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Kunst, die nicht still steht

In der Tradition von Marcel Duchamp, Man Ray und Wladimir Tatlin entstand in den Sechzigerjahren die Kinetische Kunst: Bewegliche Skulpturen, nicht selten aus Hunderten kleiner Einzelteile konstruiert, bewegten sich erratisch im Raum und definierten ihn durch diese zufällige Intervention neu. Eri Krippners Monografie über den Düsseldorfer Künstler Günter Haese stellt einen der wichtigsten Vertreter dieser Kunstrichtung vor.

Von Stefan Koldehoff |
    Die deutsche Kunst der unmittelbaren Nachkriegszeit war eine ernste Angelegenheit, und entsprechend ernst wirken bis heute ihre Werke. Nach zwölf Jahren der Isolation, des Abgeschnittenseins von der internationalen Moderne versuchten Maler und Grafiker, Bildhauer und Plastiker beinahe verzweifelt Anschluss zu halten. Die Lösung lautete Abstraktion und damit Unverbindlichkeit. Weil man in den Fünfzigern die Vergangenheit weder zu Bildern werden lassen konnte noch wollte, malte man so, wie man es aus den USA und aus Paris zu kennen glaubte: Farbenfroh und mit expressivem Gestus, aber um Himmels willen nicht so, dass sich irgendeine konkrete Aussage daraus ableiten ließ. Und weil die Öffentliche Hand das Gefühl hatte, an der Kunst etwas wieder gut machen zu müssen, wie das damals so schön hieß, kaufte sie die so wunderbar unverbindlichen Werke aus öffentlichen Mitteln an - um sie in öffentlichen Amtsstuben oder im öffentlichen Raum zu zeigen. Ernsthaft.

    Spaß machen, amüsieren, unterhalten gar durfte die Kunst erst in den 60er-Jahren wieder. Sie waren die hohe Zeit der ironischen Reflexion, der Aufarbeitung - aber auch des spielerischen Vergnügens am Ästhetischen. In jenen Jahren entwickelte sich in der Tradition von Marcel Duchamp, Man Ray und Wladimir Tatlin die Kinetische Kunst. Bewegliche Skulpturen, nicht selten aus Hunderten kleiner Einzelteile konstruiert, bewegten sich erratisch im Raum und definierten ihn durch diese zufällige Intervention neu. Eri Krippners Monografie über den Düsseldorfer Künstler Günter Haese stellt einen der wichtigsten Vertreter dieser Kunstrichtung vor, die zwischenzeitlich in Vergessenheit geraten war, jetzt aber wieder entdeckt wird.

    Der umfangreich bebilderte Band leistet dabei dreierlei: Er ist die Biografie eines bedeutenden deutschen Künstlers, ist Werkporträt und zeitgeschichtliche Einordnung einer Stilrichtung in der deutschen Nachkriegsplastik. Und er liefert zugleich Innenansichten aus einem Künstlerleben, denn die Autorin ist auch die Lebensgefährtin von Günter Haese. So gelingt es ihr, die Entstehung seines Oeuvres nicht nur detailliert zu beschreiben. Sie liefert auch Analysen des Werkprozesses, die einem Außenstehenden kaum möglich gewesen wären.


    In der Nähe der Autorin zu ihrem Objekt begründet liegt allerdings auch eine Schwäche ihrer Darstellung. Nicht nur einmal verliert sich Eri Krippner in der zu ausführlichen Darstellung von privaten Begegnungen und anekdotischen Ereignissen, die zwar damals für Günter Haese von Bedeutung waren, für seine heutige Wahrnehmung aber keine Relevanz mehr haben. Kinetische Kunst ist heute ein historisches Ereignis wie Happening und Fluxus: Sie hat Auswirkungen auf die Gegenwart, ist in ihr aber selber schon lange nicht mehr von Bedeutung. Weil der auch von der Münchener Galerie des Künstlers unterstützte und wohl kaum ausführlich lektorierte Band das manchmal in Abrede stellen will, entsteht der Eindruck, er diene nicht in erster Linie der sachlichen kunsthistorischen Einordnung des Künstlers sondern dessen unkritischer Lobpreisung.

    Günter Haese erweist man damit keinen Gefallen: Er ist auch ohne solche Gefälligkeiten ein bedeutender Künstler.

    Eri Krippner: Günter Haese - Kinetik ohne Steckdose
    (Verlag Prestel)