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Kunstfund
Der Fall Gurlitt und die Folgen

Kaum ein anderes Ereignis hat die Kunstszene im vergangenen Jahr so aufgescheucht wie der Schwabinger Kunstfund. Wegen der über tausend Kunstwerke, die in der Wohnung von Cornelius Gurlitt entdeckt wurden, sehen sich nun auch bayerische Politiker zum Handeln gezwungen. Ein neues Gesetz soll die Verjährungsregel kippen.

Von Katharina Mutz und Nadine Lindner | 13.02.2014
    Zum Interview ist der bayerische Justizminister Winfried Bausback in die Münchner Landtagsgaststätte gekommen. Er setzt sich an einen etwas abgelegenen Tisch in einer Fensternische. Dass der ehemalige Hinterbänkler aus Aschaffenburg im Herbst letzten Jahres Minister wurde, damit hatte er selbst nicht gerechnet. Inzwischen ist das sein Vorteil. Denn er kann nicht verantwortlich gemacht werden für Fehler, die vor seiner Zeit passierten und die er jetzt ausbügeln muss.
    Gleich mehrere Fehler wurden beim sogenannten Schwabinger Kunstfund gemacht. Fast zwei Jahre lang hatte die Staatsanwaltschaft Augsburg geheim gehalten, dass ihre Fahnder in der Wohnung von Cornelius Gurlitt über tausend Kunstwerke entdeckt hatten. Möglicherweise hunderte davon gehörten einstmals jüdischen Bürgern, bis die Nationalsozialisten sie ihnen abpressten; Gurlitts Vater Hildebrand war zur NS-Zeit ein erfolgreicher Kunsthändler.
    Bayern plant Gesetzesänderung
    Seit die Geschichte im November bekannt wurde, wundert man sich nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo in der Welt über den geheimnistuerischen Umgang mit Raubkunst und die deutsche Rechtslage. Der Fall Gurlitt ist kein Ruhmesblatt für die bayerische Justiz, das weiß auch Winfried Bausback. Daran will er jetzt etwas ändern.
    "Also, das hat natürlich nichts damit zu tun, dass ich die Ehre Bayerns retten will, sondern das hat damit zu tun, dass es einfach einen konkreten rechtspolitischen Handlungsbedarf gibt, der auch durch diesen Fall deutlich wurde, und da setzen wir an, da handeln wir konkret."
    Konkret handeln will Bausback mit einer Gesetzesinitiative, die Bayern morgen in den Bundesrat einbringt. Ein sogenanntes "Kulturgut-Rückgewähr-Gesetz" soll den Umgang mit Raubkunst neu regeln und vor allem in bestimmten Fällen die Verjährungsfristen aufheben.
    Derzeit ist die Rechtslage nämlich so: Wer Raubkunst besitzt, hat nach 30 Jahren üblicherweise nichts mehr zu befürchten. Die juristische Idee hinter der Verjährung ist, dass irgendwann einmal Rechtsfrieden einkehren soll. Zwar hat sich Deutschland in der sogenannten Washingtoner Erklärung verpflichtet, Raubkunst zu identifizieren, die Eigentümer oder Erben ausfindig zu machen und mit ihnen, so wörtlich, eine "gerechte und faire Lösung" zu finden. Doch zum einen ist diese Erklärung rechtlich nicht bindend und zum anderen gilt sie nicht für Privatleute.
    Gurlitt gibt sich gesprächsbereit
    Sammler, die heute, knapp siebzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, Raubkunst besitzen, dürfen sie also im Regelfall behalten. "Verjährt" – heißt es dann. Auf diese Rechtslage kann sich wohl auch Cornelius Gurlitt berufen – auch wenn er sich kürzlich zu Gesprächen mit den Anspruchstellern bereit erklärt hat. Gurlitts Anwalt Hannes Hartung:
    "Mein Mandant, Cornelius Gurlitt, ist gerne bereit, sich diese Raubkunstansprüche und Raubkunstklagen genau anzuschauen. Man muss dann im Einzelnen sehen, wie die Provenienzen der Bilder sind, wie die einzelnen Erwerbsumstände waren, und wir sind dann bestrebt und bemüht, faire und gerechte Lösungen zu entwickeln."
    Das war eine Kehrtwende: Der Spiegel hatte Cornelius Gurlitt im November noch mit den Worten zitiert: "Freiwillig gebe ich nichts zurück." Obendrein war in dieser Woche bekanntgeworden, dass Gurlitts Sammlung noch größer ist als bisher angenommen. Sein Sprecher erklärte, dass der 81jährige Kunstsammler nicht nur in seiner Wohnung in München Schwabing wertvolle Werke lagerte, sondern auch in seinem Haus in Salzburg. Dort wurden 60 weitere Bilder gefunden, unter anderem von Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir und Édouard Manet sowie eine Zeichnung von Pablo Picasso. Ob es sich um Raubkunst handelt, ist bislang unklar.
