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Kunstmuseum Stuttgart
Summer in the City

In Stuttgart wächst ein Netzwerk aus Theater, Kunst und Musik, das die "Unwirtlichkeit unserer Städte" abdämpfen könnte. Der global vernetzte Tüftler Carsten Nicolai ist da genau richtig, wie seine Bild- und Soundinstallation im Stuttgarter Kunstmuseum zeigt.

Von Christian Gampert | 25.07.2015
    Nein, das ist nicht Kraftwerk, das ist Musik des Konzeptkünstlers Carsten Nicolai, der sich als Performer Alva Noto nennt. Seine ruhig pulsierenden Beats beschallten den Platz hinter dem Stuttgarter Kunstmuseum, dem gläsernen Kubus am Charlottenplatz. Im Sommer erwachen die sonst öden Innenstädte sowieso zu neuem Leben; Nicolais Soundperformance war also ein Anziehungspunkt für die gesamte Stuttgarter Szene.
    Das Ganze erinnert entfernt an eine Techno-Party, es sind computergenerierte Beats, die sich sehr langsam verschieben und zu neuen Mustern gruppieren. Aber die Klänge sind nicht wummernd, sondern fast wissenschaftlich subtil ineinandergeschoben. Und es wird auch nicht geraved, getanzt, sondern man stand da oder lagerte in der Abendhitze ziemlich relaxed auf dem Beton – und ließ sich von Nicolais LED-Lichtstelen blenden, die zu den Beats der Musik in immer neuen Varianten aufleuchten.
    Es geht um diese irgendwie meditative Taktung, um einen gemeinsamen Puls mit dem Publikum – hatte Nicolai zuvor auf einem Künstlerpodium erklärt.
    "Ich bin erstmal schlicht bildender Künstler und beschäftige mich darüber hinaus mit Musik. Und letzten Endes glaube ich, dass ich nicht so besonders arbeite, sondern mich vielleicht eher auf eine Zeit beziehe, wo Wissenschaft und Kunst vielleicht noch ein bisschen enger miteinander verwoben waren."
    Nicolai übersetzt Computersounds in optische Signale, das ist sein Ansatz; mit dem "Moiré-Index" hat er die Visualisierung von Daten systematisch erforscht. Nicolai arbeitet mit reinen Elektronik-Musikern ebenso zusammen wie mit Blixa Bargeld oder dem Ensemble Moderne; er designt aber auch die Laufsteg-Performances des Dresdner Modekünstlers Kostas Murkudis. Im Stuttgarter Kunstmuseum ist nun seine weitgespannte, kühle, den gesamten Eingangsbereich einnehmende Installation "unidisplay" zu sehen, wandernde Punkte und Linien wie auf dem Monitor eines naturwissenschaftlichen Labors, ein Lexikon ästhetischer Effekte. Die Naturwissenschaft ist Nicolais künstlerisches Referenzsystem.
    "Es fängt in der frühen Renaissance an, da hat es sehr viele Beispiele... bis zum heutigen Tag, wo Künstler sich nicht nur um das klassische Feld der Kunst kümmern, sondern in Grenzbereichen arbeiten."
    Die nächtliche audiovisuelle Open-Air-Stimulation ist allerdings durchaus partytauglich. Mitten in Nicolais Stuttgarter Soundperformance stand (und steht schon seit einigen Jahren) übrigens seine schmale, hohe Skulptur "Polylit", die die umliegenden Gebäude spiegelt, bei Nacht aber von innen angeleuchtet wird und das eigene Skelett preisgibt – ein wunderbarer Effekt.
    Nicolai hat mit seinen in Licht übersetzten Sounds auch schon ganze Hochhausfassaden bespielt – 2014 in Hongkong, im Auftrag der "Art Basel". Das sind natürlich gigantomane Unternehmungen, die viel Aufmerksamkeit garantieren. Andererseits konstruierte er für Armin Petras' Stuttgarter "Galilei"-Inszenierung als Bühnenbildner ein Pendel, ein Foucault'sches Pendel, um auch auf der Bühne zu zeigen, dass die Erde sich dreht – ein starkes Zeichen. In der Diskussion vor der nächtlichen Stadt-Beschallung war Intendant Armin Petras ein großer Fürsprecher solcher Zusammenarbeit: der global und relativ einsam agierende Carsten Nicolai biete ihm als Regisseur einen Widerpart, den ein eher traditioneller Betrieb wie das Staatstheater brauche.
    In Stuttgart wächst also ein Netzwerk aus Theater, Kunst und Musik, das die "Unwirtlichkeit unserer Städte" abdämpfen könnte. Summer in the City. Der global vernetzte Tüftler Carsten Nicolai ist da genau richtig. "Alpha Pulse", sein dunkler Maschinensound, ist im Alltag angekommen. Er macht die Stadt auf geheimnisvolle Weise bewohnbarer.