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Kunstoffverpackungen vermeiden
Viele Hindernisse beim plastikfreien Einkauf

Plastik belastet unsere Umwelt immer mehr. Wer Kunststoffverpackungen im Alltag vermeiden will, hat es aber gar nicht so einfach. Im Supermarkt etwa werden viele Produkte eingeschweißt. Ein neues Siegel könnte hier helfen, Widerstand dagegen scheint aber auch schon sicher.

Von Anja Nehls | 01.06.2018
    Lebensmittelabteilung mit Obst und Gemüse
    In Deutschland fällt viel Plastikmüll an. Plastikfrei einzukaufen, ist gar nicht so einfach (imago/Jochen Tack)
    "Ja wir nehmen mal den Plastikkorb, wir haben ja keine andere Möglichkeit, aber den kann man auch sehr gut recyceln, weil es ein hochwertiger Kunststoff ist."
    Malte Biss schnappt sich den roten Plastikeinkaufskorb und wirkt entschlossen. Rein in den Korb soll der Tageseinkauf für die Familie, aber auf keinen Fall Plastik oder Kunststoff. In einem ganz normalen Supermarkt ist das nicht so einfach:
    "So, hier haben wir wieder eine Biogurke, eingeschweißt."
    Biogurke in der Plastikumhüllung
    Er nimmt die Biogurke in der Plastikumhüllung und steuert auf die nächste Verkäuferin zu:
    "Entschuldigen Sie, kriege ich ei Ihnen auch Biogurken, die nicht in Plastik eingeschweißt sind?" - "Nein, werden Sie auch nirgendwo anders kriegen, denn die sind immer in Plastik eingeschweißt, damit sie mit der anderen Gurke nicht kontaminiert wird." – "Ach so, weil..." – "Ja, damit auch der Unterschied an der Kasse da ist, ist immer so. Finde ich auch ganz schlimm, aber es ist so." – "Oh, Mann."
    Oh, Mann. Diese Biogurke muss also im Laden bleiben. Ohne Plastik gibt’s nur Nicht-Bio-Gurke. Malte Biss, Mitte 40, Jeans, leichtes Baumwollhemd, Lederschuhe und blonde Sturmfrisur, ist enttäuscht. Seit einiger Zeit versucht er, Plastik im ganz normalen Leben zu vermeiden. Seit er mit seinen drei Töchtern am Nordseestrand Sandburgen bauen musste:
    "Der Strand wird immer bunter. Kniet Euch nieder, guckt Euch an, was ihr da im Sand findet, nehmt es in die Hand, lasst es durch die Finger rieseln und ihr werdet Euch wundern, warum es auf einmal blauen, roten, gelben, neongrünen Sand gibt. Nein. Das sind Mikroplastikteile. Und wenn man mal schnorcheln geht oder einfach mal taucht wundert man sich, Mensch so viel Plankton, ne ist es auch nicht. Es sind kleine Plastikteile, die da tatsächlich im Wasser treiben."
    Etwas Erfolg an der Wursttheke
    Und die entstehen, wenn Plastikmüll im Meer landet, zerrieben und niemals abgebaut wird. Fatal für die Umwelt und unsere Gesundheit- da stimmt nicht nur die Verkäuferin zu, sondern auch eine Kundin, die in der Gemüseabteilung gerade eine dünne Tüte für ihren Spargel abreißt:
    "So bescheuert!" – "Ja wirklich, aber den Spargel packen Sie jetzt auch gerade in Plastik ein?" - "Naja, was soll ich machen, die nimmt mir das Bündel ja so nicht ab da an der Kasse, dann fallen die auseinander, dann bleiben die am Band kleben, das ist ja das Problem, Du hast ja keine andere Möglichkeit."
    Vielleicht doch, hofft Malte Biss und steuert mit dem roten Korb die Fleisch und Wursttheke an:
    "Ich habe hier jetzt zwei nennen wir es Tupperware dabei, wiederverwendbar. Hallo, grüß Sie. Ich hätte gerne ein bisschen Fleischsalat, ich habe ein Behältnis dabei, können Sie mir das da rein machen bitte?" - "Das darf ich leider nicht." - "Warum nicht?" - "Weil, aus hygienischen Gründen." – "Keine Chance?" – "Keine Chance!" - "Ok, wenn das beim Fleischsalat nicht geht, aber bei der Wurst geht das. Die können sie mir doch auf Papier leben und dann reichen Sie mir die über die Theke und dann packe ich sie mir selber ein." – "Das kann man machen, aber mit Fleischsalat, ich weiß ja nicht ob das keimfrei ist oder so, weil wenn da Keime drin sind und Sie werden krank und dann heißt es. Wir haben den Fleischsalat verunreinigt, obwohl es ihre Schüssel war."
