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Kursbestimmung in Hamburg

Ob der programmatische Kurswechsel, den die SPD beim Parteitag in Hamburg vollzogen hat, vom Wähler mit Zustimmung honoriert wird, muss sich erst noch erweisen. Klammheimlich rückte die Partei von der Agenda 2010 ab.

Von Sabine Adler, Peter Kapern, Friedbert Meurer, Frank Capellan | 28.10.2007
    Hat die SPD in den vergangenen drei Tagen Geschichte geschrieben? Die Antwort hängt von der Perspektive des Befragten ab. Für Kurt Beck fällt sie eindeutig aus: Er ist mit erstklassigen 95,5 Prozent der Delegiertenstimmen im Amt des Parteichefs bestätigt worden. Er steht, nachdem er Vizekanzler Franz Müntefering in die Kapitulation gezwungen hat, unangefochten an der Spitze der Sozialdemokratie. Und er hat der Partei eine neue Richtung gewiesen. Eine Richtung, die aus dem Tal der Umfrage-Depression herausführen soll. Und weil er sich schon vor Beginn des Parteitags sicher sein konnte, dass er all dies im Kongresszentrum von Hamburg erreichen würde, konnte er die Frage nach der Geschichtsträchtigkeit des Delegiertentreffens bereits in den ersten Minuten der Beratungen am Freitagvormittag beantworten:

    "Es ist ein besonderer Parteitag. man darf sagen, ohne mit dem Wort inflationär umzugehen: Es ist ein historischer Parteitag."

    Fast zwei Stunden dauerte die Eröffnungsrede des alten und neuen Parteivorsitzenden. Und sie verlangte den 525 Delegierten nicht nur wegen ihrer Länge Durchhaltevermögen ab. Es schien, als wollte Kurt Beck die ganze Welt beschreiben, um schließlich deutlich zu machen, wo die SPD ihren Platz haben soll. Es ging um alte Programme der Partei, um die Lage in Afghanistan, um Schulspeisungen und die US-Außenpolitik, es ging um die Junge Union und die Forstwirtschaft. Und irgendwo mitten in diesem Gestrüpp aus Wichtigem und weniger Wichtigem will Kurt Beck die SPD platzieren.

    Die Koordinaten dieses Ortes lauten für Kurt Beck wie folgt: nah bei den Menschen, vor allem aber in gehörigem Abstand zum Koalitionspartner, der Union. Als vorübergehende Verbalsozialdemokraten bezeichnete er die, und übte sich in scharfen Abgrenzungsversuchen. Alles, was die SPD seit 1998 an Gutem in der Regierung erreicht habe, so seine Botschaft, sei gegen den Widerstand einer marktradikalen Union ins Werk gesetzt worden. Die schmücke sich nun aber mit fremden Federn, was Beck in Hamburg mit etwas sperriger Ironie quittierte:

    "Und man kann nur sagen, willkommen Frau Merkel, wenn Sie sagen, was wir seit langer Zeit propagieren, alle Menschen sollen teilhaben an dem, was erarbeitet worden ist. Wo sie Recht hat, hat sie Recht. Aber ich darf daran erinnern, da gibt es auch ein paar Urheberrechte, die wir gerne abgeben, weil: Die Einsicht ist eine Tugend, daran kann es keine Zweifel geben."

    Ob auch der programmatische Kurswechsel, den die SPD in Hamburg vollzogen hat, vom Wähler als Tugend bewertet und mit Zustimmung honoriert wird, muss sich erst noch erweisen. Der Schwenk besteht in einer deutlichen Distanzierung von den rot-grünen Sozialreformen. Wochenlang hatten Beck und Müntefering öffentlich erbittert über die längere Auszahlungsdauer des Arbeitslosengeldes I gestritten. In Hamburg aber sollte der Richtungswechsel ohne Pauken und Trompeten, ohne Schlachtengetümmel vollzogen werden. Die Meinung der Delegierten war in dieser Sache nicht mehr gefragt. Einige von ihnen bekamen nicht einmal mit, dass der Antrag in den Abendstunden des Freitags ohne förmliche Debatte zur Abstimmung gestellt wurde. Klammheimlich rückte die SPD von der Agenda 2010 ab. Und nur ganz vereinzelt schafften es einige wenige Delegierte, ihren Missmut deutlich zu machen. Zum Beispiel Henrik Bednarz aus Baden-Württemberg:

