Donnerstag, 25. April 2024

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Kunst im Kanzleramt
Künstlerinnen und die deutsche Geschichte

Welche Kunst soll ins Kanzleramt? Emil Nolde musste wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheit raus, nun sind die Wände leer. Dabei gäbe es passende Bilder. Von Rebecca Horn oder Katharina Sieverding zum Beispiel, sagte Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart im Dlf.

Ulrike Groos im Gespräch mit Michael Köhler | 09.06.2019
Eine Frau betrachtet das Bild "Deutschland wird deutscher" von Katharina Sieverding (1992-Siebdruck auf Metall) in der Ausstellung "geteilt | ungeteilt Kunst in Deutschland 1945 bis 2010" in der Galerie Neue Meister in Dresden (02/2012 bis 08/2013)
Das Bild "Deutschland wird deutscher" von Katharina Sieverding (1992, Siebdruck auf Metall) - ein Vorschlag von Ulrike Groos, Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart, für das Kanzleramt (dpa-Zentralbild / Arno Burgi)
Spätestens als die Kanzlerin in ihrem Amtszimmer ein Landschaftsgemälde des beliebten deutschen Malers Emil Nolde wegen dessen nationalsozialistischer Sympathien abhängen ließ, wurde dem Letzten klar, dass es unschuldige Kunst nicht gibt. Seit den 1980er-Jahren war das eigentlich bekannt. Erst die Öffnung der Archive und eine neue Kunsthistorikergeneration fragte genauer nach. Eine weitere Ausstellung im Brücke-Museum unter dem Titel "Flucht in die Bilder" problematisierte die Rolle der "Brücke"-Maler. Wie vertragen sich Avantgardismus und Nationalsozialismus? Wie sehr passten sich die anderen an, suchten neue und andere Themen, Sujets, Malweisen?
Michael Köhler: In einer losen Folge fragen wir Kenner der Kunstgeschichte nach Empfehlungen fürs Kanzleramt. Was soll an die Wand, wenn es Emil Nolde und Karl Schmidt-Rottluff nicht mehr sind. Ulrike Groos ist Kunsthistorikerin, seit fast zehn Jahren Direktorin des Kunstmuseums Stuttgart. Kurzum, was empfehlen Sie?
Ulrike Groos: Also, ich finde es erst mal sehr, sehr wichtig, dass im Kanzleramt und auch im Büro von Frau Merkel, Kunst hängt. Denn wir sind ein Land der Kultur und man sieht es ja gerade in Berlin, dass sehr viele Künstlerinnen und Künstler aus der ganzen Welt dorthin gekommen sind, um dort unter besseren Bedingungen als teilweise in ihren anderen Ländern eben auch Kunstwerke zu machen. Und ich hab mir da Gedanken gemacht, was man da auswählen könnte.
Eine Schreibmaschine für die Wand
Groos: Und ich sitze ja seit einiger Zeit in der Ankaufkommission des Bundes und ich hab da einfach mal die Bücher durchgeblättert und da ist mir eben aufgefallen, dass es sehr viele Künstlerinnen und Künstler gibt, die sich mit der deutschen Geschichte eben beschäftigen. Also warum nicht eines oder mehrere Kunstwerke auswählen, in dem das Thema Deutschland eine Rolle spielt? Und dann fiel mir noch auf, dass es sehr viele Künstlerinnen gibt, die sich mit diesem Thema beschäftigt haben und deswegen würde ich im Folgenden gerne aus dieser Sammlung des Bundes, das ist ja auch sehr praktisch, die ist eingelagert, in der Nähe von Berlin, etwas auszuwählen, was man dort anbringen könnte. Nicht nur Bilder, sondern auch Objekte. Und da bin ich gestoßen auf Rebecca Horn. Eine sehr schöne Arbeit, die "Erika" heißt. Und die besteht aus einer Schreibmaschine, Metallstäben, einem Elektromotor und einem Timer. Und man muss sich das so vorstellen: es hängt dann eine Schreibmaschine an der Wand, über ihr vier senkrechte Metallstäbe, diese tippen in regelmäßigen Zeitabständen auf die Tastatur – aber sehr, sehr leise. Und dieser weibliche Vorname, wonach diese Arbeit benannt worden ist, verweist…
Köhler: … auf eine Reiseschreibmaschine!
Groos: Genau! Auf die gleichnamige Dresdner Schreibmaschinenfirma, die 1910 eben die erste deutsche Reiseschreibmaschine hergestellt hat. Und wenn man sich dann mit "Erika" beschäftigt, das ist ja ein gängiger Frauenname, vor allen Dingen früher sehr beliebt, der aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt mit – und das ist jetzt sehr interessant – die "Alleinmächtige" übersetzt werden kann. Ist das nicht wunderbar? Diese Art meditativer Kommunikation dort an der Wand, also im Grunde ein Alltagsgerät, das aber inzwischen schon eine gewisse Nostalgie angesetzt hat, in einer so poetischen Installation auf der Rückwand zu zeigen, das fänd ich ganz wunderbar. Es gibt aber auch noch andere Bilder – ich darf einfach ein bisschen weitermachen?
Der Palast der Republik im Film
Köhler: Ja, vor allem interessant ist, dass Ihnen eben nicht Baselitz oder Kiefer oder Immendorff oder solche großdeutschen Mahler, die einem zum Thema deutsche Geschichte einfallen, sondern eine Frau mit einer ganz anderen Art von Kunst. Das ist ja das Interessante.
Groos: Genau. Dresdner Schreibmaschinen-Firma, die ist 1992 entstanden. 1992 auch eine ganz andere, sehr interessante Arbeit von Katharina Sieverding, "Deutschland wird deutscher". Also da ist dieser Begriff Deutschland, das Thema Deutschland schon im Titel drin. Man muss sich das so vorstellen: Es ist ein metallisches Großformat, es ist ein Foto der Künstlerin zu sehen, das Gesicht umgeben von geworfenen Messern und das hat sie 1993 in Berlin plakatiert, und hat damit das damalige politische Klima in der Zeit nach dem Mauerfall gezeigt. Und das ist auch gerade vor der jetzigen Geschichte interessant, weil es eine unmittelbar politische Aussage besitzt, da 1992 in verschiedenen deutschen Städten neonazistische Anschläge verübt wurden. Und damit hat Katharina Sieverding in Berlin mit diesen Postern daran appelliert, genauer hinzuschauen und wachsam zu sein und offener zu sein. Und das gibt es wirklich als ein wunderbares Großformat mit Metallrahmen, vier Teile, 300 mal 400 Zentimeter – das sähe doch wunderbar auf dieser Rückseite.
Tacita Dean, weitere Künstlerin, gibt’s einen tollen Film, "Palast", in dem sie den mittlerweile abgerissenen Palast der Republik zeigt, ein ganz toller Film, in dessen braunen Fensterschieben sich die untergehende Sonne spiegelt. Oder eine Farnfotografie-Serie mit dem Ostberliner Fernsehturm, "Alex". Also man könnte das sehr weit fortsetzen, ich war überrascht, wie viele Künstlerinnen es gerade gibt, Künstler gibt es natürlich auch, aber die sich mit deutscher Geschichte, mit deutscher Architektur, Nachkriegsarchitektur oder ähnlichen Themen beschäftigt haben.