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Kunst aus der arabischen Welt
Ein Blick auf den liberalen Nahen Osten

Seit fast drei Jahren fegen Revolutionen durch den Nahen Osten. Die Diktatoren der alten Schule sind vom Thron gekippt. Dafür gewinnen Islamisten mancherorts an Einfluss. Wie steht es dabei um die Kultur zwischen Marokko und Saudi-Arabien? Ein Band aus der Reihe "Positionen" gibt einen Überblick.

Von Kersten Knipp | 17.02.2014
    Ein ägyptischer Soldat vor einer Wand in Kairo, mit Graffits von Opfern gewaltsamer Zusammenstöße.
    Die arabische Revolution wurde auch künstlerisch verarbeitet, wie hier in Ägypten. (picture alliance / dpa / Khaled Elfiqi)
    Vorsichtig schleicht der Schütze um die Ecke. Leicht geduckt mustert er das Terrain. Es scheint sauber: Kein gegnerischer Heckenschütze zielt auf ihn. Also hebt er selber das Gewehr und sucht ein Opfer. Doch einen Toten wird man in dem Video des libanesischen Künstlers Rabih Mroué vergeblich suchen.
    Keine Toten in Kriegen von größter Gewalt: In gewisser Weise scheint das Video absurd. Aber mehr noch ist es realistisch. Denn es nimmt vor allem die Inszenierung des Krieges in den Blick. Wenn moderne High-Tech-Kriege keine sichtbaren Toten mehr produzieren - dann kommt es umso mehr darauf an, die entsprechenden Bilder zu verstehen, erklärt der libanesische Künstler Rabih Mroué in dem vom Goethe-Institut und der Akademie der Künste herausgegebenen "Positionen"-Band zur Lage der Kultur in der arabischen Welt.
    "Ich kann nicht aufhören, über das off-image (das 'hors-champs') nachzudenken. Welche Dinge sehen wir, und welche Dinge können wir nicht sehen? Und sogar im Bild selbst stellt sich die Frage: Welche Dinge können wir nicht sehen?"
    Distanz schaffen - das ist die Arbeit eines Künstlers - aber nicht die eines Aktivisten. Als Aktivist sehe er sich zwar auch, erklärt Mroué. Aber wenn er als Aktivist erscheine, so Mroué, dann äußere er sich anders: entschiedener, eindeutiger. Als Künstler aber müsse er sich alle Sichtweisen und Denkmöglichkeiten offen halten.
    Genau das ist aber die Schwierigkeit, vor die sich fast alle der knapp 20 in dem Band interviewten oder porträtierten Künstler, Autoren, Filmemacher, Choreografen sehen angesichts der umwälzenden Entwicklungen in der arabischen Welt. Denn wie verhält man sich? Wie artikuliert man sich als Künstler - für die richtige Seite, aber ohne die Sache der Kunst zu verraten, ohne also ins Propagandistische zu verfallen?
    Künstler griffen Missstände auf
    Die Frage ist nur: Lassen schwierige oder gar extreme Situationen wie die derzeitigen Umwälzungen in der arabischen Welt unvoreingenommene Kunst überhaupt zu? Wenn Kunst, wie in diesem Band vielfach und wohl auch zu Recht behauptet, in den letzten 20, vielleicht sogar 30 Jahre dazu beigetragen hat, jenen revolutionären Funken zu züchten, der 2011 dann den großen Flächenbrand in Gang setzte - ist sie dann nicht ganz von selbst Partei?
    "Seit dem Jahr 2000", erklärt der ägyptische Schriftsteller Alaa al-Aswani, Autor des Bestsellers "Der Jakubian-Bau", "brodelte es in der ägyptischen Gesellschaft immer stärker. In den 1980er und 1990er Jahren befanden wir uns in der Krise; sie war überall - in der Literatur, im Theater, im Kino." Autoren griffen die Missstände als Stoff ihrer Bücher auf, Maler brachten sie auf die Leinwand, Filmemacher verwandelten sie in Bilder. Sie konnten wohl kaum anders, denn so wie bisher ging es nicht weiter. "Am Ende war die Mubarak-Regierung kein Regime korrupter Politiker", erklärt Al-Aswani. "Sie waren Verbrecher und Mafiosi."
    Die Frage ist nur, ob die Aufstände die Dinge wirklich zum Besseren gebracht haben, sich die demokratischen Anliegen unverzerrt erhalten lassen. Der Algerier Boualem Sansal, Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, ist wenig optimistisch. "Die arabische Welt existiert nicht mehr", erklärt er in dem Band. "An ihre Stelle ist die islamische gerückt."
