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Buchrezension "Die Securitate und der Verkauf der Juden"

Mehr als eine Viertelmillion Juden haben nach dem Zweiten Weltkrieg Rumänien verlassen, um nach Palästina oder später Israel auszuwandern. Das kommunistische Regime in Rumänien ließ sich das gut bezahlen. Der rumänischstämmige Historiker Radu Ioanid beschäftigt auch in seinem jüngsten Buch "Die Securitate und der Verkauf der Juden" mit diesem Thema.

Von Annett Müller | 04.04.2016
    Bukarest, 29. Februar 1960. Der britische Labour-Abgeordnete Maurice Orbach unterbreitet dem rumänischen Staatschef Gheorghe Gheorghiu-Dej ein Angebot: Der Jüdische Weltkongress könne der Kommunistischen Partei eine halbe Million Dollar überweisen, wenn sie auswanderungswillige Juden aus Rumänien ausreisen lasse. Eine verlockend hohe Summe. Der rumänische Präsident aber lehnt ab:
    "Ein solches Angebot scheint uns unpassend. Nicht dass man zum Schluss noch glaubt, wir würden mit der Auswanderung der Juden ein Geschäft machen wollen. Wir haben keine Menschen zum Verkauf."
    Gheorghiu-Dej, der als unbestechlicher Staatsmann gelten wollte, ließ sich 1960 von israelischer Seite längst für jede Auswanderung gut bezahlen. Das belegt der US-Historiker Radu Ioanid in seinem jüngsten Buch "Die Securitate und der Verkauf der Juden". Es ist eine akribische Analyse eines gut 50 Jahre andauernden Tauschgeschäftes zwischen Rumänien und Israel, das die beiden Länder äußerst verschwiegen und größtenteils über ihre Geheimdienste abwickelten.
    Ioanid, der schon vor knapp zehn Jahren das Staatsgeheimnis mit lüftete, kann jetzt erstmals über 300 rumänische Geheimdienstdokumente veröffentlichen, die keinen Zweifel mehr an diesem makabren Handel lassen. In Israel sind die Dokumente zum Thema noch unter Verschluss, die rumänische Aktenaufarbeitungsbehörde CNSAS hingegen hat sie öffentlich gemacht:
    "Wenn wir die Quantität der zugänglichen Geheimdienstakten mit anderen osteuropäischen Staaten vergleichen, steht Rumänien sehr gut da. Man hat dort einen großzügigen Zugang zu den Archiven. Das ist für ein postkommunistisches Land, das starke Repressionen erlebt hat, außergewöhnlich."
    Ioanid fand im Archiv die Belege für ein Hunderte-Millionen-Dollar-Geschäft, das der Autor in mal nüchtern, mal launig gehaltenem Stil dokumentiert. Das kommunistische Agrarland Rumänien, das sich nach dem Zweiten Weltkrieg von Moskau emanzipieren wollte, ließ sich wirtschaftlich aufpäppeln - mit Industrieanlagen, zinslosen Krediten und schließlich mit harten Devisen pro Jude. Jüdische Akademiker gab es für bis zu 3.300 Dollar - sie waren am teuersten. Israel ging auf den Deal ein, weil es Landsleute brauchte.
    Der Historiker Ioanid geht jedoch nur mit der rumänischen Seite ins Gericht. Sein Buch ist damit nicht minder lesenswert. Der Autor seziert die internen Machtmechanismen, zeigt die Geldgier der Staatschefs und ihrer Handlanger. Ab 1970 kassierte Staatschef Nicolae Ceausescu nicht nur bei Israel ab. Die Securitate sollte Ausreisewillige auch persönlich zur Kasse bitten:
    "Man forderte Geld, Wohnungen, Autos und andere Wertsachen im Gegenzug für die Ausreiseerlaubnis. Die Tarife variierten von 826 bis zu 10.000 Dollar. 1973 brach Ceausescu die Aktion ab, weil sie "für schlechte internationale Presse sorge". Der wahre Grund war, dass zu viele Geheimdienstoffiziere und Informanten - die direkt mit den Ausreisewilligen verhandelten - das Geld in andere Taschen als in die von Ceausescu wirtschafteten."
    Ioanid beschreibt auch die politischen Kompromisse im Kalten Krieg, die die Auswanderung der Juden erst ermöglichten. Ceausescu als Enfant terrible des Ostblocks wurde von den USA und Westeuropa jahrelang hofiert, weil der Rumäne Moskau Paroli bot. Und weil er eine große jüdische Gemeinde im Land hatte.
    Israel brach die bilateralen Beziehungen auch dann nicht ab, als sich Ceausescu zum Despoten entwickelte. Hat sich Jerusalem schuldig gemacht, weil es mit dem Freikauf der Juden zugleich Hunderte Millionen Dollar in einen Repressionsstaat pumpte? Ioanid, der 1987 selbst Rumänien verließ, berichtet:
    "Man hat in Israel hin- und herüberlegt, weniger aus finanziellen, sondern aus moralischen Gründen. Und wenn Sie sich die Erinnerungen des israelischen Unterhändlers Shaike Dan ansehen, dann finden Sie diese Zweifel, dass man sich fragt, was machen wir hier eigentlich? Doch man ist zu dem Entschluss gekommen, dass das die einzige Lösung ist."
    Die rumänischen Kommunisten schafften, was ihr faschistoides Vorgängerregime unter Ion Antonescu geplant hatte: Ein Land fast ohne Juden, resümiert Ioanid in seinem Buch. Über eine Viertelmillion Juden haben Rumänien nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen. Sie wollten nicht im Land der Holocausttäter bleiben, wo sie mehrfach enteignet wurden, und in das sie jegliches Vertrauen verloren hatten.
    Ioanids Buch ist daher auch ein Lehrstück über den tief verwurzelten Antisemitismus in Rumänien, der auch zum Klassenkampfschema der kommunistischen Staatsführung gehörte:
    "In der stark zensierten Presse tauchten in den 1980er-Jahren immer mehr antisemitische Artikel auf. Hinter dieser Hasskampagne konnte niemand anderes als Ceausescu stecken. In zahlreichen Beiträgen wurden die Juden als Diebe und Korrupte bezeichnet, als gewissenlos, illoyal, denen jegliche patriotische Bindung zum Land fehlt, und die nur daran interessiert sind, es auszusaugen."
    Eine Meinung, die heute noch in Rumänien weit verbreitet ist. Im Land, in dem es nach dem Zweiten Weltkrieg noch eine der größten jüdischen Gemeinschaften in Osteuropa gab, leben heute knapp 3.000 Juden. Als Staatschef Klaus Johannis unlängst ein Museum zur jüdischen Geschichte ankündigte, löste er eine Welle antisemitischer Hetze im Internet aus.
    Nach der Lektüre von Ioanids Buch versteht man besser denn je, warum fast alle Juden Rumänien verlassen haben - koste es, was es wolle.
    Buchinfos:
    Radu Ioanid: "Die Securitate und der Verkauf der Juden. Geschichte der geheimen Vereinbarungen zwischen Rumänien und Israel", Verlag Polirom 2015, Preis: 49,95 Lei (ca. 20 Euro; auf Rumänisch)