    "Die grundlegenden Ideen, den Geist rot-grüne Reformpolitik, müssen wir doch erhalten, Genossinnen und Genossen. In diesem Sinne warne ich vor einem Einstieg in den Ausstieg aus der Reformpolitik, die Rot-Grün begonnen hat. Herzlichen Dank."

    Bis zu 24 Monate lang soll künftig Arbeitslosengeld I gezahlt werden. Doch die Absetzbewegung von den rot-grünen Sozialreformen geht noch weiter. Die Rente mit 67 soll abgemildert, eine Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze geprüft werden. Dies alles begründete Kurt Beck so.

    "Wie man spürt an der einen oder anderen Stelle, geht es an das Selbstwertgefühl der Menschen. Und deshalb sage ich, liebe Genossinnen und Genossen, dass wir an einer Reihe von Stellen vorsichtig, und ohne nach rückwärts zu gehen, ohne die Substanz einer notwendigen Reform zu verändern, die Bereitschaft haben müssen, dann dort nachzutarieren."

    Ein Linksrutsch? Nein, keinesfalls, sagte Beck. Auch nur davon zu reden, sei hanebüchener Unsinn.

    Und Franz Müntefering, der Vizekanzler? Mit versteinertem Gesicht verfolgte er die Rede seines Parteivorsitzenden und schwieg. Lange, bis zum Abend des zweiten Tages des Treffens von Hamburg. Dann trat er, hemdsärmelig mit roter Krawatte ans Mikrofon. Und eroberte die Delegiertenherzen im Sturm. Der Arbeits- und Sozialminister feilte wie Beck am neuen, sozialen Profil der SPD. Und trotzdem trennten die beiden Welten. Nach Becks ausladender Rede lieferte Müntefering ein Feuerwerk von sozialdemokratischen Beschwörungsformeln und Pointen. Unter anderem kündigte er einen entschlossenen Kampf mit der Union um einen gesetzlichen Mindestlohn an. 7,50 Euro soll der, so der Parteitagsbeschluss, betragen:

    "Wenn da Leute sind, die die Briefmarke zum halben Preis verkaufen und damit am Markt versuchen sich breitzumachen und anschließend ihre Leute zum Arbeits- und Sozialminister schicken und sagen, den Rest des Lohnes holst du dir aus der Steuerkasse, ist die Sache absurd, ordnungspolitisch verrückt."

    Nur eine dreiviertel Stunde brauchte Müntefering, um zu erreichen, was Kurt Beck am Tag zuvor versagt geblieben war: ein tobendes Plenum. Und die Delegierten wunderten sich nicht einmal, dass der Ex-Parteichef zu dem Streit mit Beck, der die Schlagzeilen vor dem Parteitag prägte, kein Wort verlor. Fast kein Wort:

    "Liebe Genossinnen und Genossen, ich habe ja geschworen, zu einem anderen Thema sage ich nichts heute. Das tue ich auch nicht. Ich will aber zum Schluss folgende Geschichte erzählen: Als ich 1975 zum ersten Mal in den Deutschen Bundestag kam, bin ich zu Onkel Herbert gegangen und habe dem erzählt, wie das jetzt so weiter gehen soll mit der Welt, das ist ja so die Attitüde, mit der man als Abgeordneter da ankommt. Der Onkel hat sich das angehört, und dann hat er gesagt: Ja, fang mal an, aber pass auf, dass Du nicht austrocknest. Ich habe das behalten, weil das so ein komischer Satz war, mit dem ich nicht wusste, was ich anfangen soll. Ich wollte Euch heute nur sagen, liebe Genossinnen und Genossen, es ist noch etwas da, ich bin noch nicht ausgetrocknet. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit."