    Situation unzumutbar
    Dass die ursprünglichen Eigentümer von Raubkunstwerken auf den guten Willen der jetzigen Besitzer angewiesen sind, das hält Bayerns Justizminister Winfried Bausback für einen Skandal. Die Situation sei unzumutbar, weil damit das Unrecht des NS-Staates fortgeführt werde:
    "Das ist unerträglich, und das müssen wir ändern. Das gebietet die Verantwortung Deutschlands für die Aufarbeitung von Unrecht. Und derjenige, der bösgläubig ist, der weiß oder wissen müsste, wie der Gegenstand entzogen wurde, dessen Vertrauen ist aus meiner Sicht nicht schutzwürdig, deshalb müssen wir diese Rechtslage ändern."
    Bausback schaut prüfend zu seinem Pressesprecher, der mit am Tisch in der Landtagsgaststätte sitzt. War das so in Ordnung? - scheint er in Gedanken zu fragen. Der Justizminister weiß, dass seine Gesetzesinitiative auch Kritik hervorgerufen hat, vor allem was den Aspekt der Bösgläubigkeit betrifft.
    Beweisführung sehr schwierig
    Als bösgläubig bezeichnen Juristen in diesem Zusammenhang eine Person, die zum Zeitpunkt des Kaufs weiß oder zumindest annehmen kann, dass es sich um Raubkunst handelt. Bausbacks Gesetzentwurf sieht vor, dass sich Besitzer von Raubkunst nicht mehr auf die Verjährung berufen können. Dafür müssen allerdings zwei Bedingungen erfüllt sein: Zum einen muss der frühere Eigentümer oder sein Erbe nachweisen, dass das Kunstobjekt zweifelsfrei ihm gehört. Zum anderen muss er dem aktuellen Besitzer nachweisen, dass dieser bösgläubig ist. In den meisten Fällen dürfte es ausgesprochen schwierig oder sogar unmöglich sein, diesen Beweis zu erbringen.
    Winfried Bausback gibt sich dennoch selbstbewusst: Sein Gesetzentwurf sei ausgewogen und habe gute Chancen, vom Bundesrat angenommen zu werden. Auf die Kritik reagiert er etwas trotzig:
    "Ich habe einen konkreten Vorschlag gemacht und jeder, der meint, es sollte einen weitergehenden Vorschlag geben, der soll den halt machen, einen konkreten Vorschlag, der auch praktikabel ist und der auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt."
    Gesetzesänderung soll Zeichen setzen
    Viele Beobachter und Kenner der Rechtslage sehen in Bausbacks Gesetzesinitiative vor allem einen Akt guten Willens. Schließlich gehe es auch um das Ansehen der Bundesrepublik, ist immer wieder zu hören. Die neue Kulturstaatsministerin Monika Grütters von der CDU lobte den bayerischen Vorstoß. Und auch Ingeborg Berggreen-Merkel, die Leiterin der Taskforce, die die Herkunft der Werke im Schwabinger Kunstfund klären soll, begrüßt den Gesetzentwurf:
    "Das ist natürlich schon ein Zeichen, dass wir gerade auch gegenüber dem Ausland sagen: Wir kennen das Problem der Verjährung, und da muss man sehen, dass das doch schon eine große Zeichensetzung ist, dass wir dieses erkennen und hier generell ändern wollen."
    Die Frage ist allerdings, ob sich durch ein solches Kulturgut-Rückgewähr-Gesetz tatsächlich etwas ändern würde für diejenigen, die schon heute versuchen, Kunstwerke zurückzubekommen, die ihren Familien während der NS-Zeit entrissen wurden. Eine, die leidenschaftlich dafür kämpft, ist die Dresdner Rechtsanwältin Sabine Rudolph.
    "Ich hab jetzt gerade die Datenbank Lost Art gestartet, und da gibt es jetzt einen Extra-Button Schwabinger Kunstfund. Wenn man den halt anklickt, dann findet man die Einzelobjekte, die hier gelistet sind…"
    Recherche nach verschollenen Kunstwerken
    Die Juristin sitzt an ihrem Schreibtisch und recherchiert für ihre Mandanten einmal mehr nach verschollenen Kunstwerken. Auf ihrem Bildschirm erscheint jetzt ein Aquarell, zu sehen ist ein kleiner Junge mit glühenden Pausbacken, die neugierigen Augen sind auf den Betrachter gerichtet. Das Bild "Kind am Tisch" ist eines der Werke, die bei Cornelius Gurlitt wieder aufgetaucht sind. Gemalt hat es der fast in Vergessenheit geratene Dresdner Künstler Otto Griebel.
