Freitag, 29. März 2024

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Diskussion um NS-Verstrickung
Nolde, die Nazis und das Kanzleramt

Er war ein bedeutender Maler und er war Rassist. Emil Noldes berühmte Blumenbilder könnten nicht von seiner Blut-und-Boden-Ideologie getrennt werden, sagte der Düsseldorfer Museumsdirektor Felix Krämer im Dlf. Noldes Gemälde im Kanzleramt seien keine gute Wahl.

Felix Krämer im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 29.03.2019
Felix Krämer, Generaldirektor des Kunstpalastes, eröffnet die Ausstellung zu Fotografinnen an der Front am 07.03.2019
Felix Krämer, Generaldirektor des Kunstpalasts in Düsseldorf, hat Noldes Verstrickungen mit dem Nationalsozialismus im Jahr 2014 im Städel-Museum thematisiert (imago / Oliver Langel)
Maja Ellmenreich: Roter Mohn, Kahn im Schilf und nordfriesische Landschaften – politisch unverfänglicher geht es – auf den ersten Blick zumindest - eigentlich kaum, als auf den Bildern von Emil Nolde, einem der wohl wichtigsten Vertreter des Expressionismus in Deutschland. Die vermeintlich harmlosen Bilder auf der einen Seite – auf der anderen: die Verbannung dieser Bilder aus den Museen während des Nationalsozialismus. Und dann: Noldes NSDAP-Parteimitgliedschaft, seine nationalsozialistische Gesinnung, seine eindeutig antisemitischen Äußerungen.
Obwohl all das schon seit geraumer Zeit bekannt ist, wird in der übernächsten Woche erst eine Ausstellung in Berlin, im Museum "Hamburger Bahnhof", eröffnet, die Emil Noldes Rolle im Nationalsozialismus näher beleuchtet.
Felix Krämer ist Generaldirektor des Kunstpalastes in Düsseldorf, er hat vor Jahren – als Kurator beim Frankfurter Städel - bereits auf diese Verstrickungen Noldes hingewiesen. Ich habe ihn vor der Sendung gefragt: Warum braucht es über 70 Jahre, bis eine Ausstellung in Deutschland die Bilder von Emil Nolde erstmals in ein historisch kritisches Licht rückt?
Felix Krämer: Wir hatten im Städel-Museum 2014 eine Retrospektive zu Emil Nolde gemacht und haben in dem Kontext sehr klar, sehr deutlich auf diese Verstrickungen hingewiesen – sowohl in der Ausstellung als auch im Katalog. Und aus dieser Beschäftigung ist letztendlich dann das Projekt erwachsen, das jetzt zu der Ausstellung in Berlin führt, das sich aber anders als wir wirklich ganz nur auf dieses Thema fokussiert.
Ellmenreich: Sie sagen, Sie haben sich damit schon beschäftigt in Frankfurt im Städel. Dennoch gilt aber Emil Nolde weiterhin als "der" Heimatkünstler, der diese, wie ich sie genannt habe, vermeintlich unverfänglichen Bilder gemalt hat. Dieser Ruf haftet ihm weiterhin an, und das in erster Linie?
Krämer: Genau, und das finde ich schon auch faszinierend. Es braucht nur einen flüchtigen Blick ins Internet; da sieht man eine ganze Reihe von Berichten, die darauf hingewiesen haben, immer wieder. Und trotzdem sind die Bilder, glaube ich, in ihrer oberflächlichen Betrachtung einfach wahnsinnig schön, wahnsinnig ansprechend, so dass man diese inhaltliche Seite darüber leicht vergisst.
"Er war ein überzeugter Nationalsozialist"
Ellmenreich: Dürfte man denn Ihrer Meinung nach jetzt zum Beispiel ein Bild von den roten Mohnblumen nicht mehr unvoreingenommen ansehen und sich einfach unvoreingenommen darüber freuen?
Krämer: Na ja. Ansehen ist immer interpretieren. Ich glaube, das ist eine Grundvoraussetzung. Dessen sollten wir uns bewusst werden. Es ist bei Nolde, und das ist unstrittig mittlerweile: Er war ein überzeugter Nationalsozialist. Wir haben es hier mit einem Antisemiten, einem Rassisten zu tun, der bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs fest daran glaubte, und das ist das Faszinierende oder das, was einen so sprachlos macht, dass er, obwohl er diese Überzeugung hatte, gleichzeitig aus den Museen. Seine Bilder wurden beschlagnahmt. Er war in der ersten Ausstellung zur entarteten Kunst sehr präsent. Darauf basierte diese Legende des Opfers, des Verfolgten und die wurde sehr geschickt nach dem Zweiten Weltkrieg bis wirklich auch in die jüngste Gegenwart gestrickt.
Aber ich glaube, was wir uns bewusst machen müssen bei Nolde ist, wenn wir uns die Bilder anschauen: Ideologie funktioniert ja nicht immer nur auf der Oberfläche und natürlich ist so ein Bild, so eine Blumendarstellung auf den ersten Blick natürlich erst mal harmlos. Wenn man dann aber über seine Blut- und Boden-Vorstellung, Vorstellung von Heimat, Vorstellung von Rasse weiß, dann, finde ich, kommt man schon noch ins Nachdenken. Um nicht missverstanden zu werden: Ich glaube, Nolde hat einen festen Platz in der Kunstgeschichte und der ist auch unstrittig. Aber trotzdem sollte man sich solche Bilder wie alle Kunst mit wachem Geist anschauen.