    Hat der Hamburger Parteitag damit das Ende der Auseinandersetzungen zwischen Müntefering und Beck erlebt, ist das Kriegsbeil nun endgültig begraben? Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte, Beobachter beim Delegiertentreffen, ist skeptisch:

    "Ich sehe eher einen Waffenstillstand, das heißt also die Arbeitslosenthematik und wie man mit Arbeitslosengeld in der Regierungshandlung am Ende umgeht, wird die Partei und wird nachher Beck und Müntefering nochmal in neue Kontroversen bringen. Da bin ich ziemlich sicher."

    Vorläufig ist aber erst einmal Burgfrieden. Was Vorstandsmitglied Ute Vogt entzückte, als Beck und Müntefering am Samstagabend Seite an Seite an den Bühnenrand traten:

    "Ich denke, liebe Genossinnen und Genossen, das ist das, was wir uns wünschen, ein starker Vizekanzler, ein starker Parteivorsitzender, beide Seite an Seite nach vorne - herzlichen Dank für diese Wegweisung!"

    Und da standen sie dann, ein kurzer Händedruck, ein Klaps auf die Schulter, der eine ausgestattet mit 95 Prozent des Delegiertenjubels, der andere mit 95 Prozent der Delegiertenstimmen. Schwergewichte sind sie alle: der Vorsitzende und seine nun nur noch drei Stellvertreter. Ausgestattet mit starkem Rückhalt in der Partei, gemessen an den Wahlergebnissen. Vergessen die Nervosität, mit der sie der Abstimmung entgegen gesehen hatten - aus ganz unterschiedlichen Gründen. Im Mai diesen Jahres hatte Beck verfügt: Künftig wolle die Partei mit drei stellvertretenden Vorsitzenden auskommen. Da war der Zank um das Aufweichen der Agenda 2010 noch in weiter Ferne.

    Andrea Nahles ging die Agenda im Jahre 2003 massiv gegen den Strich, sie stritt für die Parteilinken dagegen, was ihr in diesem Flügel große Sympathien einbrachte, mehr als das Wahlergebnis von 74,8 Prozent ausdrückt. Ausgerechnet sie, der weit größerer Rückhalt in der Partei nachgesagt wird, als ihren beiden Ko-Stellvertretern, fuhr das schlechteste Ergebnis ein, denn Steinbrück bekam 75 Prozent, Steinmeier 85.

    Nahles haftet immer noch der Ruf der Königsmörderin an. Im November vor zwei Jahren galt sie als Wunschkandidatin der Linken für das Amt des Generalsekretärs. Parteichef Müntefering wollte mit diesem Amt aber einen anderen belohnen: den ehemaligen, sehr erfolgreichen Wahlkampfmanager Kajo Wasserhövel, der vielen jedoch zu unpolitisch erschien. Müntefering konnte sich nicht durchsetzen, legte den Parteivorsitz nieder, worauf Nahles wiederum weder das Amt als Generalsekretärin haben, noch als Stellvertreterin antreten wollte. Heute ist all das weitgehend vergessen, was auch an Nahles Standfestigkeit liegt, ihren guten Drähten zu den Gewerkschaften, ihrer überragenden Fähigkeit, Strippen zu ziehen, und an ihrem Fleiß zum Beispiel beim Feinschliff am neuen SPD-Grundsatzprogramm.

    "Dieses Hamburger Programm, ist ein Programm gegen die ungebremste Macht des Kapitals, und es ist ein Programm für die Macht der Demokratie, liebe Genossinnen und Genossen."

