staatskapelle Dresden, schilderte gestern im Deutschlandfunk Kultur seine Vorstellung einer idealen Jury:
    Christian Thielemann: Wenn möglichst viele unterschiedliche Preisrichter zum Einsatz kommen, nicht, dass es nur ein Kritikerklüngel oder so ist, die eh alle einer Meinung sind, sondern wo in einer Jury richtig Meinungen aufeinander prallen. Da ist natürlich die Frage, wie so eine Jury besetzt wird, da müssen sie so pluralistisch wie irgendwie rangehen und zum Schluss einigt man sich und macht vielleicht eine Abstimmung. Aber ich bin auch nie in einer Jury gewesen und ich würde mir das selber gar nicht vermessen wollen über Kollegen zu urteilen.
    Eindeutige Zuschreibungen statt Korruption
    Reinhardt: Jochen Hörisch, bei dem, was Christian Thielemann sagt, wird das Problem ja klar: Es gibt das Bild einer idealen Jury, aber wen könnte man dafür gewinnen?
    Jochen Hörisch: Ich habe eine Vorstellung, die der von Thielemann ganz entgegengesetzt ist, nämlich die, wie sie etwa beim Kleist-Preis, der ja nicht ganz so bedeutend wie der Büchner-Preis ist, aber in der 1b-Liga spielt, praktiziert wird. Da ist es nämlich so, dass ein Kopf alleine den Preis vergibt, und dann kann man den kritisieren oder loben, man kann eindeutig zuschreiben, es kann aber keine korrupten Absprachen geben, man kann nicht eine Affäre mit der Frau des Vorsitzenden haben oder nicht wegen Intrigen rausfliegen. Ich bin ja bei der Gerüchteküche nicht geheimdienstlich dabei mit dem, was in Stockholm passiert ist, aber man hört so allerhand Geschichten, die ja auf eine wunderbare Art und Weise ordinär sind und eigentlich nicht zum unglaublichen Prestige des Nobelpreises gehören. All das kann eigentlich nicht passieren, wenn man sagt, dieser eine Mensch, der entscheidet darüber.
    Ich will einfach nur sagen, wie die Kleist-Preise vergeben worden sind in den letzten beiden Jahren. Hanns Zischler, der wunderbare Schauspieler und Essayist, war die Ein-Mann-Jury und gab den Preis an Ralf Rothmann. Und der ungarische Essayist Földenyi hat den letzten Kleist-Preis an Ransmayr vergeben. Da kann man Ross und Reiter nennen, es kann keine Intrigen geben. Das wäre mein Gegenvorschlag zu dem doch sehr salvatorischen Vorschlag, den Thielemann gemacht hat.
    Jurys werden immer größer, unüberschaubarer und intrigenanfälliger
    Reinhardt: Aber deckt sich denn vielleicht die Zusammensetzung von solchen Jurys, so wie sie aufgestellt werden und so wie sie entscheiden müssen, auch mit einer gewissen gesellschaftlichen Veränderung?
    Hörisch: Ja, sicherlich. Man guckt dann, dass man sehr ausgewogene Geschichten hat, dass alle möglichen Geschlechter, Herkünfte regionaler Art, kulturelle Hintergründe und dergleichen mehr drin sind. Die Jurys werden deshalb auch immer größer, auch immer unüberschaubarer, und je gremienhafter sie sind, desto intrigenanfälliger sind sie ja. Mit schöner Eindeutigkeit kann Unsinn und Mist dabei herauskommen wie beim Echo. Dann sagt man, es sind ja bloß die Verkaufszahlen. Die kann man aber nicht ernsthaft in qualitativer Hinsicht für preiswürdig halten. Es kann sich Mist verkaufen. Das haben wir ja nun gerade eben erfahren. - Oder man öffnet den Intrigen, den Absprachen, den kleinen Finten Tür und Tor. Das ist ganz offenbar in der Liga des Nobelpreises der Fall.
    Reinhardt: Aber wenn sich alles auf die Mitte sozusagen hin zubewegt, was bedeutet das denn für die Preisträger oder überhaupt für die Werke, die ausgezeichnet werden?
    Hörisch: Dann ist natürlich in dem Maße, wie man politische Korrektheit, die ich nicht verächtlich behandelt sehen möchte, voranbringt, immer die Gefahr, dass man wirklich Mainstream macht. Mitte heißt ja, dass man oft das Zentrum setzt, und auf das Zentrum setzen heißt immer auch, dass man exzentrisch, also nicht im Zentrum, in der Mitte, im Mainstream befindliche Werke nicht für preiswürdig erkennt. Aber genau das ist ja die Funktion von Kunst – sei es Musik oder Literatur -, dass sie alternative, vom eingespielten Wahrnehmungsmodus abweichende Ansichten mit transportiert. Kunst muss mit abweichenden Wahrnehmungen überraschen und muss die so plausibel wie möglich machen …
    Kunst muss überraschend gute Einsichten repräsentieren
    Reinhardt: Und da reden wir natürlich jetzt nicht über Antisemitismus oder Frauenfeindlichkeit oder Rassismus.
    Hörisch: Um Gottes willen! Nein, das ist geradezu ausgeschlossen, dass man mit derartig idiotischen Ansätzen wie Frauenfeindlichkeit oder Antisemitismus gute Kunst macht. Das kann nicht der Fall sein! Übrigens deshalb auch nicht, weil dazu Frauenfeindlichkeit und Antisemitismus zu idiotisch weit verbreitet sind. Man ist dann ja leider, leider, leider – das macht ja die Gespensterdimension aus – halbwegs im Mainstream drin, jedenfalls im Mainstream bestimmter Milieus, wenn man das macht. – Nein! Kunst muss überraschend gute Einsichten, die sich argumentativ auch vertreten lassen, repräsentieren. Dann funktioniert sie als ganz große Kunst.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.