"So tun, als wären das einfach nur bunte Bilder?"
Ellmenreich: Dürfen Sie als Museumsmacher keinen Nolde mehr ins Museum, in eine Ausstellung hängen, ohne begleitende Informationen dazu zu schreiben?
Krämer: Da kann man natürlich die Frage stellen, sozusagen einen Gewissenstest. Da würden eine ganze Reihe von anderen Malern natürlich auch durchfallen. Dessen müssen wir uns bewusst werden. Ich finde es aber schwierig, wenn wir sagen, einen Arno Breker, den dürfen wir, können wir uns nicht anschauen, weil wir alle wissen, das war ein überzeugter Nationalsozialist, wir aber, wenn wir Nolde-Bilder betrachten, dann so tun, als wären das einfach nur bunte Bilder. Die Vorstellung ist ja naiv zu glauben, das was er malt hätte nichts mit seinen Überzeugungen zu tun. Der wusste ja was er da macht. Nolde war natürlich überzeugt: In dem Moment, wo er gemalt hat – und das kann man auch im Werk sehen: das Werk verändert sich nach 1933, zwischen 1933 und 1945 -, dass er natürlich der Überzeugung war, dass er im Sinne seiner Gesinnung handelt.
Ellmenreich: Sie haben gerade gesagt, er wusste was er macht. Das bringt mich zu einem anderen Punkt. Altbundeskanzler Helmut Schmidt war ein bekennender Nolde-Verehrer und auch im Büro der amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel sollen Bilder von Emil Nolde hängen. Ist das aus politischer Sicht beziehungsweise auch angesichts der Positionen, die Helmut Schmidt inne hat, und Angela Merkel inne hat, ist das der adäquate Umgang in Deutschland mit der Kunst eines Hitler-Getreuen?
Krämer: Es gibt da auch noch die andere Geschichte mit Siegfried Lenz und der Deutschstunde. Dieses Buch haben die meisten von uns in der Schule gelesen, oder wenn sie es nicht in der Schule gelesen haben, haben sie es auf andere Art und Weise mitbekommen. Da wird die Legende von dem Hansen, wo ganz klar ist, das spielt auf Nolde an, dieser Opfermythos genährt. Das hat sich in das kollektive Bewusstsein doch tief eingegraben. Es gab einen Nolde-Saal in Bonn. Helmut Schmidt hat Ausstellungen zu Emil Nolde mit kuratiert, organisiert, hat privat selber auch Nolde-Bilder gesammelt. Das alles hat zu diesem Mythos beigetragen. Wenn jetzt im Kanzleramt Nolde-Bilder hängen, finde ich, muss man sich schon fragen, ob das der Künstler ist, der die Bundesrepublik im Jahr 2019 repräsentiert.
"Naiv zu glauben, man könnte die Überzeugung eines Künstlers von seinem Werk trennen"
Ellmenreich: Würden Sie Angela Merkel empfehlen, diese Bilder lieber abzuhängen?
Krämer: Ich finde, die Frage ist durchaus legitim. Ich will das nicht verwechseln. Ich finde es wichtig, dass die Bilder in Museen hängen und dass wir uns dieses Teils unserer Geschichte auch bewusst machen. Ich stelle mir aber vor, wenn man Repräsentanten aus dem Ausland empfängt, zum Teil auch aus Ländern, wo Deutschland gewütet hat, und man sitzt dann unter einem Bild eines überzeugten Nazis – ich bin mir nicht sicher, ob das die richtige Wahl ist.
Ellmenreich: Ich frage es noch mal anders. Hängt im Büro von Angela Merkel jetzt Nazi-Kunst, oder die Kunst eines Nazis?
Krämer: Genau das ist eine interessante Frage. Aber was ist Nazi-Kunst? Das hat mir noch niemand wirklich schlüssig beantwortet. Und ich finde es einfach grenzenlos naiv zu glauben, man könnte die Überzeugung eines Künstlers von seinem Werk trennen. Das ist schlechterdings nicht möglich.
Ellmenreich: Da sind wir eigentlich auch bei allen möglichen anderen Diskussionen: natürlich die #metoo-Debatte. Das Theater und der Film und die Kunst haben natürlich alle die Diskussion, wie kann man das voneinander trennen. Ich verstehe Sie richtig? Sie sagen, man kann es nicht voneinander trennen?
Krämer: Man kann es natürlich nicht voneinander trennen, weil Nolde war ja nicht naiv. Der wusste genau, was er da macht. Der hat ja nicht gegen seine eigenen Überzeugungen gehandelt. Das wäre dann ja die Konsequenz, dass man sagt, er hat eigentlich so gemalt, dass er seine Überzeugungen widerlegen wollte. Dafür gibt es ja keinen Anlass, das anzunehmen. Ich will aber nicht missverstanden werden. Ich finde, es ist wichtig, dass wir uns in den Museen damit auseinandersetzen. Ich finde es auch wichtig, dass die Bilder besprochen werden, dass sie hängen. Ich bin mir nur nicht ganz sicher, ob das Bundeskanzleramt der richtige Ort dafür ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.