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Kulturelle Erneuerung Deutschlands

Nur sechs Wochen nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands wurde im Juli 1945 in Berlin der "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" gegründet. Namhafte Persönlichkeiten hatten sich zu dem parteiübergreifenden Bündnis zusammengeschlossen, um ein "neues" Deutschland zu schaffen. Der einsetzende Kalte Krieg mit seiner Blockkonfrontation ließ den Versuch eines geistigen Neubeginns Deutschlands über die Zonengrenzen hinweg aber bald scheitern.

Von Sylvia Conradt |
    4. Juli 1945. Die Berliner Philharmoniker eröffnen die erste Großkundgebung des "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands". Die überparteiliche Vereinigung von Künstlern und Intellektuellen ist im Großen Sendesaal des Rundfunkhauses an der Berliner Masurenallee zusammengekommen.

    "Wohin wir innerhalb unserer Grenzen blicken, wohin wir blicken, weit, weit über unsere Grenzen hinaus: Trümmer, Tod und Tränen. "

    Der Dichter Johannes R. Becher, Initiator des Kulturbundes.

    "Nur ein unheilbarer Irrer, nur ein hoffnungslos verstockter Verbrecher kann sich da noch der Einsicht verschließen, dass es bei uns und dass es mit uns und in uns anders, gründlich anders werden muss. "

    Johannes R. Becher war erst wenige Wochen vorher aus dem Moskauer Exil zurückgekehrt. Er hatte bereits dort an Plänen für ein Bündnis von Kultur- und Geistesschaffenden gearbeitet, die er bei seiner Rückkehr umgehend in die Tat umsetzte.

    Unterstützt von der Sowjetischen Militäradministration sammelte Becher eine Gruppe führender Vertreter des geistigen, politischen, religiösen und kulturellen Lebens um sich, getragen von dem gemeinsamen Willen, nach der Befreiung vom Faschismus ein "neues" Deutschland zu schaffen.

    Zur Großkundgebung am 4. Juli kommen 1500 Menschen. Allem Hunger, aller Not zum Trotz haben sie sich ihren Weg durch die Reichstrümmerstadt gebahnt, Fußmärsche von vier bis fünf Stunden zurückgelegt, erinnert sich Karl-Heinz Schulmeister, von 1957 bis1990 1. Bundessekretär des Kulturbunds.

    " Man war froh, dass aus der Emigration Künstler, Schriftsteller und Wissenschaftler heimkehrten. Und so kam man zusammen: Bernhard Kellermann als Schriftsteller, als einer der bekanntesten deutschen Schriftsteller, die in Deutschland geblieben waren, sprach. Dann Paul Wegener war ja allen bekannt als großer Schauspieler und auch die führenden Wissenschaftler der Preußischen Akademie der Wissenschaften waren vertreten."
    In seiner Rede beschwört Johannes R. Becher die Wiedergeburt der deutschen Kultur im Zeichen der Wahrheit, fordert die Anerkennung der deutschen Kriegsschuld, weist der Erziehung und Förderung der Jugend beim "Kampf um die Gesundung des Volkes" eine Schlüsselrolle zu und fährt fort:

    " Alle Deutschen, die guten Willens sind, beschwören wir: Es werde Licht. Lasst endlich, endlich ein freiheitliches, wahrhaft demokratisches Deutschland auferstehen. "

    Einen Monat später wurde Becher zum Präsidenten des Kulturbundes gewählt.

    Die erste kulturelle Organisation stieß in ganz Deutschland auf lebhaftes Interesse und fand überall Nachahmer, wie in Schwerin.

    "Wir hatten im Nu nach kurzer Zeit 5800 Mitglieder in der Ortsgruppe Schwerin. Das war fast gar nicht zu bewältigen, die Arbeit. Jeder zweite Tag war irgendeine Veranstaltung, Dichterlesungen, oder Theaterabende oder Konzerte. Also, es war eine ganz tolle Stimmung, in der wir manchmal mit hungrigem Magen in den Veranstaltungen saßen. Kunst war wie ein Lebensmittel, gehörte dazu zum Alltag. "

    Der Kulturbund förderte den pluralistischen Diskurs, zum Beispiel in Vorträgen, Arbeitsgruppen und in der Monatszeitschrift "Aufbau". Zu den Herausgebern und ständigen Mitarbeitern zählten neben anderen Heinrich Mann, Theodor Plivier, Willi Bredel, Ernst Wiechert, die CDU-Politiker Ferdinand Friedensburg und Ernst Lemmer.

    Aber im Kalten Krieg wurde dem Kulturbund gerade die Breite des Bündnisses zum Verhängnis - in Ost und West. Im Herbst 1947 verboten die westlichen Militärregierungen die Organisation in ihren Sektoren. In der sowjetischen Besatzungszone machte wenig später der ideologisch-politische Führungsanspruch der SED die Unabhängigkeit und Überparteilichkeit des Kulturbundes zunichte.

    In der DDR entwickelte sich der Bund zu einer Massenorganisation, dem "Kulturbund der DDR". Aus ihm ist 1990 der "Kulturbund" hervorgegangen, einer der größten Kulturvereine Deutschlands, der die meisten Mitglieder in den östlichen Bundesländern hat.