    Anders als Nahles war Peer Steinbrück ein Verfechter der Agenda. Der ehemalige Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, ein gebürtiger Hamburger übrigens, machte es den Genossen nicht immer leicht, ihn zu mögen. Als zum fünften Jahrestag der Einführung der Hartz-Gesetze vor allem Kritik an ihnen laut wurde, erinnerte Steinbrück daran, dass die Gesetze und die Agenda 2010 gewirkt hätten, der Aufschwung auch ihnen zu verdanken sei. Die, die jetzt darüber jammern, benähmen sich wie Heulsusen.

    Das Wort nahmen ihm viele bitter übel, deshalb Steinbrücks Zittern vor der Abstimmung am Freitag. Seit seinem Heulsusen-Vorwurf ist er um eine Erkenntnis reicher, wie er öffentlich zugibt:

    "Die SPD ist über diese Agenda 2010 gescholten worden, verprügelt worden. Wir haben darüber Wahlen verloren. Ich weiß, wovon ich rede. Es war ein sehr schmerzhafter Prozess. Sie können der SPD nicht abverlangen, einen Kurs weiter zu verfolgen, der sie fast um ihre Existenz bringt."

    Dass Steinbrück besser abschnitt als Nahles, überraschte den Finanzminister selbst wohl am meisten.

    Erwartungsgemäßer Sieger in der Dreier-Runde war Frank Walter Steinmeier, der als Außenminister auf der Beliebtheitsskala der Politiker unangefochten nach Angela Merkel auf Platz zwei steht. Steinmeier, Ex-Juso-Mitglied und seit 1975 in der SPD, trat in Hamburg erstmals als Parteisoldat auf. Sonst sehr um diplomatische Zurückhaltung bemüht, auch im jüngsten Streit um die Agenda 2010, teilte er in Hamburg erstmals ordentlich in Richtung Union und vor allem in Richtung der Kanzlerin aus.

    "Wir haben uns mit keinem einfachen 'Weiter so' benügt wie die Unionspartei. Kopflos raus oder kopflos drin bleiben, das ist eben typischerweise keine sozialdemokratische Alternative. Und wir alle empfehlen Angela Merkel: Nehmen Sie Afghanistan in Ihren Reiseplan auf!"

    Dass Merkel ihm seit Monaten die Show stiehlt und außenpolitische Erfolge wie die EU- und G8-Präsidentschaft in diesem Jahr allein einheimst, stößt ihm schon seit geraumer Zeit sauer auf. Dass Merkel seine und des Ex-Kanzlers Schröder Aufbauarbeit beim Menschenrechtsdialog mit China zerstört, wie er sagt, und er nach dem Dalai-Lama-Besuch im Bundeskanzleramt nun das Verhältnis zu Peking wieder kitten darf, dem Ärger darüber machte er jetzt laut Luft. In Hamburg wurde der Parteivize und Parteipolitiker Steinmeier geboren.

    Für Kabinettsmitglieder der SPD beginnt morgen, am Montag, wieder der Regierungsalltag. Nicht alles, was in Hamburg beschlossen wurde, wird ihnen die Arbeit erleichtern, etwa die Forderung nach der Abschaffung der steuerlichen Begünstigung von spritfressenden Dienstwagen oder die nach einem Tempolimit von 130 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen. In der Koalition sind diese Forderungen chancenlos, dienen also allenfalls der Schärfung des Parteiprofils.

