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Kunsthalle Bremen
Émile Bernard - vom Modernen zum Konservativen

Er war zwar immer ganz vorne mit dabei, als es in den 1880er-Jahren in Paris um die Erfindung der künstlerischen Moderne ging, doch ist er vielen unbekannt: der Maler Émile Bernard. In der Kunsthalle Bremen wird nun das Werk des Franzosen neu bewertet - als Impulsgeber der bildenden Kunst am Ende des 19. Jahrhunderts.

Von Rainer B. Schossig | 11.02.2015
    Die Kunsthalle Bremen
    Die Kunsthalle Bremen zeigt Retrospektive auf Émile Bernard. (dpa / picture alliance / Ingo Wagner)
    Am Anfang ein schmächtiger Jüngling, der blauäugig und ziegenbärtig aus einem Porträt seines Malergefährten Toulouse-Lautrec schaut, am Ende ein einsamer schlohweißer Greis, der sich wie verstört zwischen den Möbeln und Gemälden seines pompösen Ateliers in eine Ecke duckt.
    Die Bremer Ausstellung "Émile Bernard - Am Puls der Moderne" spannt einen großen Bogen durch ein nahezu unbekanntes Künstlerleben und sechs Jahrzehnte abendländischer Moderne. Zu entdecken ist ein von der Kunstgeschichte nahezu vergessener Künstler: Émile Bernard, Schöpfer eines so vielfältigen wie disparaten Oeuvres Von den ersten, tastenden Malversuchen über eindrucksvolle, individuelle Bildfindungen im bretonischen Künstlerdorf Pont-Aven bis zum merkwürdig retrospektiven Alterswerk stellt die Schau alles auf den Prüfstand.
    Man flaniert entlang an Großstadt- und Bordell-Motiven, Tier- und Landschaftsstudien aus der Bretagne, da sind Ausflüge ins Mittelalter, in die Renaissance und ins Reich von 1001 Nacht. Polare Gegensätze - bäuerliche Idyllen und mondäne Ballsäle, sanfte Dämmerung und blaugrüne Gasbeleuchtung, Ausschweifung und Introspektion, schummriger Symbolismus und religiöse Inspiration, Abend- und Morgenland - all dies prallt in Émile Bernards Werk unvermittelt aufeinander. Es beginnt mit einer Überraschung: erstmals wird ein Skizzen-Album aus dem Kupferstichkabinett der Bremer Kunsthalle ausgestellt: Hunderte von Zeichnungen Bernards geben Einblicke in seine frühe Sicht- und Arbeitsweise. Darunter auch lockere Landschafts-Studien des 18-Jährigen, der 1886 zu Fuß durch die Bretagne durchquerte.
    Stilistische Kontraste
    Die stilistischen Kontraste beginnen früh: Der Kunststudent zieht mit Toulouse-Lautrec durch die Halbwelt am Montmartre, dann taucht er unvermittelt in die weiche bäuerliche Welt der Bretagne ein. Er erprobt die Moden des Pointillismus, entdeckt aber bald die malerische Wirkung farbiger Flächen und dunkler Konturen. Er lernt Vincent van Gogh kennen, aber noch wichtiger wird für ihn Paul Gauguin, mit dem er 1888 ins Künstlerdorf Pont-Aven reist. Dort malen sie Schlüsselwerke des Symbolismus, feierliche Bretoninnen in schwarz-weißer Tracht, in farbschweren Feldern. Danach trennen sich die Wege Bernards und Gauguins: Dieser geht in die Südsee, Bernard aber in den Orient.
    Merkwürdig matt sind seine Gemälde aus den Jahren in Kairo. Gelangweilte Odalisken sitzen auf dekorativen Diwanen, wie von Delacroix, Ingres oder Matisse. Als Bernard dann Spanien bereist, lässt er sich von Velázquez und Zurbarán inspirieren. Um 1900 kehrt er nach Frankreich zurück, voller Bewunderung für Cézanne, den er als Greis vor seinen "Großen Badenden" fotografiert, und dessen Kompositionen er nervös nacheifert. Bald aber - überwältigt vom malerischen Zauber Venedigs - beginnt er wie Tintoretto und Giorgione zu malen, die italienische Renaissance wird ihm zum Traum, dem er lebenslang nacheifert. Er beschäftigt sich zunehmend mit Mystizismus, Okkultismus und Bibelstudium.
    Verwandlung Bernards
    Die geradezu hektischen Verwandlungen Bernards, seine nicht endende manische Suche nach äußerer Schönheit, innerer Ruhe und stilistischer Heimat bestimmen diese Schau. Ob Bernard Stichwortgeber oder Epigone der Avantgarde war, verraten die Bilder nicht. Am Ende scheint er gar als Verräter der Moderne. In seiner Jugend ein mutiger Neuerer, der sich gegen die Pariser Salonmalerei profiliert, macht er eine Rolle rückwärts: Er lässt Post-Impressionismus, Pointillismus und Symbolismus hinter sich und verwandelt sich in einen klassischen Konservativen: Émile Bernard erscheint so als irrender Ritter durch die Kunstgeschichte, sein Leben als eine Abfolge von Moden und Visionen, Umwegen und Sackgassen. Am Ende des Parcours durch diese intensive wie oft verstörende Ausstellung wünschte man sich, Bernard wäre in den verschlafenen Dörfern der Bretagne geblieben, so wie er sie gemalt hat: mit goldenen Weizenfeldern, roten Pferden und gelben Schweinen. Dort wäre er glücklich geworden.