Gleich hinter dem Dammtorbahnhof, zwischen Alsterufer und Rothenbaumchaussee, schlängelt sich der Mittelweg durch den noblen Hamburger Bezirk Pöseldorf. Unter der Hausnummer 36 residiert hier seit nunmehr dreißig Jahren das von Jan Philipp Reemtsma gestiftete Hamburger Institut für Sozialforschung. Dessen herausragende sozialwissenschaftliche und zeithistorische Debattenbeiträge und Rezensionen sollten aber erst nach acht Jahren in einem Publikationsorgan über die Institutsgrenzen hinaus das Licht der Öffentlichkeit erblicken. So entstand 1992 die Zeitschrift "Mittelweg 36". Redakteur Martin Bauer erinnert an das Gründungsmotiv:
"Im Grunde ging es damals primär um den Wunsch, diesem Hamburger Institut für Sozialforschung ein eigenes Organ zu geben, um damit eine regelmäßige Visitenkarte zu verabreden, die im Zweitmonatsrhythmus der breiteren, zunächst Fach-, Öffentlichkeit gestattet, mit zu verfolgen, was im Hamburger Institut an Forschung passiert."
Doch nur eine Instituts- und Fachzeitschrift für ein spezielles Lesepublikum wollte man auf lange Sicht nicht bleiben. Das Blatt begann sich zu öffnen. Verglichen mit den Einstellungen der Gründerzeit seien Institut und Zeitschrift über die Jahre "extrem liberal" geworden.
"Also, ich würde nicht sagen, dass es eine offene oder auch verdeckte politische Agenda des "Mittelweg 36" gibt. Ich würde sagen, was es gibt, ist ein Interesse an der Frage: Wie entwickelt sich die die bundesrepublikanische und europäische Gesellschaft? Natürlich gibt es ein generelles Interesse an der Beobachtung von Unruhe. Wer sich für Gewalt interessiert, blickt auf Gesellschaften weniger unter der Perspektive: Was ist stabil an diesen Gesellschaften, sondern eher unter der Perspektive, durch welche Instabilitäten sind Gesellschaften geprägt?"
Hinter der spannenden Absicht, Verschüttetes, Verdrängtes oder Vergessenes hervorzukehren, die andere Geschichte zu analysieren, ist nicht mehr wie in früheren Zeiten der Drang auf ein Konzept von Gegenöffentlichkeit zu verspüren. Nein, die Zeitschrift ist eher auf sogenannte "wilde Leser und Leserinnen" erpicht, die neugierig sind, sich anregen lassen, auch wenn deren Aufmerksamkeitsbereitschaft ziemlich unberechenbar scheint.
"Meine Hoffnung ist, dass wir eine Zeitschrift machen für Leute, die mit dem Anspruch leben, eine bestimmte Geistesgegenwart auch dadurch sicher zu stellen, dass sie sich breit auf der einen Seite informieren, und Angebote, bestimmte Kenntnisse, die sie bereits haben, zu vertiefen, unter Umständen gerne aufgreifen."
Erben des Feuilletons?
Der "Mittelweg 36" umfasst wechselnd zwischen 100 bis 120 Seiten. Das Redaktionsteam besteht aus fünf Personen, zuständig für den redaktionellen Inhalt, Werbung und Vertrieb. Auffällig ist die an Bilddokumentationen geknüpfte ästhetische Gestaltung: "Das gehört tatsächlich in die Gründungskonzeption der Zeitschrift. Das ist mit induziert aus der Wehrmachtsausstellung, Bilder als autonome Quellen des historischen Erinnerns zu respektieren."
Liegt hierin ein Zukunftstrend? Profitieren Zeitschriften wie das neue "Kursbuch", "Indes", das "Philosophie-Magazin" oder der "Mittelweg 36" vom immer kurzatmiger werdenden Feuilleton oder einem wachsenden Interesse an dichteren Analysen?
"Wir beobachten, was mit der Krise der Printmedien generell zu tun hat, dass gewissermaßen die Grundfläche, auf der die Kolleginnen im Feuilleton operieren können, sich verschmälert findet. Und dadurch entstehen natürlich Nischen, neue Möglichkeiten für Medien, die das gewissermaßen kompensieren. Und ich würde vermuten, dass die Öffentlichkeit, die dafür Interesse hat, existiert, die ist klein, aber ich würde schon sagen, die ist jetzt nicht vom Aussterben bedroht."
So vollbringen Zeitschriften wie der "Mittelweg 36" eine Art Spagat, indem sie mit Texten unterwegs sind, die vor zehn Jahren noch tiefenscharf in den Feuilletonspalten erschienen wären.
"Ich fände es gut, wenn wir auch in Zukunft mit Historikern und Soziologen zu tun haben, die an zwei Schreibtischen arbeiten können, einerseits Texte schreiben für ihr Fach, aber sich durchaus auch dem Anspruch stellen, aus ihrer Forschungsarbeit Texte verfassen zu können, die dann eben nicht nur an die Fachöffentlichkeit adressieren."
"Politische Tiere" heißt der Titel der aktuellen Ausgabe – es geht um Tierrechte. Redakteur Martin Bauer: "Es hat unlängst in Hamburg einen Kongress gegeben, wo Politologen die Herausforderung aufgenommen haben, dass wir Tiere endlich auch als Teil unserer Gesellschaft anerkennen und die mit dem Staatsbürgerstatus ausstatten."
Die Zeitschrift Mittelweg 36 erscheint alle zwei Monate und kostet 9,50 Euro.