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Kunst und Computerspiele
Pixelwelt statt Hyperrealismus

"Digital Games", eine aktuelle Aachener Ausstellung, zeige Alternativen zu konventionellen Computerspielen, so ihr Kurator Stephan Schwingeler. Der Professor für Game Studies sieht Computerspiele als eine eigene Kunstgattung.

Stephan Schwingeler im Corsogespräch mit Sören Brinkmann | 08.11.2017
    Screenshot aus dem Playstation-Spiel "Everything"
    In "Everything" kann der Spieler jedes einzelne Element eines ganzen Kosmos steuern (Sony Entertainment)
    Sören Brinkmann: In Aachen läuft zurzeit die Ausstellung "Digital Games. Kunst und Computerspiele", denn Computerspiele sind aus Sicht der meisten immer noch zur Unterhaltung, zur Bespaßung und Zerstreuung da, aber sie befinden sich in einer Phase der Öffnung zur Kunst, finden die Ausstellungsmacher von "Digital Games". Auf der einen Seite wenden sich Künstlerinnen und Künstler dem neuen Medium zu, auf der anderen Seite gibt es ein gesteigertes Interesse an experimentellen, progressiven Ideen im Gamedesign, so heißt es im Ausstellungstext. Stephan Schwingeler ist Professor für Game Studies und er hat die Ausstellung konzipiert. Willkommen zum Corsogespräch, Herr Schwingeler.
    Stephan Schwingeler: Guten Tag, hallo!
    Brinkmann: Wie viel Kunst steckt im Computerspiel?
    Schwingeler: Kunst und Computerspiele sind eine ganz interessante Verbindung. Computerspiele sind natürlich zuerst einmal ganz wunderschön anzusehen, viele davon jedenfalls, und sie klingen ganz wunderbar. Das heißt also, wir haben direkt schon mal eine sehr üppige audiovisuelle Oberfläche. Sie sind aber noch mehr als ihre Oberflächen, man handelt nämlich mit ihnen, es gibt "Gameplay", man spielt mit ihnen, man geht mit ihnen um. Und diese neue interaktive Komponente ist gewissermaßen eine neue Qualität, die Computerspiele als neue Kunstgattung, als neue Kunstform, dann eben auch von anderen, traditionsreicheren Gattungen wie Malerei, Skulptur und so weiter dann eben auch unterscheidet.
    "Ein nichtgespieltes Spiel ist ein furchtbar trauriges Ding"
    Brinkmann: Was ist da anders im Vergleich zu früheren Spielen, Jump 'n' Run-Spielen, wenn man sich noch an Super Mario oder ähnliches erinnert?
    Schwingeler: Wir zeigen in der Ausstellung "Digital Games" Computerspiele, die Alternativen darstellen zu Mainstream-Computerspielen, zu konventionellen Computerspielen. Wir zeigen Computerspiele, die ganz interessante ästhetische Erfahrungen bieten, ich sage mal ein Beispiel aus dem Bereich der Bildenden Kunst: Wir haben zum Beispiel den Künstler Bill Viola in der Ausstellung, der berühmt ist für seine Videokunst. Und der hat seit 2007 auch die Arbeit an einem Computerspiel begonnen und übersetzt da seine videokünstlerischen Arbeiten in eine neue, interaktive Form. Man schwebt da in so eine surrealistische Traumlandschaft hinab und muss mit seiner Spielfigur einen Traum durchqueren.
    Brinkmann: Also Videokunst, etwas Altbekanntes, was dann einfach interaktiv gemacht wird, oder wie?
    Schwingeler: Viola entdeckt die neuen Möglichkeiten des Computerspiels. Und man kann nicht sagen, dass er einfach seine Videokunst 1:1 übersetzt und dann kann man sie auf einmal steuern, sondern Computerspiele bestehen ja aus mehr als aus ihren Bildern, sodass da vor allem interessant ist daran, dass die Spielerin, der Spieler, mit den Spielen umgeht, sie spielt. Ein nichtgespieltes Spiel ist ein furchtbar trauriges Ding.
    Wir haben noch länger mit Stephan Schwingeler gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Brinkmann: Sie haben eben erklärt, dass es bei Ihnen um Spiele mit einem experimentellen künstlerischen Anspruch geht. Wenn wir uns die großen – auch kommerziell erfolgreichen – Spiele anschauen, da geht es dann doch vor allem darum, möglichst realitätsnahe Darstellungen zu liefern, seien es Sportspiele oder auch Egoshooter. Ist da auch Platz für Designkunst?
