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Kurden vermuten Islamisten als Drahtzieher der Terroranschläge

Friedbert Meurer: Die Kurden unterstützen die USA im Irak und vermutlich sind sie deswegen Zielscheibe der Terroranschläge geworden. Bei mir im Studio begrüße ich nun Abubekir Saydam. Er ist selbst Kurde und Direktor des Internationalen Zentrums für die Menschenrechte der Kurden mit Sitz in Bonn. Guten Morgen, Herr Saydam.

    Abubekir Saydam: Guten Morgen.

    Meurer: Als Sie gestern davon gehört haben, Sie haben ja gesagt, Sie kannten den einen oder anderen unter den Opfern, was ging in Ihnen vor?

    Saydam: Ich war so schockiert wie viele andere sicherlich, denn wenn man Politikerinnen und Politiker oder Menschen kennt seit Jahren, die sich für die gerechte Sache der Kurden einsetzen und plötzlich durch so einen Tod ums Leben kommen, oder durch solche Attentate, dann ist man schockiert.

    Meurer: Wen kannten Sie?

    Saydam: Ich kannte Samiam Abdullah Haman, der selber Mitglied der Regierung in Bagdad ist, der eingesetzten Regierung, und mehrere eigene Vorstandsmitglieder und Minister in beiden Regierungen eigentlich, also von Talabanis PUK und Barsanis KDP.

    Meurer: Die beiden Parteiführer Talabani und Barsani selbst sind nicht unter den Opfern, aber sonst hat es fast die gesamte Spitze der kurdischen Führung getroffen. Ist das so?

    Saydam: Nein, die gesamte Spitze nicht, das sind mehrere Politbüro-Mitglieder der beiden Parteien oder Vorstandsmitglieder, es sind Minister darunter, also Persönlichkeiten, die sehr, sehr wichtig waren, die seit Jahren ja eigentlich auch in der internationalen Öffentlichkeit bekannt sind.

    Meurer: Auf wessen Konto geht der Anschlag?

    Saydam: Nach unserer Einschätzung auf das Konto von Ansar al Islam, das ist eine arabisch-kurdische, religiöse Organisation, die sehr enge Verbindungen zu El Kaida hat.

    Meurer: Das ist eine kurdische Organisation?

    Saydam: Nein, das ist von den Arabern aufgebaut in Kurdistan. Darunter befinden sich Afghanen, Tschetschenen sogar, Araber aber hauptsächlich, die dann von El Kaida finanziert wurden oder werden, immer noch.

    Meurer: War ein solcher Anschlag zu befürchten durch die Organisation?

    Saydam: Nein, die Organisation schien zerschlagen worden zu sein von der US-Armee. Die sind ja bombardiert worden kurz nach dem Irakkrieg, deren Stützpunkte waren auf der iranisch-irakischen Grenze eigentlich.

    Meurer: Wie, glauben Sie, werden die Kurden und die Kurdenführer jetzt auf diesen Anschlag reagieren?

    Saydam: Sie müssen wohl erstens ihren Geheimdienst besser koordinieren, Sicherheitsmaßnahmen sozusagen noch strenger durchziehen, denn dadurch haben sie ja zum ersten Mal erkannt, dass auch sie nicht mehr sicher sind eigentlich vor diesen fundamentalistischen Attentaten.

    Meurer: Das heißt, sie rufen nicht sofort nach internationaler Hilfe oder nach mehr Soldaten, sei es durch die Besatzungsmacht Polen oder die USA?

    Saydam: Also, ich denke nicht, dass mehr Soldaten jetzt von der USA oder von irgendeiner anderen Regierung zur Eindämmung der ganzen Attentate und Anschläge beitragen könnten. Das sind ja verschiedenste Gruppen, die dort agieren, Saddam-Anhänger, Nationalisten, aber auch islamische Fundamentalisten, die aus verschiedenen Ländern der arabischen Welt dort hineingesickert sind.

    Meurer: Glauben Sie, dass die beiden Anschläge sich auch dagegen gerichtet haben, dass die Kurden ja, die im Übergangsrat in Bagdad vertreten sind, ihre Autonomie behalten wollen, oder sogar ein eigenständiger Staat werden wollen?

    Saydam: Die Kurden wollen ja keinen eigenständigen, selbstständigen Staat, sondern sie wollen einen Bundesstaat Irak, wo die Kurden in ihren ethnischen Grenzen ihre föderativen Rechte genießen und ihren föderativen Staat haben. Ich denke, diese Attentate beruhen tatsächlich darauf, dass die Kurden eben treue, sagen wir, US-Unterstützer waren während des Irakkrieges und nicht, weil sie Autonomie haben wollen.

    Meurer: Glauben Sie, es gibt ja im Nordirak natürlich auch Araber, die dort wohnen, dass es da sozusagen Sympathie gibt für Anschläge gegen Kurden?

