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Kultur statt Leerstand

Guimaraes ist der Ursprung Portugals: 1100 wurde hier Alfonso Henrique geboren, Portugals erster König, dessen Name und Statue dem Besucher auf Schritt und Tritt begegnen. Mit knapp 60.000 Einwohnern ist Guimaraes die bisher kleinste Kulturhauptstadt Europas. Für 2012 erwartet man 1,5 Millionen zusätzliche Touristen - und längerfristig ein neues, buntes, kreatives Gesicht für die Stadt.

Von Robert B. Fishman | 06.04.2012
    Guimaraes baut. Überall in der Altstadt werden Plätze und Wege renoviert. Die städtische Kulturdezernentin Francisca Abreu überschlägt sich fast vor Begeisterung.

    "Erste Auswirkungen durch den Titel sehen wir schon: Im nächsten Jahr wird die Stadt eine andere sein. Schon jetzt ist Guimaraes in ganz Portugal für seine umfassende Sanierung bekannt. Wir sanieren nicht nur die alten Mauern, sondern die ganze Stadt."

    Schon in den 90er Jahren ließ der damalige und heutige Bürgermeister die Altstadt mit ihren Granitstein-Bürgerhäusern aus dem 15. und 16. Jahrhundert aufwendig sanieren. Die Kulturorganisation der Vereinten Nationen UNESCO belohnte die Mühen: 2001 nahm sie die Altstadt von Guimaraes in die Liste des Weltkulturerbes auf.

    "An den Gebäuden kann man sehen, dass hier etwas passiert. Aber noch wichtiger ist, dass sich die Menschen ihrer Stadt bewusster werden, dass sie Visionen entwickeln. Daraus entstehen dann hoffentlich auch neue Unternehmen und mehr Optimismus."

    Um neuen, kreativen Unternehmen einen festen Platz in Guimaraes zu geben, baut die Stadt alte Fabriken um und schafft komplett neue Räume. Das größte Projekt ist die Plataforma des Artes, die Plattform der Künste: ein mehr als zwölf Millionen Euro teures neues Veranstaltungszentrum mit Museum, Ausstellungsräumen, Restaurant, Cafés, Ateliers und Läden für Unternehmen aus der Kreativwirtschaft. Das Geld dafür kommt von der EU und der portugiesischen Regierung. Das Interesse an den neuen Räumlichkeiten ist groß. Auf die erste Ausschreibung während der Vorbereitung des Kulturhauptstadtjahrs hat Francisca Abreu rund 250
    Vorschläge erhalten:

    "Es haben sich zum Beispiel Leute gemeldet, die Geigen reparieren wollen. Wir bekommen ja ein neues Jugend-Orchester in Guimaraes und das hat einen Bewerber auf die Idee gebracht, eine Geigenwerkstatt zu eröffnen. Und dann haben wir zum Beispiel eine junge Frau, die ein Büro für Modedesign aufmachen möchte."

    Die Künstler können sich in Guimaraes nicht nur in neuen Gebäuden wie der "Plataforma des Artes" niederlassen: In der Stadt stehen viele Fabrikgebäude leer. Bis in die 1980er Jahre war die Textil- und Schuh-Industrie wichtigster Arbeitgeber im Norden Portugals. Dann verlegten immer mehr Unternehmen ihre Produktion wegen der dort noch billigeren Löhne nach Osteuropa, China und Südostasien. In Guimaraes blieben leere Fabrikhallen zurück.

    In einer der ehemaligen Textilfabriken, einem komplett in schwarz gestrichenen Block in einer Seitengasse am Rande der Altstadt, ist das Zentrum für Kunst und Architektur, CAAA, eingezogen: ein gemeinnütziger Verein. Die jungen Mitglieder setzen sich für Kunst und Kultur ein. Manche gründen in den kleinen, mit Rigips- und Holzplatten abgetrennten Büros mitten in der Baustelle eigene Start-up-Unternehmen. Viele Wände sind absichtlich nicht verputzt. An manchen Stellen sieht man das rohe, alte Mauerwerk und dicke, silbrig glänzende Leitungsrohre. CAAA-Gründer und Architekt Ricardo Areias will auf den 1300 Quadratmetern ehemaliger Fabrikfläche vor allem Raum für experimentelle Kunst schaffen:

    "Deshalb sieht hier alles so unfertig aus, ein bisschen wie in einem Rohbau. Das gibt den Künstlern mehr Raum für ihre Fantasie."

    Einmal die Woche probt hier die Theatergruppe "Teatro do Frío", das Theater der Kälte. Die rund zehn Schauspieler der in Portugal bekannten Profi-Truppe kommen unter anderem wegen der günstigeren Miete aus dem 45 Kilometer entfernten Porto nach Guimaraes. Aber das allein ist es nicht - sagt Schauspielerin Catarina Laerda.

