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Kunstfest Weimar
Moderne in der Stadt der toten Dichter

"Wozu Kunst?" ist das Motto des diesjährigen Kunstfestes in Weimar. Es beantwortet die Frage mit Konzerten, Lesungen, Performances, Theaterstücken betont politisch. Und setzt damit auch bewusst einen Kontrast zu den Stadtgrößen Goethe und Schiller. Die Finanzierung ist allerdings nur noch für zwei Jahre gesichert.

Von Henry Bernhard | 20.08.2016
    Aktion auf dem Kunstfest in Weimar.
    Aktion auf dem Kunstfest in Weimar. (Deutschlandradio - Henry Bernhard)
    "Das Kunstfest Weimar versucht, ein Stück Welt nach Weimar zu bringen; und es versucht, der Welt zu zeigen, dass Weimar eine lebendige, pulsierende Stadt – nicht nur eine Stadt der toten Dichter, sondern auch eine Stadt der Kunst der Gegenwart – ist. Und dass von hier aus tatsächlich auch noch künstlerische Impulse ausgehen."
    Das sagte Christian Holtzhauer, der künstlerische Leiter des Kunstfests, gestern Nachmittag bei der Eröffnung des Kunstfests vor dem Deutschen Nationaltheater in Weimar, nur ein paar Meter vom Denkmal der Lokalheroen Goethe und Schiller entfernt.
    Kunst auf der Straße
    Holtzhauer ist es in den drei Jahren an der Spitze des Kunstfests gelungen, das Festival ins Herz der Stadt zu tragen, nicht nur den Kopf, sondern auch Herz, Bauch und Beine anzusprechen, indem er vieles auf die Straße bringt – Musik, Tanz, Performance – und auch die teilhaben lässt, die sich keine Eintrittskarten kaufen können oder wollen. Gleich zur Eröffnung spielte das Pulsar Trio aus Potsdam.
    Sitar, Piano, Schlagzeug – und eine unheimliche Lust am Spiel. Jazz, Fusion, Ethno-Pop vor dem Deutschen Nationaltheater: Ist das ernsthaft genug für das Kunstfest Weimar? Christian Holtzhauer, der künstlerische Leiter des Kunstfests, findet:
    "Ja, Kunst und auch ein Anliegen, auch ein politisches, ein gesellschaftliches Anliegen, und Spaß oder Unterhaltung schließen sich nicht aus. Das hat sogar schon Bertolt Brecht geschrieben, als er den Zweck des Theaters beschrieben hat: Dass Menschen sich gegenseitig was vormachen zum Zwecke der Unterhaltung."
    Nun gehört Bertolt Brecht ja nun als eine der wenigen deutschen Geistesgrößen nicht nach Weimar, aber Holtzhauers Ziel ist es ja gerade, neue Impulse in die Stadt zu bringen, die sich gerne auf ihrer Vergangenheit ausruht.
    "Wir versuchen, die geballte Geschichte, die wir hier vorfinden, mit geballter Gegenwart zu konfrontieren. Und sind uns sicher, dass das ordentlich Funken schlagen wird."
    In der Weimarhalle schlugen am Eröffnungsabend die Junge Deutsche Philharmonie und das Tanzensemble Sasha Waltz & Guests Funken: Ziel des Programms mit dem Titel Un/Ruhe, dass sie bei den Darmstädter Ferienkursen für neue Musik einstudiert hatten: die Dualität vom unsichtbaren Orchester im Graben und den Tänzern auf der Bühne aufzuheben. Beide spielten auf der Bühne. Wagners Vorspiel zu "Tristan und Isolde" erwuchs aus der völligen Dunkelheit im Saal, nur Sylvain Cambrelings Dirigentenpult war schwach beleuchtet. Die Junge Deutsche Philharmonie spielte durchsichtig und kraftvoll; die Tänzer umkreisten, durchstreifen das Orchester, schienen sich ihrem individuellen Eindruck der Musikgewalten auseinanderzusetzen.
    Platz für Experimente
    Höhepunkt des Abends war das Violinkonzert "Still" von Rebecca Saunders, aktuell erweitert um einen Satz, in dem die Geigerin Carolin Widmann auch zur Tänzerin wird, in dem die Musik einen Körper bekommt. Ein Experiment. Christian Holtzhauer begründet es.
    "Was passiert mit der Musik, wenn die Musikerkörper auf einmal sich zu bewegen beginnen? Wie kann es gelingen, die Musik tatsächlich in den Raum zu bringen? Das ist ein Experiment, das wir das wir da eingehen, weil der Auftrag des Kunstfestes und der Anspruch des Kunstfestes muss es auch sein, Neues auszuprobieren, Raum für Experimente zu bieten."
    Widman spielte und agierte absolut souverän, für sie, mit ihr hat Saunders das Konzert komponiert. Widman spielte im Tänzerpulk weiter, der sich um ihre Füße schlang, sie beschützte und herausforderte. Die Tänzer erzählten keine durchgehende Geschichte, sie stellen Szenen der Flucht, der Suche und auch der Geborgenheit dar – und nahmen Widmann bei sich auf. Sie verklebten geradezu zu Skulpturen und wurden von der Gewalt der Welt, der Musik wieder auseinandergerissen. Am Ende ein gelungenes Experiment.
    Wie lange Holtzhauer noch Zeit für Experimente hat, ist ungewiss. Die Finanzierung bis 2018 ist sicher, danach will die Stadt Weimar wegen ihrer Finanznöte ihren bisherigen Anteil von 250.000 Euro nicht mehr zahlen. Dann wäre Weimar just im Jahr der 100. Jubiläen von Bauhaus und Weimarer Reichsverfassung ohne Kunstfest.
    Zwar pries die Kulturdezernentin gestern das Kunstfest in ihrer Eröffnungsrede. Im Herbst aber steht das Kunstfest beim Stadtrat auf der Tagesordnung. Es ist kein Geheimnis, dass sich so einige Stadträte mit Goethe, Schiller und Liszt gut bedient fühlen und auf die Moderne gerne verzichten können.