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Kunstprojekt "Songs of the Siren"
Emotionen im Leerstand

Ein verlassenes Wohnhaus wird zu einer begehbaren akustischen Skulptur - "Songs of the Siren" nennt der Münchener Künstler Emmanuel Mooner seine aktuelle Arbeit mit der er einem alten Gemäuer einen neuen Geist einhaucht. Ein Wohnraum zwischen Leben und Tod.

Von Andi Hörmann |
Altes Gemäuer aus Ziegelsteinen
Altes Gemäuer aus Ziegelsteinen (imago stock&people)
Vögel zwitschern im verwilderten Vorgarten, der Boden raschelt unter den Schritten der Einfahrt zu einem leerstehenden Haus am Münchner Stadtrand. Genauer gesagt in Freimann, diesem unscheinbaren Viertel in der nördlichen Peripherie, in direkter Nachbarschaft zu Schwabing. Einfamilienhäuser, Sportanlagen, Gewerbebetrieb. Das Rot der Fensterläden blättert ab, der weiße Putz bröckelt.
Emanuel Mooner: "Es geht um die Frage: Können Emotionen an einem Ort gespeichert sein? Und wenn ja: Sind sie abrufbar?"
Und ziehen sie uns an, wie der Gesang der Sirenen?
"Songs of the Siren" ist die begehbare Sound-Skulptur des Münchner Künstlers Emanuel Mooner betitelt. Es ist ein verwaistes Wohnhaus, anmutig wie ein uralter Mensch: "Man begeht das Haus von ganz unten, durch die Dunkelheit."
Arbeiten mit dem, was da ist
Über den Keller-Eingang in die Vergangenheit: Das Geräusch des Schlüssels erweckt sie zum Leben.
"Dieses Haus ist Mitte der 1930er Jahre gebaut worden, so ein bisschen im Bauhaus-Stil sogar noch. Hier haben mehrerer Generationen zusammen gelebt. Es modert so vor sich hin. Es wird auch direkt nach der Ausstellung abgerissen. Wenn ein Haus so lange leer steht und nicht beheizt wird, dann… Irgendwann ist dann der ´point of no return`."
Emanuel Mooner holt ihn zurück, den Geist der Vergangenheit, den Spirit dieses sterbenden Hauses, in dessen Gemäuer noch Reste von Leben stecken. Da schwingt die Idee von Hauntology des Philosophen Jaques Derrida mit. Die Heimsuchung von Vergangenem und ihre gespenstische Wirkung auf die Gegenwart.
"Ich arbeite mit dem, was da ist. Und was da ist, sind eben gewisse Überbleibsel der Menschen, die hier gelebt, gearbeitet haben. Und mit diesen Überbleibseln gehe ich einfach auf so eine Spurensuche."
"Wollen wir den mal ein Stück weiter gehen. Aus dem Keller raus."
Emanuel Mooner: "Ja, gerne. Rein über den Geruch: Hier riecht es schon mal ganz anders als unten. Unten hat es so muffig, heizölig gerochen und hier… Ja, wie riecht es hier? So abgestandene Luft. Räume, die lange nicht gelüftet wurden."
Geisterhafte Hinterlassenschaften früherer Bewohner
Erinnerungen hervorrufen, Fantasie anregen. In manchen Räumen steht noch ein Bett ohne Matratze, ein Schrank mit offener Tür — alles aus dunkel massivem Hartholz. Vom Design schlicht und funktional: 1950er, -60er Jahre. Und dann noch die vergessenen Utensilien: ein Handspiegel im Bad, ein Rosenkranz in der Küche. Hier wurde wohl, nachdem der letzte Bewohner verstorben war, schnell entmöbelt. Im Kinderzimmer hängt ein verstaubtes Mobile, das sich durch den leichten Luftzug der undichten Fenster bewegt. Etwas geisterhaft, oder gruselig.
Emanuel Mooner: "Ich habe hier in dem Raum stundenlang einfach den Raum selbst aufgenommen. Und habe das dann anschließend zerschnitten und in Fünf-Minuten-Stückchen zerteilt und dann ganz viele Layers übereinander gelegt, so dass ein Zeitraum von acht Stunden jetzt nur noch in fünf Minuten abgespielt wird und alle Ereignisse, die da passiert sind mehr oder weniger zeitgleich passieren. Das heißt: Die Zeit ist einfach so eingedampft. Das läuft hier so ganz leise. Es kommt da von der Ecke."
"Ich nehme das mal kurz auf."
Emanuel Mooner: "Es ist eine gewisse Atmosphäre, die vielleicht in diesem Raum für uns abrufbar ist. Und ich denke schon, dass wir Menschen mit unseren Sinnen so eine Emotionalität in Räumen wahrnehmen können."
Die Besucher dieses Hauses werden staunen, wie Wohnraum zwischen Leben und Tod mit allen Sinnen erfahrbar wird. Das lässt niemanden kalt!