Saydam: Guten Morgen, Herr Zagatta.
Zagatta: Herr Saydam, Meldungen über Explosionen im Nordirak werden Sie ja sehr beunruhigen, aber welche Gefühle hat denn der Beginn dieses Krieges bei Ihnen ausgelöst? Überwiegt da die Sorge um Verwandte und Freunde, um die Kurden im Irak oder freuen Sie sich, dass es dem Regime von Saddam Hussein endlich an den Kragen geht?
Saydam: Nicht besonders und viele andere Kurden, die in Deutschland und in Europa leben, haben zwei Sorgen: Einerseits, wenn tatsächlich das Saddam-Regime noch Waffen besitzt, dass es sie gegen die Kurden, gegen die größeren Städte im Gebiet der Kurden einsetzt und die zweite Sorge ist, dass die türkischen Streitkräfte trotz der Distanz zu den Amerikanern doch in Süd-Kurdistan beziehungsweise in Nord-Kurdistan einmarschieren und dadurch im Grunde genommen die Kurden zwischen zwei Mauern bleiben. Ansonsten haben die Kurden diese Meinung - sie haben ja seit Jahrzehnten unter diesem blutigen Regime zu leiden -, dass sie lieber ein Schrecken mit Ende als ein Schrecken ohne Ende haben wollen, das heißt, sie wollen, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird und sowohl die irakische Bevölkerung als auch die Kurden von diesem Schreckensregime befreit werden.
Zagatta: Halten Sie im Moment überhaupt noch Kontakt zu den Kurden im Nordirak? Ist das in dieser Situation überhaupt noch möglich?
Saydam: Ja, doch. Die Kurden haben ja über Satelliten ihre eigenen Verbindungen ins Ausland. Die beiden Parteien, die beiden Parlamente und Regierungen haben ziemlich gute Verbindungen nach außen. Von daher haben wir also auch tagtäglich Kontakt.
Zagatta: Wissen Sie denn, was sich da im Nord-Irak heute Morgen getan hat? Es ist ja von Explosionen in Mosul, also im Grenzgebiet zur Türkei, von solchen Informationen die Rede. Es werden Luftangriffe vermutet. Sind das auch Ihre Vermutungen?
Saydam: Das sind die Luftangriffe der USA und der Alliierten, denke ich, die vom Mittelmeer aus erfolgen. Die Türkei hat ja sozusagen den Luftraum den Amerikanern erlaubt, das heißt, die Amerikaner können auch vom Mittelmeer oder vom türkischen Territorium aus Angriffe starten. Ich denke, die versuchen dort in Mosul und um Mosul herum die irakischen Radaranlagen und irakischen Abwehrstützpunkte zu zerstören.
Zagatta: Wenn die USA dort massiver eingreifen, wenn sie vorrücken, wenn es solche Bombardements vielleicht schon gibt, wie werden sich die Kurden verhalten? Werden sie in diese Kämpfe an der Seite der USA mit eingreifen oder geht es Ihnen dann vorerst darum, sich erst einmal selbst in Sicherheit zu bringen.
Saydam: Nein, ich denke, die beiden kurdischen Parteien haben sich mit den USA geeinigt, dass sie an der Nordfront sozusagen an der Seite der Amerikaner gegen die Kräfte von Saddams Regime kämpfen. Eine andere Chance haben die Kurden sowieso nicht und die Kurden sehen ja darin im Grunde genommen, dass sie keine Entscheidungsmöglichkeiten hatten - Krieg oder nicht Krieg. Also müssen Sie in diesem Krieg mitmachen und daher sind sie dafür, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird und sie werden mit ihren etwa 70.000 regulären Kräften und Milizkräften die US-Amerikaner unterstützen. Vor allem kennen sie ja die Region, die Gegend. Das ist ihr Gebiet, so dass die Amerikaner eigentlich auch auf deren Unterstützung, vor allem durch die Bodentruppen, angewiesen sind.
Zagatta: Die Türkei hat gestern zwar den USA Überflugrechte eingeräumt, gleichzeitig aber auch die eigene, also die türkische Armee autorisiert, in den Nord-Irak vorzurücken. Da heißt es, aus humanitären Gründen, um dort Hilfe zu leisten. Kann das gut gehen?