    "…wenn ich schauen will, ob Werke dazugekommen sind aus der Sammlung Glaser, dann gehe ich hier auf Suche und gebe den Namen "Dr. Fritz Salo Glaser" ein…"
    Das Bild "Kind am Tisch" gehörte vermutlich Fritz Salo Glaser. Ein Dresdner Rechtsanwalt, Kunstsammler und Jude, von den Nazis verfolgt. Ab 1933 war er mit einem Berufsverbot belegt. Seine geliebten Bilder musste er verkaufen, viele davon weit unter Wert, um die Familie durchzubringen und die Vermögensabgabe an die Nationalsozialisten zu zahlen. Seine Sammlung ist mittlerweile in alle Winde zerstreut.
    Ermittlungen zur Herkunft des Schwabinger Fundes
    Rechtsanwältin Sabine Rudolph kämpft um Aquarelle, Zeichnungen, Gemälde der Sammlung Glaser. Die Erben Glasers haben sie damit beauftragt, sie wollen die Bilder zurückbekommen.
    "Hier ist zum Beispiel 'Kind am Tisch', das ist ein Aquarell von Otto Griebel. Hier in der Rubrik Provenienz ist angegeben Fritz Salo Glaser, Dresden. Was mich natürlich interessiert, wie Frau Hoffmann, die die Recherchen durchgeführt hat, darauf gekommen ist, dass dieses Werk aus der Sammlung Glaser stammt. Es ist zu vermuten, dass Frau Hoffmann das Werk als aus der Sammlung Glaser über das Geschäftsbuch von Gurlitt identifiziert hat. Und da wäre auch interessant zu wissen, ist Glaser da in der Spalte unter Verkäufer genannt, oder ist es Frau Hoffmann gelungen das über einen Zwischenschritt eines weiteren involvierten Händlers aufzuklären."
    Die Bilderrückseiten, die Passepartouts, das Geschäftsbuch, zu all diesen Informationsquellen haben die Forscher der Taskforce Zugang, die vom Bund und vom Freistaat Bayern beauftragt wurden. Sie sollen die Provenienz, also die Herkunft der Bilder des Schwabinger Kunstfundes ermitteln.
    Detektiv-Arbeit nötig
    Bisher hat die Taskforce über vierhundert Werke bei der Lost-Art-Datenbank eingestellt, die möglicherweise den Eigentümern während der NS-Zeit abgepresst wurden. Darunter befinden sich auch Bilder, die höchstwahrscheinlich zur Sammlung Glaser gehörten.
    "Wir werden uns zunächst mit den Kunstwerken beschäftigen, bei denen nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie verfolgungsbedingt entzogen worden sind, dann werden wir uns den Kunstwerken zuwenden, die als entartete Kunst gelten könnten."
    Erklärt Ingeborg Berggreen-Merkel, die Leiterin der Taskforce. Das Urteil der Experten, ob ein Kunstwerk tatsächlich Raubkunst ist oder nicht, hat aber noch nicht automatisch zur Folge, dass die Erben es zurückerhalten. Das müsse dann in jedem Einzelfall geklärt werden, sagt Berggreen-Merkel.
    Akribische Auswertung von Hinweisen
    Für diese Einzelfall-Prüfungen sind Belege über die Herkunft des Bildes notwendig, und genau das ist die Detektiv-Arbeit von Anwältin Sabine Rudolph. Sie muss alle Fäden miteinander verbinden, jeden noch so kleinen Hinweis auf die Bilder akribisch auswerten. Welche Informationen die Forscher der Taskforce im Einzelnen haben, weiß sie noch nicht. Auf ihre Fragen hat sie noch keine Antworten bekommen, doch sie hofft, dass sich das bald ändert.
    "Ich hab für Glaser schon vor etlichen Jahren Suchmeldungen eingestellt von Werken, wo wir relativ sicher wissen, dass sie in der NS-Zeit verloren gegangen sind, und wo wir meistens nicht wissen, wo sie hingekommen sind."
    Die Kunstdetektivin muss sich an die öffentlich verfügbaren Informationen halten: Die Arbeit mit der Lost-Art-Datenbank ist für sie Routine. Mindestens einmal in der Woche recherchiert sie hier, gleicht die Ergebnisse ab. Sie weiß, dass mindestens 13 Bilder, die in der Wohnung von Cornelius Gurlitt gefunden wurden, einmal Fritz Salo Glaser gehört haben könnten.