    "Guimaraes ist eine sehr offene und gastfreundliche Stadt. Durch den Titel Kulturhauptstadt werden einerseits neue Leute hierher gelockt und andererseits werden aber auch denen, die hier sind, neue Möglichkeiten eröffnet. Das gefällt mir."

    Die Stadt stellt die Räume - umbauen und renovieren müssen die Künstler aber selbst, sagt Ricardo Areias, Gründer und Leiter des "Centro para os assuntos de arte e arquitectura":

    "Wir arbeiten hier eigentlich ständig. Die Stunden zählen wir gar nicht mehr. Das meiste passiert dabei ehrenamtlich. Ursprünglich sind wir davon ausgegangen, dass wir ins Gebäude rund 90.000 Euro investieren müssen. Aber dann haben wir auch sehr viel Unterstützung von Unternehmen hier aus der Stadt bekommen. Es gab Leute, die uns Farbe geschenkt haben, andere haben die Elektrokabel gespendet, wieder andere Steckdosen oder Toilettenarmaturen. Den Wert dieser Spenden können wir noch gar nicht einschätzen."

    Bis zum Sommer soll die ehemalige Textil-Fabrik fertig umgebaut sein. Dann werden in den Ateliers und Büros Fotografen, Videokünstler, Grafikdesigner, Musikproduzenten und andere Kreative arbeiten. Geplant sind Gastateliers für auswärtige Künstlerinnen und Künstler, Filmvorführungen, Tanztheater, Workshops und Ausstellungen: zum Beispiel eine John-Cage-Retrospektive, eine Werkschau der Fluxus-Mitbegründerin Alison Knowles und eine Ausstellung zu den Arbeiten des österreichisch-tschechischen Architekten Adolf Loos.

    Das fertiggestellte CAAA wird nur eines von vier großen Kultur-Zentren der kleinen Stadt Guimaraes sein. Dazu kommen die "Plataforma des Artes", eine Kongresshalle mit 5000 Plätzen und diversen Nebenräumen und das 2005 neu gebaute Centro Cultural "Vila Flor", das mit seinen Theater-, Jazz- und Filmfestivals schon jetzt Publikum aus dem gesamten portugiesischen Norden nach Guimaraes lockt. Der etwas seelenlose, hypermoderne Neubau mit seinem hellen Parkettfußboden, blütenweißen Wänden und den großen Fenstern liegt etwas außerhalb der Altstadt in einer Wohn- und Kleingewerbeumgebung. Es gibt Platz für fast 1000 Zuschauer. Im Konzertcafé mit seiner großen Terrasse und dem parkähnlichen Garten finden kleinere Konzerte, Lesungen und Kunst-Performances statt.

    Im ursprünglichen Altbau, einem gründlich renovierten Stadtpalais aus dem 18. Jahrhundert bietet das Centro Cultural "Vila Flor" Ausstellungen und Konferenzräume. Was für eine Stadt mit gut 50.000 Einwohnern völlig überdimensioniert erscheint, funktioniert aber für Programmleiter Rui Torinha sehr gut:

    "Dahinter steckte das Bedürfnis, die kulturelle Entwicklung dieser Stadt auf ein höheres Niveau zu heben. Wir sind hier bereit, auch mal größere Risiken einzugehen, wenn wir an eine Sache glauben, die vielleicht erst in Zukunft ihr größeres Publikum finden wird. Diese Angebote mischen wir in unserem Programm mit den Inhalten, die sehr viel Publikum anlocken."

    Denn allein im letzten Jahr zählte das Tanzfestival dort mehr als 35.000 Besucher. Das kulturelle Angebot von Guimaraes kann durchaus mit dem vieler großer Städte mithalten. Fraglich bleibt allerdings, ob sich die kleine Stadt damit nicht übernimmt - dies meint auch José Paulo Pinto de Mesquito. Vor einigen Jahren hat er das Landgut seiner Familie am Stadtrand von Guimaraes übernommen: ein weitläufiges Weingut aus dem 17. Jahrhundert, dessen Hauptgebäude er zum edlen Gästehaus umbauen ließ. Auch wenn er sich auf die hoffentlich vielen in- und ausländischen Gäste im Kulturhauptstadtjahr freut, wird ihm angesichts der hohen Investitionen in so viele Kulturzentren doch etwas mulmig.

    "Ich befürchte schon, dass wir hier nach dem Kulturhauptstadtjahr einige weiße Elefanten haben werden, große Bauwerke, die wir dann nicht mehr brauchen und deren Unterhaltung viel Geld verschlingt. Die Plataforma des Artes ist zum Beispiel so ein großes Investment. Meine große Sorge ist, wie nachhaltig das auf Dauer sein wird. Guimaraes ist eine kleine Stadt. Damit springt man nicht über Nacht auf die touristische oder kulturelle Weltkarte. Da wurden schon überzogene Erwartungen geweckt."

    Die anderen beiden Teile der Serie "Das Konzept der Europäischen Kulturhauptstadt Guimarae":

    Kleinkünstler und Musiker in Guimaraes
    Auf den Bürger kommt es an