Saydam: Ich denke nicht. Die kurdischen Kräfte haben deutlich gemacht, dass, falls die türkische Armee dort einmarschiert - und sie haben ja die Absicht, mit etwa 50.000 Kräften in Nord-Irak einzumarschieren -, die Kurden Widerstand leisten werden. Sie haben sich, nach unseren Informationen, schon darauf vorbereitet, und die türkische Seite weiß auch, dass es, sobald sie die Grenze überschritten haben, möglicherweise zu einer Auseinandersetzung dort und zu einer Auseinandersetzung mit den kurdischen Kräften im Süden kommen. Die Argumentation der türkischen Seite, dort zu verhindern, dass 100.000 Flüchtlinge über die Grenze kommen sollen, um die dort aufzufangen, ist nicht haltbar. Dafür brauchen sie keine 50.000 Soldaten. Vor allem die kurdischen Kräfte haben dort gesagt, dass sie schon in der Lage wären, auch wie bisher im Grunde genommen Flüchtlinge, die tatsächlich aus dem Irak in das kurdische Gebiet reinkommen dort aufzufangen und dort in den Flüchtlingslagern unterzubringen. Die Türkei versucht eigentlich mit dem Einmarsch in den Nordirak Einfluss auf die Post-Saddam-Ära zu nehmen, das heißt also die zukünftige Situation Iraks mitzubestimmen und auch nach ihrer Argumentation zu verhindern, dass ein unabhängiger kurdischer Staat entsteht, obwohl die Kurden mehrmals gesagt haben, dass sie nicht die Absicht haben, einen unabhängigen Staat zu gründen, sondern sie wollen in einem demokratischen Staat eine föderative Politik haben, das heißt ihre bisherigen Errungenschaften in den letzten Jahren aufrechterhalten und im demokratischen Irak mitzubestimmen.
Zagatta: Können Sie das denn garantieren? Wenn Saddam Hussein besiegt ist, begnügen sich dann die Kurden damit, Teil eines vielleicht demokratischeren Iraks zu sein oder müssen die Türken nicht dann doch fürchten, dass sie für einen unabhängigen Kurdenstaat kämpfen werden, den die Türkei so fürchtet?
Saydam: Nein, ich befürchte das nicht. Übrigens bin ich mir sicher, dass die kurdischen Kräfte dort realistisch genug sind. Sie haben das auch in der Vergangenheit mehrmals betont und auch bewiesen. Sie wissen ganz genau, dass sie zur Zeit keine Chance haben, auch in der nahen Zukunft einen unabhängigen kurdischen Staat zu gründen, denn die Nachbarn dieses Gebietes, Iran, Irak, Türkei würden mit Sicherheit da intervenieren. Daher wollen die Kurden innerhalb eines demokratischen Iraks ihre föderativen Rechte genießen, dort die Freiheit ausbauen, ihre wirtschaftlichen kulturellen und sozialen Errungenschaften erweitern. Von daher ist die Sorge oder die Behauptung - insbesondere der türkischen Seite -, die Kurden würden nachher einen unabhängigen kurdischen Staat gründen, nicht haltbar und nicht begründet.
Zagatta: Abubekir Saydam, der Direktor des Internationalen Zentrums für die Menschenrecht der Kurden in Bonn. Herr Saydam, ich bedanke mich für das Gespräch.
Link: DeutschlandRadio-Aktuell
Link: Interview als RealAudio
Zagatta: Herr Saydam, Meldungen über Explosionen im Nordirak werden Sie ja sehr beunruhigen, aber welche Gefühle hat denn der Beginn dieses Krieges bei Ihnen ausgelöst? Überwiegt da die Sorge um Verwandte und Freunde, um die Kurden im Irak oder freuen Sie sich, dass es dem Regime von Saddam Hussein endlich an den Kragen geht?
Saydam: Nicht besonders und viele andere Kurden, die in Deutschland und in Europa leben, haben zwei Sorgen: Einerseits, wenn tatsächlich das Saddam-Regime noch Waffen besitzt, dass es sie gegen die Kurden, gegen die größeren Städte im Gebiet der Kurden einsetzt und die zweite Sorge ist, dass die türkischen Streitkräfte trotz der Distanz zu den Amerikanern doch in Süd-Kurdistan beziehungsweise in Nord-Kurdistan einmarschieren und dadurch im Grunde genommen die Kurden zwischen zwei Mauern bleiben. Ansonsten haben die Kurden diese Meinung - sie haben ja seit Jahrzehnten unter diesem blutigen Regime zu leiden -, dass sie lieber ein Schrecken mit Ende als ein Schrecken ohne Ende haben wollen, das heißt, sie wollen, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird und sowohl die irakische Bevölkerung als auch die Kurden von diesem Schreckensregime befreit werden.
Zagatta: Halten Sie im Moment überhaupt noch Kontakt zu den Kurden im Nordirak? Ist das in dieser Situation überhaupt noch möglich?
Saydam: Ja, doch. Die Kurden haben ja über Satelliten ihre eigenen Verbindungen ins Ausland. Die beiden Parteien, die beiden Parlamente und Regierungen haben ziemlich gute Verbindungen nach außen. Von daher haben wir also auch tagtäglich Kontakt.
Zagatta: Wissen Sie denn, was sich da im Nord-Irak heute Morgen getan hat? Es ist ja von Explosionen in Mosul, also im Grenzgebiet zur Türkei, von solchen Informationen die Rede. Es werden Luftangriffe vermutet. Sind das auch Ihre Vermutungen?
Saydam: Das sind die Luftangriffe der USA und der Alliierten, denke ich, die vom Mittelmeer aus erfolgen. Die Türkei hat ja sozusagen den Luftraum den Amerikanern erlaubt, das heißt, die Amerikaner können auch vom Mittelmeer oder vom türkischen Territorium aus Angriffe starten. Ich denke, die versuchen dort in Mosul und um Mosul herum die irakischen Radaranlagen und irakischen Abwehrstützpunkte zu zerstören.
