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Kulturkampf in Polen
Die Kulturszene probt den Aufstand

Polens Kulturszene macht mobil gegen die nationalistische Kultur- und Bildungspolitik der rechtspopulistischen PiS-Regierung. Proteste in Städten wie Krakau und Danzig mehren sich. Die Szene lässt sich auch nicht vom Sieg der PiS bei der Europawahl abschrecken und setzt auf Donald Tusk.

Von Günter Kaindlstorfer | 02.06.2019
Eine Wandmalerei des Street art Künstlers Mariusz Waras zeigt in blutrot den polnischen Politiker Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der nationalkonservativen PiS-Partei in einer römischen Toga als Julius Cäsar an einer Häuserwand in Danzig / Gdansk, Polen.
Eine Wandmalerei des Street art Künstlers Mariusz Waras: Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der nationalkonservativen PiS-Partei in einer römischen Toga als Julius Cäsar an einer Häuserwand in Danzig (imago / Michal Fludrax)
Die demokratisch-liberale Opposition trifft sich zu einer Kundgebung in der Warschauer Innenstadt. Tausende sind gekommen. Unter ihnen: die Übersetzerin Karolina Niedenthal mit ihrem Mann. Karolina Niedenthal hat unter anderem Bücher von Stefan Zweig und Martin Pollack ins Polnische übersetzt.
"Wir gehen oft auf die Straße, nicht nur wir, sondern alle unsere Freunde. Man weiß jetzt in Polen, wie man seinen Protest ausdrücken kann."
Was Karolina Niedenthal vor allem auf die Straße treibt: die restaurative Kulturpolitik der Regierung. Seit die PIS 2015 wieder an die Macht kam, toben heftige Kulturkämpfe im Land: Renommierte Theaterdirektoren in Krakau und Wroclaw wurden gefeuert, der Moderne gegenüber aufgeschlossene Kulturmanagerinnen entlassen, Museumsdirektionen umbesetzt. Widerstand gegen Moderne und westliche Dekadenz, lautet die Parole.
Bauernmalerei und traditionelle Musik
Ihre Basis hat die PIS vor allem in den ländlichen Regionen des Südens und des Ostens, weiß der Fotokünstler Chris Niedenthal.
"Das Schlimmste ist, dass die Leute auf dem Land ihre Informationen so gut wie ausschließlich vom polnischen Staatsfernsehen und Staatsradio beziehen. Die haben in der Regel keinen Zugang zu unabhängigen Medien. Und die Staatsmedien machen pure Propaganda im alten kommunistischen Sinn. Die bringen jede Menge Schund und alle möglichen Arten von Lügen, Halblügen und Unwahrheiten. Was immer die senden, die Wahrheit ist es nicht."
Die polnischen Rechtspopulisten wünschen sich eine patriotische Kunst, eine Kunst, die die Massen mit Bauernmalerei und traditioneller Musik erfreut. Die Lehrpläne in den Schulen werden mehr und mehr auf plumpen Nationalismus getrimmt. Die Polen, das sollen schon die Kleinsten lernen, seien ein leidgeprüftes und heldenhaftes, aber auch so etwas wie ein auserwähltes Volk.
"Nationalismus und Patriotismus sind exakt das, worauf es der Regierung in der Kulturpolitik ankommt. Die Theater sollen patriotische Stücke spielen, da geht es nicht darum, dem Publikum einen offenen Blick auf die Welt zu vermitteln oder neue ästhetische Horizonte zu eröffnen, darum geht es überhaupt nicht. Die Regierung ist da ganz, ganz altmodisch, in einem schlechten Sinn."
Patriotische Literatur
Der Publizist und Historiker Grzegorz Gauden sieht das genauso: Die PIS-Regierung fährt einen beinhart autoritären Kurs diagnostiziert er, auch im Bildungssystem:
"Die Lehrer haben keinerlei Mitentscheidungsrecht, wie die Lektürelisten in den Schulen aussehen sollen. Die Konsequenz ist: Die polnischen Schülerinnen und Schüler müssen sich heute in erster Linie mit patriotischer Literatur des 19. Jahrhunderts beschäftigen."
Rückenwind bekommt die liberale Opposition in Polen zur Zeit durch den Skandal, den zwei kirchenkritische Filme ausgelöst haben: Der Spielfilm "Kler" und die Filmdokumentation "Sag es bloß niemandem" setzen sich kritisch mit dem Thema "Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche" auseinander - Millionen Polinnen und Polen haben die Filme gesehen, die Emotionen gehen hoch.
"Wir haben in letzter Zeit heftige Diskussionen über die Rolle der Kirche, nachdem der neue Dokumentarfilm entstanden ist, bei dem der Kindesmissbrauch in einer unglaublichen Skala gezeigt wird. Es gibt sehr viele Stimmen, dass das der Anfang vom Ende der katholischen Kirche als Institution in Polen ist."
Möglicher Oppositonskandidat Donald Tusk
Tagespolitisch schlägt sich das allerdings noch nicht wirklich nieder. Bei den Europawahlen vor einer Woche hat die mit der Kirche verbündete PIS mit 45 Prozent einen überzeugenden Wahlsieg eingefahren, obwohl auch die Opposition gut abgeschnitten hat. Die Übersetzerin Karolina Niedenthal lässt sich davon nicht entmutigen. Sie setzt ihre Hoffnungen auf die polnischen Parlamentswahlen im Herbst. Und auf die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2020. Da könnte Donald Tusk für das Oppositionslager ins Rennen gehen. Eine Perspektive, die Niedenthal begeistert:
"Im Wahlkampf werden wir ganz bestimmt mitmachen und uns engagieren."