Archiv

Kursiv International
Plädoyer für Amerika

Der Publizist und Amerika-Kenner Josef Joffe hat eine Streitschrift für die USA geschrieben, so leidenschaftlich, wie es wohl nur ein Nicht-Amerikaner kann. Er analysiert klug und argumentiert clever. Ein lehrreiches, unterhaltsames Buch.

Von Katja Ridderbusch |
    Er glaube, dass sein Land etwas Besonderes sei - genauso wie das eben die Briten und die Griechen von ihren Heimatländern glaubten. Das sagte Barack Obama im April 2009; da war er noch frisch im Amt des US-Präsidenten und bemüht, Amerika in nicht allzu schillernden Farben zu malen.
    Drei Jahre später klang das ganz anders:
    Amerika sei zurück, verkündete Obama markig, und jeder, der vom Niedergang des Landes rede, habe schlicht keine Ahnung.
    Dem drohenden Untergang folgt die Erlösung – damit liegt Obama in der Tradition seiner Vorgänger, demokratisch wie republikanisch, von John F. Kennedy über Jimmy Carter bis Ronald Reagan. So argumentiert auch der ZEIT-Herausgeber und USA-Kenner Josef Joffe in seinem neuen Buch. Er schreibt,…
    "…, dass Niedergang immer auch eine Frage des Datums ist. So scheint die Nacht stets am dunkelsten während eines Präsidentschaftswahlkampfes. Sobald der Kandidat im Amt ist (...), dämmert dann "wieder der Morgen in Amerika", wie es in einem berühmten Fernsehspot von Ronald Reagan hieß."
    Stets pointiert, bisweilen polemisch, niemals langweilig: Das ist der Ton des gesamten Buches, das von der "New York Times" bis zum "Wall Street Journal" in fast allen großen amerikanischen Blättern besprochen wurde.
    Joffes These: Die amerikanische Politik bewegt sich in Zyklen
    Joffe lehrt als Gastprofessor an der renommierten Stanford Universität in Kalifornien, am Rande des Silicon Valley. Da passt es auch, dass sein Buch zuerst in den USA erschienen ist, auf Englisch, und sich vor allem an amerikanische Leser richtet. Schließlich handele es sich ja auch um ein sehr amerikanisches Thema, sagt der Autor:
    "Ich glaube, es gibt kein westliches Land – und das entspricht nicht den klassischen deutschen Vorurteilen – das so selbstkritisch ist wie Amerika. Das ist ein Land, das in dieser prophetischen Tradition lebt. Also: Ihr habt gesündigt, ihr müsst euch bessern, oder es wird euch etwas Schreckliches passieren."
    Das ist Joffes große These: Die amerikanische Politik bewege sich in Zyklen – des angekündigten Niedergangs, gefolgt von der Umkehr und schließlich der Erlösung.
    Joffe macht fünf Zyklen seit 1945 aus. Der erste begann mit dem sogenannten Sputnikschock Ende der 1950er Jahre, als die Sowjetunion vor den USA den ersten Weltraumsatelliten ins All schickte. Es folgten in den 60er Jahren der Vietnamkrieg, in den 70ern die Ölkrise und in den 80er Jahren die Furcht vor dem wirtschaftlichen Boom Japans. Die bislang letzte Welle – Joffe nennt sie "Niedergang 5.0" – ist bestimmt von der großen Rezession und dem Aufstieg Chinas.
    Allerdings sei Amerikas Furcht vor China unbegründet, davon ist Joffe überzeugt.
    Steile Thesen mit überzeugenden Argumenten
    "Interessant dabei ist, dass diese Untergangsvision schon längst abgeklungen ist, weil die Chinesen, ähnlich wie die Japaner vor ihnen, ein Wachstumsmodell benutzt haben, das anfangs doppelstellige Wachstumszahlen hatte. Inzwischen sind die Chinesen bei sieben Prozent, derweil Amerika wieder ganz flott – was heißt: ganz flott im Vergleich zu Europa - wächst."
    Europa und Amerika: Das Verhältnis ist nicht selten von Missverständnissen und Missgunst geprägt. So griffen Amerikakritiker diesseits des Atlantiks die Untergangsgesänge aus den USA immer wieder freudig auf, sagt Joffe.
    "Ob Deutsche oder Franzosen oder wer auch immer, sie müssen ja mit diesem Giganten, diesem Elefanten Amerika leben. Deshalb ist es für die eigene Psyche manchmal sehr heilsam, wenn man die Warzen an diesem Elefanten erkennt und als Beweise anführen kann, dass es um diesen Riesen gar nicht so toll bestellt ist."
    "Der Mythos vom Niedergang Amerikas" ist ein Buch mit einer steilen - und über weite Strecken überzeugenden These. Die verfolgt der Autor konsequent und ohne allzu große Rücksicht auf Details und Trends, die das große Ganze stören könnten.
    So geht er auf die innere Verfasstheit Amerikas nur am Rande ein - auf die Schuldenkrise, die wachsende Armut, die maroden Sozialsysteme.
    "Am Ende mögen die Defizite, die Schulden und die Blockade der Politik ihren Tribut fordern. Allerdings haben solch düstere Warnungen alle fünf Niedergangswellen begleitet – und sich bislang nicht bewahrheitet."
    Josef Joffe hat eine Streitschrift für die USA geschrieben, so leidenschaftlich, wie es wohl nur ein Nicht-Amerikaner kann. Herausgekommen ist ein Buch, das klug analysiert und clever argumentiert. Das lehrreich ist, ohne zu belehren. Das grandios unterhält und dem viele Leser zu wünschen sind.
    Josef Joffe: The Myth of American Decline. Politics, Economics and a Half Century of False Prophecies, W.W. Norton & Company, 327 Seiten, 20,95 Euro, ISBN: 978-0-871-40449-7