    Siegel im Dialog mit dem Umweltbundesamt
    Also gibt’s keinen Fleischsalat, aber die Wurst wandert in den Korb. Zur Milch in einer Glasflasche und zum Joghurt im Pfandglas. Der Käse in der Pappschachtel bleibt im Regal, denn der ist innen bestimmt mit kunststoffbeschichtetem Papier eingewickelt, damit es keine Fettflecken gibt, vermutet Malte Biss. Ob eine Verpackung oder ein Produkt wirklich ganz ohne Plastik auskommen, ist nicht immer eindeutig zu erkennen. Das will er nun ändern. Im Dialog mit dem Umweltbundesamt hat er das Flustix-Siegel entwickelt. Von der Idee, nur 100 Prozent kunststofffreie Produkte auszuzeichnen, hat ihm das Umweltbundesamt abgeraten:
    "Die haben gesagt, Herr Biss, wenn Sie so ein Siegel machen, dann ist es wichtig, dass Sie die Kreislaufwirtschaft nicht ausschließen. Wenn Sie 100 Prozent kunststofffrei machen, plastikfrei machen, dann kann kein Produkt sich damit auszeichnen lassen, das mit einem Recyclingkarton arbeitet. Und Mehrweg ist der einzige Weg fürs Meer. Nur aus diesem Grund sind wir runtergegangen auf 99,5 Prozent Kunststofffreiheit."
    Weil 100 Prozent durch zum Beispiel Klebeband- oder Folienreste beim Papierrecycling nicht garantiert werden können. Er war nicht immer Kämpfer gegen Plastik. Als Unterhaltungschef bei der "BILD"-Zeitung hat er sich vor allem mit den Reichen und Schönen dieser Welt beschäftigt. Auf die Idee, seinem Leben eine Wende zu geben, hat ihn dann ausgerechnet der monegassische Fürst Albert gebracht:
    EU-Verordnung gegen Plastik-Einwegprodukte
    "Der sagte zu mir, Malte, Umweltthemen bewegen erst dann etwas, wenn die Wirtschaft diese Themen für sich entdeckt. Du bewegst viel schneller etwas, wenn Du es mit der Wirtschaft machst. Und das gab es im Plastikbereich noch nicht."
    Nun hofft er, dass die Idee sich durchsetzt. Die ersten Produkte befinden sich im Prüflabor, Ende des Jahres könnte man das neue Siegel bereits in den Regalen finden. Rückenwind bekommt das Thema durch die neue geplante EU-Verordnung. Grund genug, im benachbarten Drogeriemarkt zu fragen, ob es die in Zukunft wohl verbotenen Plastik-Wattestäbchen auch jetzt schon in einer umweltfreundlichen Variante gibt:
    "Wo stehen die Ohrstäbchen?" – "Die hier müssten komplett aus Bio sein, mit Papierschaft." – "Na sehen Sie, dann haben Sie ja auch die."
    Schwieriger wird es beim Mikroplastik in Kosmetikprodukten, Duschgel oder Bodylotion. Nicht nur die Verpackung ist fast immer aus Kunststoff, auch der Inhalt enthält feinste Plastikpartikel, die das Produkt zähflüssig machen sollen oder für Peeling sorgen. Malte Biss nimmt eine blaue Flasche aus dem Regal:
    "Ich mag keine Firma beim Namen nennen, aber dieser Hersteller hier, hat in jedem Produkt Mikroplastik drin."
    Widerstände sind zu erwarten
    Und das ist für Verbraucher bis jetzt nur zu erkennen, wenn man das Kleingedruckte ganz genau liest und dann noch weiß, dass sich hinter Begriffen wie "Acrylates Co Polymer" nichts anderes als Mikroplastik verbirgt. Im Korb landet schließlich ein Pappkarton Pulverwaschmittel und die Bodylotion eines Naturkosmetikherstellers. Immerhin, bis auf ein T-Shirt aus angeblich 100 Prozent Baumwolle für die Tochter, das allerdings wie fast alle T-Shirts Etiketten und Nähte aus Kunststoff hat, findet sich am Ende kein Plastik im Einkaufskorb. Dafür hat der Einkauf extrem lange gedauert und etwas teurer war er auch.
    Der Weg zur Plastikfreiheit wird wohl mühsam: 60 Milliarden Euro setzt die Kunststoff produzierende und verarbeitende Industrie in Deutschland jährlich um und sorgt für eine halbe Million Arbeitsplätze. Vermutlich wird das kleine Siegel neben vehementen Unterstützern also auch große Gegner bekommen.