    Teilerfolge von Betroffenen
    Sabine Rudolph hat über den Fall Fritz Salo Glaser ihre Doktorarbeit geschrieben: Glasers Erben waren damals ihre Gesprächspartner und Quellen, seit sieben Jahren sind sie auch ihre Mandanten.
    "Glaser ist mehr als ein Mandat. Ich hab die Familie halt wirklich kennengelernt im Rahmen der Recherchen für meine Doktorarbeit. Ich wollte zeigen, dass das nicht nur abstrakte juristische Thesen sind, sondern Fragen von praktischer Relevanz sind. Und hab dann natürlich nach Beispielsfällen gesucht für diese sogenannten Zwangsverkäufe, wo die wirtschaftliche Situation oder andere Verfolgungssituationen die jüdischen Sammler gezwungen haben, die Werke zu veräußern."
    Und auch wenn ihr Kampf um die Rückgabe der Kunst oft einem Langstreckenlauf gleicht, kann sie Erfolge erzielen. Im Jahr 2009 einigte sich Glasers Schwiegertochter mit der Stadt Freiburg auf eine Entschädigung für ein Gemälde von Otto Dix; das Bild blieb im Museum in Freiburg.
    Die Sammlung Glaser bleibt für Sabine Rudolph ein großes Rätsel, denn noch immer ist unklar, welche Werke im Einzelnen dazugehörten. Immerhin ist bekannt, wie viele es waren, wie Mathias Wagner von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden beschreibt:
    Die Sammlung Glaser hat nach dem jetzigen Kenntnisstand etwa 40 Gemälde, und es gibt Berichte, die von bis zu 1.500 Arbeiten auf Papier sprechen. Auch nach heutigen Maßstäben eine sehr umfangreiche Sammlung.
    Ermittlungen in der Vergangenheit der Gurlitts
    Aus Angst vor der Nazi-Verfolgung hatte Fritz Salo Glaser Teile seiner Sammlung versteckt und Belege vernichtet. Jetzt versucht Sabine Rudolph, Schritt für Schritt die Sammlung zu rekonstruieren. Der Fall Gurlitt und der Schwabinger Kunstfund spielen bei dieser Recherche eine wichtige Rolle – denn von dort führt eine Spur geradewegs nach Dresden.
    In Dresden kreuzten sich die Wege von Käufern und Verkäufern: Hildebrand Gurlitt, der Vater von Cornelius Gurlitt, war bis kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs als privilegierter Kunsthändler der Nationalsozialisten in Dresden ansässig. Die Anwältin Sabine Rudolph hat herausgefunden, dass sich Gurlitt und der jüdische Rechtsanwalt und Kunstsammler Fritz Salo Glaser sogar persönlich kannten – sie hatten offenbar einen ähnlichen Kunstgeschmack. Ob es Gurlitt selbst war, dem Glaser seine Werke unter dem Verfolgungsdruck der Nazis verkauft hat, lässt sich allerdings bislang nicht belegen.
    Immerhin sind Werke, die der Sammlung Glaser zugeschrieben werden, bei Cornelius Gurlitt aufgetaucht. Nun schöpfen die Nachfahren neue Hoffnung, diese Bilder zurückzubekommen:
    "Sie sind natürlich ein Stück weit aufgeregt. Es war für uns natürlich ein überraschender Fund. Ich meine, Gurlitt hatte man immer im Hinterkopf. Aber wir hatten bei Glaser wirklich noch keinen einzigen Fall, wo wir Gurlitt in der Provenienz nachgewiesen hätten. Wir haben zahlreiche andere Kunsthändler, wo wir wirklich wissen, dass Glaser über die Kunstwerke in der NS-Zeit veräußert hat. Bei Gurlitt ist das eben nicht der Fall. Also, insofern ist das eine Überraschung, über die man sich sehr freut. Natürlich kommt dann auch eine Skepsis auf, ob es dann irgendwann mal zu einer Rückgabe der Werke kommt, weil eben noch so viel unklar ist."
    Die Erben Glasers halten sich mit öffentlichen Äußerungen zurück, lehnen Interviews ab und lassen Sabine Rudolph für sich sprechen.
    Zweifel an Verjährung
    Die Rechtsanwältin geht in ihrer Argumentation davon aus, dass das Unrecht aus der NS-Zeit noch nicht verjährt ist – dass es also auch nach der jetzt gültigen Rechtslage juristische Möglichkeiten gibt, die Kunstwerke zurückzubekommen.
