Noch immer hält im linken Umfeld die Suche nach Sündenböcken an. Dabei glaubt man einmal mehr bei den Medien fündig geworden zu sein. In der SPD-nahen "Neuen Gesellschaft" ist sogar von "Dreckschleudern" und "Dampfplauderern" die Rede, die über Wochen am Werk gewesen seien, um der "politischen Kultur den Garaus" zu machen. Konstatiert der freie Autor Rudolf Walter empört. In einer "nie dagewesenen Schlammschlacht" hätten sichgroße Teile der Presse, Talkshows und selbst Nachrichtensendungen wochenlang nur gegenseitig überboten beim Ausgießen von Spott, Häme und gewöhnlichem Dreck. (Das) ist schon einzigartig.
Auch in den "Blättern für deutsche und internationale Politik" wird eine Breitseite gegen die Medien abgefeuert. Zum Beispiel von Stefan Grönebaum, über dessen krude konspirative Vermutung man sicher getrost hinweggehen könnte, wenn es sich bei ihm nicht um Hannelore Krafts medialen Statthalter in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung in Berlin handeln würde:
Wer sich einen Kandidaten aufs Auge drücken lässt von einer übelwollenden Koalition aus Demoskopen und Journalisten, die ihn jahrelang wie einst Gerhard Schröder gegen seine Partei hoch geschrieben haben, der darf sich nicht wundern, wenn dieselbe Riege tief enttäuscht reagiert, wenn sich der Kandidat doch als Sozialdemokrat erweist.
Derweil werden die Chancen einer Großen Koalition in den Blättern und Blogs überwiegend negativ beurteilt. Stefan Collignon, Professor für Wirtschaftspolitik in Hamburg, glaubt, dass in Deutschland ein solches Bündnis auf Dauer die Parteienlandschaft destabilisieren könnte. In den "Blättern für deutsche und internationale Politik" prophezeit er:
So könnten sich die linksliberalen Kräfte bei den Grünen wiederfinden und der nationalliberale Flügel mit der AfD eine Art deutsche FPÖ bilden. Die Opposition gegen den ökonomischen Neoliberalismus würde bei einer Großen Koalition aus dem Realo-Flügel der Linkspartei kommen, und die SPD würde auf allen Seiten verlieren.
Dagegen macht Albrecht Müller, der frühere Kanzleramts-mitarbeiter, im linken Blog "Nachdenkseiten" immerhin fünf Politikfelder aus, auf denen sich die SPD an der Seite der gestärkten Union profilieren könnte:
Eine Arbeit für die Angleichung der Wettbewerbsfähigkeiten in Europa; die Weigerung, militärische Einsätze mitzumachen; eine Ende mit der Demütigung der Völker Südeuropas; eine Front gegen die weitere Privatisierung von Kliniken sowie die Schaffung eines Bewusstseins für die ungerechte Vermögens- und Einkommensverteilung in unserer Gesellschaft.
Umstritten bleibt dabei das Kernprojekt Gesetzlicher Mindestlohn, ohne den die SPD den Koalitionsvertrag nicht unterzeichnen möchte. Warum aber der Mindestlohn nicht in die Politik gehöre, versucht Christian Scholz auf FAZ-online zu erläutern. 2007, blickt er zurück, hätten Franz Müntefering und andere noch eine Transformation Deutschlands in eine gewerkschaftsfreie Zone prognostiziert. Seitdem finde eine wahre Prozession von Politikern statt, die sich beim flächendeckenden Mindestlohn gegenseitig überböten:
Immer noch arbeiten Menschen – von der vielzitierten Haarschneidefachkraft bis zum Gebäudereiniger – für ein Einkommen, von dem man nicht leben kann. ( ... ) Doch der durch Politiker fixierte "gesetzliche, flächendeckende Mindestlohn" ist in seiner Wirkung eindrucksvoll unklar und zurzeit eine reine Rätselstunde: Bei wie vielen Personen wird der tatsächliche Lohn steigen? Bei wie vielen wird der Arbeitsplatz ganz wegfallen? Bei wie vielen wird es zusätzliche unbezahlte Mehrarbeit geben, die den Mindestlohn zunichte macht? ( ... ) Wir brauchen vielmehr eine Lösung, die zum einen die Tarifautonomie forciert, gleichzeitig aber ein Sicherheitsnetz dort spannt, wo Menschen zu nicht zumutbaren Bedingungen arbeiten müssen.
Bliebe ein Blick auf die Koalitionsöffnung der SPD zur Linkspartei. Politikberater Michael Spreng mutmaßt hinter dieser Offerte "die Leimrute, auf der Gabriel seinen linken Flügel in die Große Koalition locken" möchte. Auch sonst gibt er auf seinem Blog "Sprengsatz" einem solchen Bündnis keine Chance:
Warum sollte die Linke das tun? Sie braucht die Pazifisten, die Utopisten und auch die westdeutschen Sektierer, um künftig noch die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden. Denn im Osten hat sie es mit einer aussterbenden Wählerschaft zu tun. Und als Opposition muss sie sich ( ... ) radikal links von der SPD abgrenzen.
Auch auf Cicero-Online werden dem "Fall des rot-roten Tabus" keine inhaltlichen Zukunftschancen eingeräumt. Die Akzeptanz für Rot-rot-grün tendiere in der Bevölkerung "gegen Null":
Attraktive rot-rot-grüne Zukunftsideen sind noch Mangelware. Schon alleine tut sich die SPD schwer, eine moderne linke Politik zu formulieren, die sowohl in die Mitte der Gesellschaft als auch in die alte Kernwählerschaft ausstrahlt. Zusammen mit Grünen und Linken wird das nicht einfacher.