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'Kurs der Konsolidierung und Modernisierung beibehalten'

Kapérn: Obwohl Siegmar Gabriel gar nicht anwesend war, bekam er gestern bei der Sitzung des SPD-Parteivorstands kräftig den Kopf gewaschen. 'Höhere Neuverschuldung, um die Konjunktur zu beleben', so Gabriels Vorschlag. 'Nie und nimmer', sagte der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder dazu. Das Problem aber bleibt: Die Konjunktur lahmt, die Arbeitslosenzahlen wollen saisonbereinigt nicht sinken, das Jammern überlagert den Optimismus. Was tun? Das habe ich vor der Sendung den Regierungschef von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement (SPD), gefragt.

    Clement: Meines Erachtens geht alles darum, den eingeschlagenen Kurs der Bundesregierung, den wir ja auch in den Ländern zu fahren versuchen, konsequent fortzusetzen. Es macht jetzt keinen Sinn, hektisch zu reagieren auf die gegenwärtige Situation. Ich glaube ohnedies, dass diese Situation vor allen Dingen sich dadurch auszeichnet, dass wir allzu viele Prognosen auf den Markt geworfen bekommen, die allesamt in einen Wettlauf nach unten begriffen zu sein scheinen. Mein Eindruck ist, dass wir in Deutschland eine fatale Neigung haben, uns nach unten zu reden - 'uns in den Keller zu reden', wie wir im Ruhrgebiet sagen würden, statt etwas zuversichtlicher in die Welt zu schauen. Ich habe noch nie erlebt, dass die Institute einen solchen Kellerlauf machen, wie sie ihn hier veranstalten. Nach oben hin, als die wirtschaftliche Entwicklung etwas günstiger verlief, habe ich einen ähnlichen Wettlauf nicht gehört. Ich bin auch nicht sicher, ob die wirtschaftliche Entwicklung tatsächlich so negativ ist. Die Prognosen bewegen sich jetzt zwischen 1,3 und 2 Prozent. Bei einem 1,7-prozentigen Wirtschaftswachstum sind wir besser, als in der gesamten zweiten Hälfte der 90er Jahre. Also, es macht ja keinen Sinn, dass wir uns schlechter reden als wir sind. Das ist mein eigener Punkt. Und der andere ist: Gerade jetzt kommt es darauf an, den Kurs beizubehalten, den wir eingeschlagen haben. Und das ist ja ein Kurs - a) zu konsolidieren, die öffentlichen Haushalte - die unverantwortliche Verschuldung - herunterzubringen, und b) - zu modernisieren, das heißt, insbesondere bei den Reformen der sozialen Sicherungssysteme weiterzugehen. Und dabei, bei diesen Prozessen, schichten wir ja Mittel um. Wenn ich dies mal aus nordrhein-westfälischer Sicht sagen darf: Wir schichten zur Zeit bei unseren Haushaltsberatungen die Mittel für die Gemeinden, die Gemeindefinan-zierungsmittel, um - vor allen Dingen auf einen Punkt, nämlich den Bau und die Sanierung von Schulbauten. Das bedeutet für uns ein Sanierungsprogramm, ein Konjunkturprogramm, wenn Sie so wollen, von rd. 10 Milliarden Mark, die wir in den nächsten Jahren investieren müssen in den Schulbau. Das finanzieren wir durch Umschichtungen - gemeinsam mit den Städten und Gemeinden. Das führt dazu, dass unsere Schulbauten wieder in einen vernünftigen Zustand kommen und das führt dazu, dass die Bauwirtschaft gleichzeitig Aufträge hat. Die Bauwirtschaft ist ja einer der negativen Faktoren, mit denen wir zu tun haben. Und deshalb glaube ich, dass solche Wege richtiger sind, als jetzt Verschuldensprogramme zu fordern, die wirklich keinen Sinn machen.

    Kapérn: Nun haben Sie ja gerade 1,7 Prozent Wirtschaftswachstum, Herr Clement, geradezu als erstrebenswert hingestellt. Tatsache ist doch, dass die Bundesregierung vor noch nicht allzu langer Zeit noch mit 3 Prozent gerechnet hat und diese Prognose selbst sukzessive nach unten gerechnet hat. Und die 2 Prozent, die derzeit uptodate sind in Berlin - selbst die sind ja wohl kaum noch erreichbar.