    "Ich meine schon, dass die jüdischen Familien noch Eigentümer der Werke sind. Und das Eigentum eben nicht an Hildebrand Gurlitt übergegangen sind, als er die Werke gekauft hat, das war ein sittenwidriges Rechtsgeschäft, was eben nicht zu einem Eigentumsübergang geführt hat. Und dementsprechend konnte eben auch der Cornelius Gurlitt diese Werke nicht im Wege der Erbfolge diese Werke zu Eigentum erwerben. Insofern denke ich, dass der Herausgabe-Anspruch besteht."
    Trotzdem weiß Sabine Rudolph: Die Verjährung im deutschen Recht bleibt ihre größte Hürde. Dass der Freistaat Bayern nun einen Gesetzentwurf vorlegt, mit dem die Verjährung in Raubkunstfällen ausgehebelt werden soll, findet sie grundsätzlich gut. Allerdings kritisiert sie die Formulierung des Gesetzes und insbesondere die Bedingung der Bösgläubigkeit.
    "Ich denke, dass der Ansatz, den man in dem Gesetzentwurf verfolgt, sogar nachteilig für Anspruchsteller ist, weil der Vorschlag vorsieht, dass wirklich der Besitzer zum Zeitpunkt des Besitzerwerbes bösgläubig sein muss."
    Neues Gesetz kaum in anderen Fällen anwendbar
    Fälle wie die der Familie Glaser in Dresden dürften auch in Zukunft nicht leichter zu lösen sein, meint auch der Anwalt Hans-Jörg Zehle, der unter anderem das Auktionshaus Neumeister in München berät. In der Praxis würde sich durch ein solches Kulturgut-Rückgewähr-Gesetz kaum etwas ändern:
    "Das Gesetz ist eindeutig für die Galerie, sodass das Gesetz selbst wenn es kommt, gut gemeint ist, vielleicht zu Streitigkeiten führt, aber kaum zu einer Änderung der aktuellen Gesetzeslage. Und damit ist es ein Papiertiger. Selbst wenn es käme, ist die Durchsetzbarkeit der Ansprüche fast nicht gegeben."
    Zehles Einschätzung zufolge lasse sich im Fall Gurlitt sogar eine Bösgläubigkeit nachweisen, weil die Werke fast 70 Jahre lang in den Händen einer einzigen Familie geblieben seien. Oftmals aber hätten solche Kunstwerke viele Male die Besitzer gewechselt, sodass der Nachweis der Bösgläubigkeit fast unmöglich sei.
    Bayerischer Justizminister: Kein Einzelfallgesetz
    Der Jurist ist deshalb überzeugt, dass es sich bei dem Entwurf um eine "Lex Gurlitt" handelt, also ein Gesetz, das insbesondere für diesen Fall formuliert worden sei. Der bayerische Justizminister Winfried Bausback bestreitet das allerdings. Dass der Entwurf vom Bundesrat angenommen wird, bezweifelt Zehle:
    "Aus meiner Sicht sind die Chancen gegen null, weil es einfach ein Einzelfallgesetz ist. Und es scheint so, dass man den Fall Gurlitt als Einzelfall zum Anlass genommen hat, etwas zu ändern. Und Einzelfälle sollten dazu eigentlich nicht dienen."
    Zehle kritisiert wie viele andere Kunstrechtsexperten, dass das Problem von Raubkunst, entarteter Kunst und Restitution seit Jahrzehnten bekannt ist – und trotzdem nichts passiert ist. Wenn die Bundesrepublik etwas an den bestehenden Gesetzen ändern wollte, hätte sie es schon längst getan, ist Zehle überzeugt.
    Alternative Lösung denkbar
    Für diese These spricht, dass etwa das Gesetz, das die Beschlagnahmung sogenannter entarteter Kunst aus Museen rechtfertigt, bis heute in Kraft ist. Es stammt aus dem Jahr 1938 – und es ist nach dem Krieg weder von den Alliierten noch von irgendeiner Bundesregierung je aufgehoben worden.
    Wenn Bayern morgen den Gesetzentwurf im Bundesrat vorgestellt hat, wird er zunächst den Ausschüssen zur Beratung übergeben. Sollte der Bundesrat den Gesetzentwurf in einer seiner nächsten Sitzungen annehmen, müsste sich danach der Bundestag damit befassen.
    Für den Fall Gurlitt wäre aber auch eine andere Lösung denkbar: Der Freistaat Bayern könnte die Kunstwerke von Gurlitt kaufen, ihre Herkunft klären und sie an die einstmaligen Eigentümer zurückgeben.