    Dasselbe Schicksal könnte den Beschluss zur Bahnreform ereilen. Schon vor dem Hamburger Parteitag hatte die SPD Änderungen am Kabinettsbeschluss zur Teilprivatisierung verlangt. Ausschließlich stimmrechtslose Vorzugsaktien sollen danach ausgegeben werden. Damit versuchte die Parteiführung auf den wachsenden Unmut in den Landesverbänden zu reagieren. Dort hatte das Lager derjenigen, die jegliche Privatisierung der Bahn ablehnen, stetigen Zulauf erhalten. Mit dem Konzept der Volksaktie sollten sie besänftigt werden. Auch auf die Gefahr hin, dass mit der Volksaktie weniger Kapital in die Kassen der Bahn fließt als sie sich wünscht. Hermann Scheer, einer der Erfinder des Volksaktienmodells:

    "Ob hier eine Milliarde mehr oder weniger reinkommen bei dem Vorzugsaktienmodell, ist weniger wichtig als die Frage, ob die öffentliche Kontrolle und das Nichtausliefern an irgendwelche Kapitalinteressen, ob das nicht lieber Vorrang hat, ob das nicht der politisch wichtigere Gesichtspunkt ist."

    Da war sie, die Angst vor der Heuschrecke, die die gesamte Bahndebatte prägte. Viele Delegierte fürchteten, dass die Bahn sich aus der Fläche zurückziehen werde, wenn erst einmal Großinvestoren Einfluss nehmen in der Berliner Konzernzentrale. Deshalb forderte Peter Conradi:

    "Keinen Verkauf, keinen Teilverkauf, hundertprozentiges Bundeseigentum. Die Bahn gehört auf die Schiene, nicht auf die Börse. Vielen Dank."

    Das war der Moment, in dem die Stimmung im Hamburger Kongresszentrum endgültig gegen jede Form der Bahnprivatisierung zu kippen drohte. Nun blieb dem Parteichef nur noch eine Möglichkeit: der Griff zur Notbremse. Andernfalls wäre der SPD vom Koalitionspartner wohl der Schwarze Peter für das Scheitern der Bahnprivatisierung zugeschoben worden. Beck versprach den Delegierten, bei der Union massiv für das Volksaktienmodell zu werben, um den Sorgen der SPD-Basis, Großinvestoren könnten das Kommando bei der Bahn übernehmen, Rechnung zu tragen. Und mehr noch:

    "Wenn diese Sorgen nicht völlig ausgeräumt sind, dann wird der Parteivorstand die Entscheidung dem nächsten Parteitag übertragen."

    Ein Angebot, dass die Delegierten schließlich annahmen. Beck und der Vorstand hatten ihr Gesicht gewahrt, die Bahnprivatisierung ist damit jedoch auf eine lange Zeitschiene gesetzt worden. So groß der Widerstand der SPD-Basis gegen den Börsengang der Bahn war, der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wurde von einer klaren Mehrheit der Delegierten überwiegend reibungslos gebilligt. Dabei hatte es im Vorfeld gerade auch in der SPD massive Kritik an der US-geführten Anti-Terror-Mission Operation "Enduring Freedom" gegeben. Parteichef Kurt Beck hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel sogar eigens gebeten, im Bundestag über das OEF-Mandat erst nach dem SPD-Parteitag abstimmen zu lassen - getrennt also von der Billigung des Mandats für ISAF und Tornado-Einsatz. Außenminister Frank-Walter Steinmeier versicherte in Hamburg, die SPD bleibe eine Friedenspartei, und die Mission von OEF habe sich auch dank der Kritik Deutschlands verändert:

    "Wir haben nämlich sichergestellt, dass diese Soldaten - und zwar gleichgültig, ob bei ISAF oder bei OEF - bei ihren Einsätzen Rücksicht auf die Zivilbevölkerung zu nehmen haben und nach Kräften zivile Opfer zu vermeiden haben."

    Der Schwerpunkt soll auf den zivilen Aufbau Afghanistans gelegt, die meisten OEF-Einheiten in die internationale ISAF-Mission integriert werden, diese Forderungen sollen der Kritik die Spitze nehmen. Den Versicherungen der Parteispitze, OEF verfolge jetzt eine andere Strategie, wollten aber nicht alle Delegierte Glauben schenken.