    Clement: Ja, aber das ist ja genau das, was doch niemanden, auch nicht der Bundesregierung, vorzuwerfen ist. Alle Wirtschaftsinstitute waren doch bei 2 ½ bis 3 Prozent Wirtschaftswachstum, und binnen kürzester Zeit kippt die gesamte Stimmung um. Ich behaupte ja nicht, dass weltweit alles in Ordnung ist. Es gibt ja objektive Gründe: Objektiv ist die wirtschaftliche Entwicklung in den USA nicht so gut, wie sie vor Jahr und Tag war, objektiv haben wir das Problem der Mineralölpreise. Das sind natürlich Faktoren, die dazu führen, dass die wirtschaftlichen Erwartungen insgesamt - in ganz Europa - nicht mehr so positiv sind, wie sie waren. Aber ich bin gegen dieses 'Hosianna' und 'Kreuziget ihn', gegen diesen Jubel und die Trauer, die bei uns Schlag auf Schlag folgen, sondern wir müssen sehen: Wir haben eine relativ gute wirtschaftliche Entwicklung noch; sie ist längst nicht mehr so gut, wie erhofft. Aber sie ist noch relativ gut, und wir sollten jetzt alles tun, um diese wirtschaftliche Entwicklung wieder nach oben zu bringen. Und dazu gehört beispielsweise, an der Reform der sozialen Sicherungssysteme weiterzuarbeiten; jetzt sind wir bei dem Gesundheitssystem. Das sind doch die Faktoren. Die Lohnnebenkosten beispiels-weise sind es doch, die kleine und mittlere Unternehmen besonders belasten.

    Kapérn: Aber genau das sind ja, Herr Clement, die Punkte, in denen der Bundesregierung Versagen vorgeworfen wird, weil sie auch da ihre selbst gesetzten Marken nicht erreichen wird.

    Clement: Aber das ist doch falsch. Diese Marken werden doch erreicht. Wir können jetzt hier Wahlkampfsprüche austauschen, aber nicht Dinge, die objektiv doch belegbar sind. Die Rentenversicherungsbeiträge waren noch nie so weit unten - jedenfalls noch nie in den 90er Jahren -, wie sie jetzt sind. Und sie sind weiter nach unten zu bringen. Beim Gesundheitssystem ist es ebenso, dass alles darum geht, die Beiträge stabil zu halten. Insgesamt wollen wir diese Belastung auf unter 40 Prozent bringen. Ich meine, das sind Fortschritte, die wir doch vor Jahr und Tag nicht erwarten konnten in der Bundesrepublik Deutschland. Und daran führt nun keine Diskussion vorbei, dass diese Ziele erreicht werden, Schritt für Schritt. In einer Demokratie geht es nicht so schnell, es ist kompliziert, aber es wird erreicht.

    Kapérn: Auch bis zur Bundestagswahl - die Marke von 40 Prozent noch erreichbar? Das war ja eine der Diskussionen . . .

    Clement: . . . bei den Lohnnebenkosten? Ich glaube ja. Ich gehe davon aus, dass dies zu schaffen ist und dass wir auch im Gesundheitsbereich insgesamt den Konsolidierungskurs schaffen. Daran müssen natürlich alle mitwirken. Auch da haben die Drohungen und das Winken mit Beitragserhöhungen allerorten wenig Sinn. Stattdessen wäre es mir lieber, man würde solidarisch, etwas solidarischer jedenfalls - bei aller Konkurrenz zwischen den verschiedenen Kassen - dazu kommen, an Konsolidierung zu denken und nicht daran, mit Beitragserhöhungen zu winken. Es hängt alles jetzt ab von der öffentlichen Atmosphäre, viel jedenfalls. Das wissen wir seit Ludwig Erhardt, dass 50 Prozent der wirtschaftlichen Entwicklung Psychologie sind. Es hängt alles davon ab, wie diese Psychologie ist. Das mag dieser oder jener wahltaktisch zu nutzten versuchen. Die Bundesregierung - wir haben jedenfalls die Aufgabe, für einen ruhigen Kurs zu sorgen und für einen Kurs, der Verlässlichkeit ausstrahlt. Und das - denke ich - wird auch geschehen.

    Kapérn: Die Präsidenten von BDI und BDA, Rogowski und Hundt, haben einen Vorschlag gemacht, wie die Wirtschaftspsychologie zu stützen sei - nämlich durch eine Vorziehung der Steuerreformschritte von 2003 und 2005 auf möglichst bald. Was halten Sie davon?