    Saydam: Ich glaube nicht. Ich glaube also, bei der großen Mehrheit der Bevölkerung, der arabischen Bevölkerung, herrschen sogar Sympathien für die Kurden. Teilweise sieht man, wie sie in den letzen zwölf Jahren dort aufgebaut haben, wovor es auch das UN-Embargo gegen den gesamten Irak gegeben hat. Es gab ja zwei Embargos eigentlich: einmal von der UNO, einmal vom Saddam-Regime damals. Und trotzdem haben sie es unter diesen schwierigsten Bedingungen geschafft, dort Infrastrukturen zu schaffen, demokratische kleine Schritte zu unternehmen und eine eigene Regierung zu bilden.

    Meurer: Aber es gibt natürlich das Problem, Herr Saydam, dass unter Saddam Hussein ja im Norden, gerade in der Ölstadt Kirkuk wohl, viele Araber angesiedelt worden sind und Kurden ihre Häuser verlassen mussten. Ist das nicht ein gewaltiges Konfliktpotenzial für die nächsten Monate und Jahre, wenn Kurden Häuser zurück haben wollen, die den Arabern jetzt gehören?

    Saydam: Sie haben recht, das ist ein Konfliktpotenzial immer noch und wird es ein paar Jahre wohl noch bleiben. Wenn es der Regierung, auch der zukünftigen Regierung, tatsächlich gelingt, die Umsiedlung ohne großes Konfliktpotenzial zu schaffen, zu verwirklichen, dass die Kurden wieder zurückgehen können, aber dass die Araber wieder entschädigt werden, in der alten Siedlung. Also, die Kurden sagen, wenn die Araber bleiben wollen, ja, sie können ruhig bleiben, aber die Kurden haben das Recht, wieder zurück zu gehen.

    Meurer: Aber beides zusammen geht nicht, also nur einer kann in dem Haus wohnen.

    Saydam: Sicherlich, ja gut, aber man kann dann neue Siedlungen schaffen, wo die Araber oder die Kurden, die zurück wollen, wieder hinziehen können. Also die beiden kurdischen Parteien, auch die kurdische Bevölkerung besteht nicht darauf, dass die Araber aus Kirkuk verschwinden sollen oder umgesiedelt werden sollen, sondern sie sagen, wir Kurden wollen wieder zurück in unsere Heimatstadt.

    Meurer: Ich entnehme also oder ich verstehe Sie richtig, die Warnungen, dass es einen Bürgerkrieg im Nordirak geben könnte, die halten Sie für übertrieben?

    Saydam: Die halte ich für wohl übertrieben tatsächlich. Es gab ganz kurz nach dem Krieg, als die Kurden eben, die vertrieben wurden oder waren, die teilweise noch in den Lagern lebten, wieder zurück wollten, da wohnten die Araber noch dort. Aber jetzt nach der Wahl des Gouverneurs und des neuen Stadtrates, ist das Problem sozusagen erledigt worden, indem man den Kurden versprochen hat, wir werden ein Programm ausarbeiten, wo ihr zurück gehen könntet, aber wir müssen auch sehen, wie die Araber, die eben dorthin eingesiedelt wurden, entschädigt werden können, oder ob sie zurück wollen, ob sie bleiben wollen.

    Meurer: Man hört nach den Anschlägen gestern auch, sie hätten sich gerichtet dagegen, dass ausländische Investoren in den Kurdengebieten oder im Nordirak sich ansiedeln. In welchem Maß gibt es das schon, ausländische Investoren in dieser Region?

    Saydam: Es gibt ausländische Unternehmen, sogar große Unternehmen, die Interesse haben, dort zu investieren tatsächlich. Aber meiner Überzeugung nach ist dieses Attentat nicht deswegen passiert, weil Investoren dorthin kommen wollen, ausländische Investoren, sondern weil die Kurden im Irakkrieg die US-Amerikaner oder die Koalition unterstützt haben, aktiv unterstützt haben.

    Meurer: Welche Rolle spielt das Öl in der Region Kirkuk?

    Saydam: Eine sehr große Rolle, denke ich. Die Kurden sagen ja, historisch gehört die Stadt oder die Provinz Kurdistan, und die Nachbarstaaten, insbesondere die Türkei, hat ja ein großes Interesse, Einfluss auf Kirkuk und Mossul zu nehmen, um eben von diesem Erdöl zu profitieren. Deswegen werden ein Teil der Turkmenen, die in Kirkuk und Mossul wohnen, von der türkischen Seite tatsächlich auch gegen die Kurden aufgehetzt. Also, die Auseinandersetzungen in Kirkuk zum Beispiel, gehen teilweise auf das Konto von Turkmenen.

    Meurer: Nach den beiden verheerenden Terroranschlägen von gestern im nordirakischen Erbil habe ich mich darüber unterhalten mit Abubekir Saydam. Er ist der Direktor des Internationalen Zentrums für die Menschenrechte der Kurden. Herr Saydam, ich bedanke mich für Ihren Besuch hier im Studio, auf Wiedersehen.

    Saydam: Ich bedanke mich auch, auf Wiedersehen.