    Schwingeler: Man kann natürlich davon ausgehen, dass vor allem die großen Produktionen eine Ästhetik haben und einer Ästhetik nacheifern, die man als Fotorealismus oder die man sogar als Hyperrealismus bezeichnen kann. Es gibt aber noch ganz viele andere Möglichkeiten, Computerspiele zu gestalten, also man kann auf der gesamten Klaviatur gestalterischer Möglichkeiten da spielen. Es gibt Spiele, die sehen aus wie alte Pixelwelten, es gibt Spiele, die sind abstrakt, es gibt Spiele, die lehnen sich an an handgemachte Animationen, es gibt Spiele, die sind aus Knete und so weiter und so fort. Das heißt also, wir haben alle Möglichkeiten des gestalterischen Ausdrucks. Und man sieht aber an den Gegenpositionen und an den künstlerischen, experimentellen, progressiven Spielen, dass sie eben dieser Ästhetik des Fotorealistischen oder des Hyperrealistischen nicht nacheifern, sondern eine eigene Position entwickeln.
    A-perspektivische Räume, ein ganzer Kosmos als Spielmaterial
    Brinkmann: Und können da die großen – Blockbusterspiele nenne ich sie mal – was lernen von den experimentellen Spieldesignern?
    Schwingeler: Meine Überzeugung ist, dass von der Kunst immer viel zu lernen ist. Also, die großen Produktionen können sich die Kunstspiele natürlich ansehen und auch aneignen – und das sehen wir auch: Also, wir haben auch in der Ausstellung das Spiel "Monument Valley" zum Beispiel, was sehr bekannt ist und was ein großer Hit für Smartphones und Tablets gewesen ist. Und da sehen wir aber, dass da eben auch ganz klar eine kunsthistorische Hommage eine Rolle spielt. Das Spiel besteht nämlich aus a-perspektivischen unmöglichen Räumen, die ganz stark an Grafiken von M.C. Escher erinnern. Und diese werden dann gewissermaßen zum Spielprinzip, indem diese Unmöglichkeit der Escher-Räume im Spiel durch die Spielmechanik dann wieder möglich gemacht wird.
    Brinkmann: Ich greife mal ein Spiel heraus, das von David O'Reilly gemacht wurde: "Everything". Vielleicht können Sie ein bisschen was erzählen zu der Darstellung – das wurde in einer Kritik als "Meisterwerk" und zugleich "das irrste Spiel dieses Jahres" bezeichnet. Vielleicht können Sie ein bisschen sagen, worum es geht?
    Schwingeler: Man kann in diesem Spiel jedes Ding und jedes Objekt steuern und bewegen und "bevölkern" sozusagen. Es ist die Simulation eines gesamten Kosmos und man kann von der Blütenpolle über den Grashalm bis zur Sonne selbst alle Dinge steuern und alle Dinge verkörpern. Das ganze ist verknüpft mit der Philosophie Alan Watts', der sagt: Alles ist in allem zuhause. Und daher eben auch der Titel.
    Spielperformance zwischen Düsseldorf und Aachen
    Brinkmann: Ein Beispiel, das zu sehen ist jetzt in der Ausstellung "Digital Games. Kunst und Computerspiele". Aber die Besucher können auch selbst aktiv werden, zum Beispiel bei "Roland klaut das Klo". Ich lese mal kurz das Spielziel vor, da geht es darum: "Roland möchte das goldene Klo aus der Vitrine klauen. Er hat dazu acht Minuten Zeit, so lange ist der Museumswärter auf der Toilette." Über Skype werden die beiden Spielorte – das sind in dem Fall Düsseldorf und Aachen – miteinander verbunden. Und dann geht es darum, dass auf beiden Seiten, in Düsseldorf und in Aachen, die Spieler versuchen, das Klo zu klauen?
    Schwingeler: Genau. Also, Sie sehen: Es geht auch nicht immer bierernst zu, sondern das macht auch Spaß. Und "Roland klaut das Klo" ist eine Spielperformance mit echten Schauspielern. Wir verklammern zwei Spielorte, das ist mir ganz wichtig zu sagen, das ist nämlich eine Kooperation mit dem "Next-Level-Festival", das morgen eröffnet, in Düsseldorf, im NRW-Forum. Und wir verklammern Düsseldorf und Aachen miteinander. Und heute Abend, bei der Eröffnung von "Digital Games", kann man Roland steuern. Roland ist ein Schauspieler, der in dieser Computerspielwelt sich befindet. Das heißt also, unsere Besucherinnen und Besucher müssen Duchamps' Pissoir, Duchamps' Klo klauen. Aber die Pointe an der Sache ist eben, dass ein Schauspieler wie eine Computerspielfigur agiert und gesteuert wird von unseren Museumsbesucherinnen und -besuchern.
    Brinkmann: Das ist zu erleben heute Abend im Ludwig Forum für Internationale Kunst in Aachen. Dort läuft ab heute Abend die Ausstellung "Digital Games. Kunst und Computerspiele" und darüber habe ich gesprochen mit dem Ausstellungsmacher Professor Stephan Schwingeler, Professor für Game Studies. Vielen Dank für das Gespräch.
    Schwingeler: Sehr gerne, herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.