    "Der wichtigste Grund ist, dass OEF die Ziele von ISAF konterkariert, und ich bin der festen Überzeugung, wer ISAF wirklich will, wer den Aufbau in Afghanistan wirklich will, der kann sich nicht hierhin stellen und kann sagen: OEF muss aber auf Gedeih und Verderb weitergemacht werden, weil: Irgendwann fliegt uns die Scheiße um die Ohren, liebe Leute."

    "OEF-Einsatz ist meiner Ansicht nach ein Aufbauprogramm für die Taliban."

    Schließlich votierten aber nur einige wenige SPD-Delegierte gegen das OEF-Mandat für die Bundeswehr. Die Mehrheit hatte sich wohl schon im Vorfeld davon überzeugen lassen, dass der Bundesregierung aufgrund ihrer Bündnisverpflichtungen kaum eine andere Entscheidung übrig bleibe.

    Schlusspunkt des Parteitags: die Verabschiedung des Hamburger Programms, des neuen Grundsatzprogramms der SPD. Es tritt an die Stelle des Berliner Programms von 1989. Das war nur 41 Tage nach dem Fall der Berliner Mauer verabschiedet worden und vom ersten Tag an von der Zeit überholt. Antworten auf die Herausforderungen, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges, nach der Westorientierung der mitteleuropäischen Staaten ergaben, waren darin nicht enthalten ebenso wenig wie Antworten auf die Probleme der Globalisierung und des demografischen Wandels. Nicht einmal die Reformpolitik der rot-grünen Bundesregierung fand ihre Grundlage im Berliner Programm. Das Hamburger Programm soll also auf 38 Seiten eine nachholende Modernisierung der Parteigrundlagen darstellen. Und was findet sich darin? Erhard Eppler, Mitautor des Programm, brachte es so auf den Punkt:

    "Wir wollen dieses, unser Land zukunftstauglich machen."

    Das Leitbild der SPD bleibt dafür der demokratische Sozialismus als Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft. Eine Formulierung, die auch parteiintern umstritten ist, erst Recht aber von der politischen Konkurrenz, etwa von der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel, aufs Korn genommen wird. Durch deren Kritik am Begriff des demokratischen Sozialismus sah sich Kurt Beck herausgefordert:

    "Das uns irgendjemand meint mit diesem Begriff treiben zu können oder gar unterstellen zu können, das hätte etwas zu tun mit einem Widerspruch zwischen Gerechtigkeit und Freiheit - zu Ungunsten der Freiheit, wer das versucht, hat in der Tat geschichtlich keine Ahnung, oder er oder sie ist böswillig."

    Für die SPD soll laut Programm gelten: So viel Markt wie möglich, so viel Regulierung wie nötig. Für notwendig erachtet die Partei starke Gewerkschaften und eine gerechte Besteuerung großer Vermögen und Erbschaften. Das von Ex-Parteichef Matthias Platzeck entwickelte Konzept des vorsorgenden Sozialstaats findet sich ebenfalls im Hamburger Programm. Ebenso aber hält die SPD am Konzept des nachsorgenden Staates mit verbürgten Sozialleistungen und Rechtsansprüchen fest. Generalsekretär Hubertus Heil:

    "Die Sozialdemokratie ist nicht gegründet worden als Armenküche des Kapitalismus. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es war immer richtig, Not zu lindern mit einem Teller Suppe und einem Stück Brot. Aber die eigentliche Idee der Sozialdemokratie ist, dass nicht die Herkunft, das Geschlecht oder die Hautfarbe die Menschen auf den Rest ihres Lebens festnagelt, sondern dass alle Menschen selbstbestimmt leben können, das meinen wir mit vorsorgenden Sozialstaat."

    War es nun also ein historischer Parteitag, wie Kurt Beck bereits am Freitag gesagt hatte? Er selbst formulierte es heute, am Schlusstag, etwas zurückhaltender. Es seien gute Tage gewesen, die die SPD in Hamburg erlebt habe.