    Clement: Ja, sie haben nicht gesagt, wie sie dann mit den Schulden fertig werden wollen. Das geht ja in dieselbe Richtung. Wenn wir jetzt die Steuerreform vorziehen - die erste Stufe hat uns bereits im Land Nordrhein-Westfalen 4,5 Milliarden an Einnahmeverlusten gebracht. Wir sitzen ja am Haushalt, und die Öffentlichkeit wird sehen, dass dies zu erheblichen Einschränkungen in anderen Bereichen führt. Die selbe Entwicklung hätten wir, wenn wir die Steuerreform jetzt vorziehen würden. Ich möchte mal hören, was dann im Saarland, in Bremen, in Hamburg, in ganz Ostdeutschland - in den verschiedenen Teilen der Bundesrepublik Deutschland zu einem solchen Vorschlag gesagt wird. Ich wäre mal interessiert daran - das hat ja auch Frau Merkel gefordert - interessiert daran, von den Ländern, die ich gerade angesprochen habe, den CDU-geführten Ländern vor allen Dingen, zu hören, was sie denn von diesem Vorschlag halten. Es hat ja keinen Zweck - da stoßen sich dann die Zielsetzungen im Raum. Deshalb sage ich: Die Zielsetzung heute ist konsolidieren, die Zielsetzung ist umschichten - hin auf öffentliche Investitionen. Die müssen in den Bildungsbereich gehen, wie wir das in Nordrhein-Westfalen tun, und wenn es gezielt geht, auch in den Baubereich, wie wir es hier am Beispiel der Schulsanierung zu tun versuchen in Nordrhein-Westfalen. Das sind meines Erachtens vernünftige Schritte, die getan werden müssen. Pauschale Forderungen, jetzt generell die Steuern zu senken, machen jetzt keinen Sinn, sondern ich glaube, dass dies dem Kurs, den wir uns vorgenommen haben, nämlich eine verlässliche, ruhige Wirtschafts- und Finanzpolitik fortzusetzen, dass dies der richtige Weg ist.

    Kapérn: Macht es denn Sinn, über Steuererhöhungen nachzudenken, wie es die Grünen gerade getan haben? Die haben beschlossen, die Ökosteuer soll auch nach 2003 weitergeführt werden.

    Clement: Offen gesagt: Aus meiner Sicht 'nein', sondern es muss bei dem bleiben, was wir uns vorgenommen haben. Das alles zählt dazu. Jetzt ist Verlässlichkeit gefragt, und jetzt ist nicht ein Vorschlag nach dem anderen gefragt. Die einen wollen die Steuern erhöhen oder längerfristig erhöhen, die anderen senken. Jetzt kommt es darauf an, dass die Wirtschaft weiß, was geht und was nicht geht, und dass wir die Situation nutzen - es ist ja keineswegs so, dass wir wehrlos wären. Die Situation, die sich beispielsweise aus der Preisberuhigung ergibt, dass die europäische Finanz- und Geldpolitik in Europa darauf achtet, ob sich dort Spielräume ergeben, um steuernd einzugreifen - beispielsweise durch Zinssenkungen -, all dies muss in Ruhe geschehen und im Blick auf das, was um uns herum stattfindet, und vor allen Dingen auch in europäischer Absprache. Denn nationale Programme kosten viel Geld, aber sie verpuffen sehr schnell.

    Kapérn: Einen weiteren dieser Vorschläge, Herr Clement, kann ich Ihnen zumindest nicht ersparen. Ihre Parteifreundin Andrea Nahles hat gesagt, Bundesfinanzminister Hans Eichel solle seinen Sparkurs strecken. Ich will nun gar keine Kommentierung dieses konkreten Vorschlags, das haben Sie eigentlich schon getan. Aber trotzdem die Frage an Sie: Ist das so etwas wie die Auferstehung der Parteilinken nach jahrelangem Schweigen?

    Clement: Ach was. Wir haben gestern in der Präsidiumssitzung der SPD sehr klar festgehalten: Der Kurs wird fortgesetzt. Das ist eine einhellige Meinung im Präsidium bei uns; es gibt immer einige Stimmen, die sich dagegen äußern, das ist so. Aber wir brauchen jetzt wirklich nichts weiter als Verlässlichkeit und Beständigkeit, einen klaren Kurs. Unruhe drum herum haben wir genug.

    Kapérn: Das war der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement. Ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören, Herr Clement.

    Clement: Auf Wiederhören.

    Link: Interview als RealAudio