    Darum stellt sich die Frage nach den Wirkungsmechanismen von Kunst und Literatur mit doppelter Dringlichkeit. Sicher, Kultur bewirkt etwas. Der saudische Künstler Ahmed Mater verweist auf die riesige Twittersphäre in seinem Land, die insbesondere den jungen Saudis eine Möglichkeit bieten, einen alternativen Korruptionsraum zu entwickeln. Auch der ägyptische Schriftsteller und Essayist Alaa Khaled verweist auf die neuen Medien und die Energien, die sie freigesetzt haben. Das Problem ist nur: Auch die "Anderen", die Fundamentalisten und Extremisten, nutzen die Neuen Medien. Es handelt sich also um ein zweischneidiges Schwert. Außerdem: Gerade die feinsinnigen Kanäle der Kunst drohen leicht unterzugehen. Die Künstler konkurrierten mit einer riesigen Non-Stop-Maschine namens Medien, erklärt Rabih Mroué. Und mit ihr zu konkurrieren, sei aussichtslos.
    Kulturelle Verhärtungen der letzten Jahre
    Aber vielleicht kommt die Erneuerung ja von den Rändern. Diesen Gedanken weckt jedenfalls das in dem Band abgedruckte Interview mit Ahmed Mater. "Edge of Arabia", "Rand Arabiens" heißt die von ihm begründete Kunstorganisation, deren Name sich nicht nur auf die arabische Halbinsel, also den äußersten Zipfel der arabischen Welt, bezieht. Sie meint insbesondere auch die Ränder dieses Randes, das Gebiet von Sanaa im Jemen bis nach Mekka und Medina. Die Region sei einst das kulturelle Zentrum der gesamten arabischen Halbinsel gewesen, erklärt Mater - bis zur Entdeckung des Erdöls. Seitdem stehe etwas anderes im Zentrum der Region: die Wüste. Das kann man durchaus metaphorisch verstehen. Mater spricht die kulturellen Verhärtungen, die Rückbindung der Freiheiten seit den 70er Jahren offen an. Eben darum sind die Traditionen für ihn so wichtig: "Wir möchten den alten Rand neu erfinden."
    Es geht um ein kulturelles Erbe, das sich den erfundenen Traditionen der jüngeren Zeit entgegenstellt, allen voran dem wahabitischen Rigorismus, einem Geschöpf des 18. Jahrhunderts, das manche Saudis nun in weite Teile der Welt exportieren. Die Empfänger dieser Botschaft diskreditieren derzeit die laizistische Opposition in Syrien. Sie zünden Autobomben im Libanon. Sie liefern sich Feuergefechte mit der schwachen libyschen Staatsmacht. Und in Deutschland wirbt sie Gotteskrieger an.
    Es sind solche Deformationen, denen sich der liberale Teil der arabischen Welt gegenüber sieht. Die Liberalen haben eine andere, ungleich verheißungsvollere, aber auch sehr viel anspruchsvollere Botschaft. "Ich suche die Besonderheiten oder Charakteristika meiner Person nicht in meinen Wurzeln oder Ursprüngen", umreißt Rabih Mroué sein Menschenbild. "Ich glaube nicht an Anfänge." So wunderbar das ist, so schwer lässt es sich umsetzen. In Ost und West hat Freiheit die gleiche große Schwäche: Man muss sie aushalten und gestalten können.
    Dieser Schwierigkeit nähert sich der "Positionen"-Band zur arabischen Gegenwartskunst mit großem Ernst. Die langen Interviews ermöglichen es den Künstlern und Autoren, ihre Sicht der Dinge ausführlich darzustellen. So erhält man einen anschaulichen Eindruck von den Schwierigkeiten, denen sich die Länder des Nahen Ostens gegenüber sehen. Wie sie sich konkret damit auseinandersetzen, zeigen die vielen Fotos von ihren Werken sowie dem Umfeld, in dem sie entstanden sind. Wer den liberalen, weltoffenen Nahen Osten sucht, der ist mit diesem ästhetisch sehr ansprechend aufgemachten Band sehr gut bedient.
    "Zeitgenössische Künstler aus der Arabischen Welt"
    Herausgegeben von Johannes Ebert, Günther Hasenkamp, Johannes Odenthal, Sarah Rifky und Stefan Winkler. Im Auftrag des Goethe Instituts und der Akademie der Küste. Reihe "Positionen" im Steidl-Verlag, 364 Seiten, 24 Euro.