Zagatta: Wenn die USA dort massiver eingreifen, wenn sie vorrücken, wenn es solche Bombardements vielleicht schon gibt, wie werden sich die Kurden verhalten? Werden sie in diese Kämpfe an der Seite der USA mit eingreifen oder geht es Ihnen dann vorerst darum, sich erst einmal selbst in Sicherheit zu bringen.
Saydam: Nein, ich denke, die beiden kurdischen Parteien haben sich mit den USA geeinigt, dass sie an der Nordfront sozusagen an der Seite der Amerikaner gegen die Kräfte von Saddams Regime kämpfen. Eine andere Chance haben die Kurden sowieso nicht und die Kurden sehen ja darin im Grunde genommen, dass sie keine Entscheidungsmöglichkeiten hatten - Krieg oder nicht Krieg. Also müssen Sie in diesem Krieg mitmachen und daher sind sie dafür, dass dieser Krieg so schnell wie möglich beendet wird und sie werden mit ihren etwa 70.000 regulären Kräften und Milizkräften die US-Amerikaner unterstützen. Vor allem kennen sie ja die Region, die Gegend. Das ist ihr Gebiet, so dass die Amerikaner eigentlich auch auf deren Unterstützung, vor allem durch die Bodentruppen, angewiesen sind.
Zagatta: Die Türkei hat gestern zwar den USA Überflugrechte eingeräumt, gleichzeitig aber auch die eigene, also die türkische Armee autorisiert, in den Nord-Irak vorzurücken. Da heißt es, aus humanitären Gründen, um dort Hilfe zu leisten. Kann das gut gehen?
Saydam: Ich denke nicht. Die kurdischen Kräfte haben deutlich gemacht, dass, falls die türkische Armee dort einmarschiert - und sie haben ja die Absicht, mit etwa 50.000 Kräften in Nord-Irak einzumarschieren -, die Kurden Widerstand leisten werden. Sie haben sich, nach unseren Informationen, schon darauf vorbereitet, und die türkische Seite weiß auch, dass es, sobald sie die Grenze überschritten haben, möglicherweise zu einer Auseinandersetzung dort und zu einer Auseinandersetzung mit den kurdischen Kräften im Süden kommen. Die Argumentation der türkischen Seite, dort zu verhindern, dass 100.000 Flüchtlinge über die Grenze kommen sollen, um die dort aufzufangen, ist nicht haltbar. Dafür brauchen sie keine 50.000 Soldaten. Vor allem die kurdischen Kräfte haben dort gesagt, dass sie schon in der Lage wären, auch wie bisher im Grunde genommen Flüchtlinge, die tatsächlich aus dem Irak in das kurdische Gebiet reinkommen dort aufzufangen und dort in den Flüchtlingslagern unterzubringen. Die Türkei versucht eigentlich mit dem Einmarsch in den Nordirak Einfluss auf die Post-Saddam-Ära zu nehmen, das heißt also die zukünftige Situation Iraks mitzubestimmen und auch nach ihrer Argumentation zu verhindern, dass ein unabhängiger kurdischer Staat entsteht, obwohl die Kurden mehrmals gesagt haben, dass sie nicht die Absicht haben, einen unabhängigen Staat zu gründen, sondern sie wollen in einem demokratischen Staat eine föderative Politik haben, das heißt ihre bisherigen Errungenschaften in den letzten Jahren aufrechterhalten und im demokratischen Irak mitzubestimmen.
Zagatta: Können Sie das denn garantieren? Wenn Saddam Hussein besiegt ist, begnügen sich dann die Kurden damit, Teil eines vielleicht demokratischeren Iraks zu sein oder müssen die Türken nicht dann doch fürchten, dass sie für einen unabhängigen Kurdenstaat kämpfen werden, den die Türkei so fürchtet?
Saydam: Nein, ich befürchte das nicht. Übrigens bin ich mir sicher, dass die kurdischen Kräfte dort realistisch genug sind. Sie haben das auch in der Vergangenheit mehrmals betont und auch bewiesen. Sie wissen ganz genau, dass sie zur Zeit keine Chance haben, auch in der nahen Zukunft einen unabhängigen kurdischen Staat zu gründen, denn die Nachbarn dieses Gebietes, Iran, Irak, Türkei würden mit Sicherheit da intervenieren. Daher wollen die Kurden innerhalb eines demokratischen Iraks ihre föderativen Rechte genießen, dort die Freiheit ausbauen, ihre wirtschaftlichen kulturellen und sozialen Errungenschaften erweitern. Von daher ist die Sorge oder die Behauptung - insbesondere der türkischen Seite -, die Kurden würden nachher einen unabhängigen kurdischen Staat gründen, nicht haltbar und nicht begründet.
Zagatta: Abubekir Saydam, der Direktor des Internationalen Zentrums für die Menschenrecht der Kurden in Bonn. Herr Saydam, ich bedanke mich für das Gespräch.
Link: DeutschlandRadio-Aktuell
Link: Interview als RealAudio