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Kunst oder nicht Kunst

Am Werk des Außenseiters Horst Janssen scheiden sich die Geister. Die einen halten ihn für einen der wichtigsten deutschen Zeichner der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der intellektuelle Kunstbetrieb hingegen ignorierte das Multitalent weitgehend, das nicht nur zeichnete, sondern auch schrieb.

Von Carmela Thiele |
    "Ich bin in Hamburg geboren und nach Oldenburg gefahren, um nach 15 Jahren wieder nach Hamburg zurückzukommen, wo ich die Kunstschule besuchte, solange man es duldete. Danach habe ich gezeichnet bis heute und Fett angesetzt."

    Horst Janssen 1965 bei der Eröffnung seiner Ausstellung in der Kestner Gesellschaft in Hannover, seit der er als "etabliert" galt und seine Blätter nicht mehr selbst zu niedrigen Preisen an Freunde und Freundesfreunde verkaufte. Er war Mitte 30 und zeichnete gegen den Zeitgeist, figürlich, Protokolle seiner Befindlichkeiten, geschult an den alten Meistern, Goltzius oder Goya, und dem, was er mit eigenen Augen sah. Dabei hat er es technisch zu einer ungeheuren Meisterschaft gebracht.

    "Also, wenn ich nicht stinkbesoffen bin oder nicht ganz unlustig bin, dann tut die Hand genau das, was ich will. Sonst wäre es also ganz schlecht. Ein klein bisschen zu viel Schwärze an einer Stelle, nicht wahr, wo der höchste plastische Punkt ist, würde die Sache also mir zum Ärgernis machen."

    Bekannt sind seine verfremdeten, wie zerflossen wirkenden Selbstbildnisse, insbesondere der Radierzyklus "Hanno's Tod" aus dem Jahr 1972, bei dem er schonungslos - am Beispiel seines eigenen Gesichts - Deformation, Auflösung und Verfall darstellte. Auf das Thema und Thomas Manns Roman "Die Buddenbrooks" kam er durch einen seiner engeren Freunde, Joachim Fest, damals noch Chefredakteur beim NDR-Fernsehen.

    "Ich las Janssen Passagen über den Tod Hannos vor und, weil er mehr hören wollte und ich einmal am Zuge war, auch noch die Sterbeszene der Konsulin. Als ich endete, liefen ihm die Tränen herunter, und um ihm etwas Distanz zu seinen Gefühlen zu verschaffen, erzählte ich ihm von der Äußerung Thomas Manns, mit dem Tod wisse er umzugehen, in Todeskämpfen sei er nun mal 'stark'. Noch während er sich die Tränen mit dem Hemdkragen wegwischte, schien er plötzlich eine Art handwerklicher Eifersucht zu empfinden und rief dazwischen: 'Ich aber auch! Ich auch!'"

    Der Tod war es, der Horst Janssen aus der Idylle seiner Kindheit gerissen hatte. Er war erst zehn Jahre alt, als sein Großvater starb, bei dem er in Oldenburg aufgewachsen war. Vier Jahre später verlor er seine Mutter.

    "Opa war Schneider von der Art, die noch mit untergeschlagenen Beinen auf dem Tisch saß, neben dem Flickenhaufen, mit Sonnenflecken im Gesicht und Elefantenei unterm Tisch zum Aufbügeln der Herrenmäntel. Die Werkstatt wurde mit einem Torfofen geheizt und war mit Modellbögen gänzlich tapeziert. Vergilbte Herren in Maßanzügen mit und ohne Windhund."

    Der kleine Horst, geboren am 14. November 1929 in Hamburg, war ein guter Beobachter. In der sogenannten Napola von Haselünne, einer der Erziehungsanstalten der NS-Diktatur, lernte er zeichnen. Dorthin hatte man ihn nach dem Tod des Großvaters gebracht. Und gerade dort förderte ihn der Kunstlehrer. Nach dem Krieg wurde Janssen an der Landeskunstschule in Hamburg aufgenommen. Er versuchte sich im Holzschnitt, ahmte den Stil des in den 1950er-Jahren populären Bernard Buffet nach, dessen Vorliebe für schwarze Konturen nachlebte in den Plattencovern und Buchillustrationen, die Janssen für den Liedermacher Franz Josef Degenhardt schuf.

    "Es zeichnet mich aus: das, was man im Literarischen die Reportage nennt oder den guten Journalismus. Es ist weit davon entfernt, statische Kunst zu sein oder so. Ich habe immer Wert darauf gelegt, Kunst zu vermeiden."

    Kunst oder nicht Kunst: Am Werk des Außenseiters Horst Janssen scheiden sich die Geister. Die einen halten ihn für einen der wichtigsten deutschen Zeichner der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der intellektuelle Kunstbetrieb hingegen ignorierte das Multitalent weitgehend, das nicht nur zeichnete, sondern auch schrieb.

    1995 starb der letzte Bohemien Hamburgs an einem Herzschlag. Zu entdecken bleibt der Autor Janssen, dessen schnoddrig-schöne Sprache womöglich auch denen gefällt, denen seine Zeichnungen zu nah dran sind an der Illustration.

    Weitere Informationen:

    hamburger-kunsthalle.de

    horst-janssen-museum.de