Svenja Flaßpöhler lebt in Berlin, am Prenzlauer Berg. Dort, wo so viele Menschen leben wie sie. Menschen, die das tun wollen, wozu sie sich berufen fühlen - die Bücher schreiben, Verlage gründen und damit ihr Geld verdienen oder es doch jedenfalls versuchen. Seit wenigen Wochen ist die 36-Jährige stellvertretende Chefredakteurin des Philosophie-Magazins. Sie kommt in der Mittagspause nach Hause, in eine Wohnung mit hohen Decken und altem Parkett. Svenja Flaßpöhler genießt dieses Nach-Hause-Kommen. Denn lange genug hat sie zu Hause gearbeitet. Sie ist morgens in aller Frühe aufgestanden, wenige Schritte vom Schlafzimmer ins Wohnzimmer gegangen und hat dort stundenlang an ihrem kleinen Schreibtisch gesessen.
"Also Arbeit ist für uns nicht mehr hinterm Pferdekarren her rennen und abends froh sein, wenn man dann das ganze Zeug an den Haken hängt, sondern wir sitzen heute vor schicken Macs, trinken unseren Latte Macciato und fühlen die Anspannung, die Anstrengung nicht mehr so sehr. Es ist aber Anstrengung. Also Arbeit hat immer etwas, so lustvoll sie auch sein mag, mit Triebverzicht zu tun."
Sie selbst nennt sich eine Perfektionistin. Kennt diese Nächte, in denen sie aufsteht, um das richtige Wort an die richtige Stelle zu setzen. Der Genuss und die Arbeit, das eine vom anderen zu trennen, genau das ist ihr Thema: "Wir Genussarbeiter" hat sie ihr Buch genannt. Die Philosophin geht darin der Frage nach, warum wir uns in der Arbeit mitunter verlieren. Und aus der Arbeit Qual wird - ohne dass wir es uns eingestehen, weil wir doch eigentlich genießen, was wir tun.
"Mich interessiert auch genau zu gucken, was ist das eigentlich für eine Lust, die der Genussarbeiter da am Schreibtisch empfindet? Ist das eine extatische Lust, wo man so aufgeht im Gegenstand und mit ihm etwas tut und ihn verwandelt, so im alten hegelianischen Sinne. Also: Man tut etwas mit diesem Gegenstand und der Gegenstand wird schöner und schöner, weil man Zeit auf ihn verwendet und der spiegelt dann schon durch sich eine Art von Anerkennung zurück auf denjenigen, der die Arbeit verrichtet. Und es gibt eine andere Art von Lust, die meiner Ansicht nach gegenwärtig viel virulenter ist, und das ist eine exzessive Lust, eine zwanghafte Lust."
Ihrer eigenen Arbeit ist jetzt eine natürliche Grenze gesetzt. Vor drei Jahren hat sie eine Tochter bekommen. Die Betreuung teilt sie sich mit ihrem Mann, dem Autoren Florian Werner. An diesem Mittag ist die Spielecke, die ihren Platz wie der Schreibtisch im Wohnzimmer hat, sehr aufgeräumt. So aufgeräumt, wie sie nur sein kann, wenn das Kind nicht zu Hause ist. Ihre Tochter und die Idee für das Buch, sagt die Autorin, kamen fast gleichzeitig in die Welt:
"Bei Genuss habe ich damals auch noch sehr stark im psychoanalytischen Sinne gedacht, also die 'Jouissance', die ist ja für den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan ganz klar ein Genuss, der stattfindet zwischen Mutter und Kind. Also etwas sehr Grenzenloses und auch potenziell immer auch Gefährliches, was irgendwann auch überwunden werden muss. Aber, ja, das schwebte mir schon vor, wie geht Arbeit und Genuss, wie geht das eigentlich zusammen? Und inwiefern wird gerade heute - und gerade auch bei mir - Arbeit zum Genuss, in einem exzessiven Sinne."
In ihren Büchern geht sie jenen Fragen nach, denen sie selbst - in ihrem persönlichen Leben - begegnet. Sie hat über das Sterben und den Freitod geschrieben, über Liebe und Eifersucht, Lust und Pornografie. Dabei versteht sie sich - und das ist ihr wichtig - als Philosophin, nicht etwa als Ratgeberin. Sie will beschreiben, keine Burnouts verhindern. Und sie will so schreiben, dass sie verstanden wird.
"Wenn ich selber ein Buch schreibe als Philosophin, dann stelle ich mir eigentlich immer meinen Stiefvater vor, der Realschullehrer ist, in Westfalen, und ich möchte, dass der abends auf dem Sofa liest und ein Problem, was mich umtreibt, liest und es versteht und nicht nach drei Seiten denkt, um Gottes Willen, ist das anstrengend."
Jeder Text lasse sich lesen, ohne allzu große Anstrengung, wenn er nur durchdacht sei, vom Anfang bis zu seinem Ende. Kurzum: Wenn der Autor hart genug gearbeitet hat. Das ist ihr Anspruch an die Bücher, die sie liest: Seien es nun Romane oder Sachbücher. In dem Holzregal, das bis unter die Decke reicht, stehen Bücher von Thomas Bernhard und Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Dazwischen: Viele englische Titel, ihr Mann ist Anglist. Auch viele Bücher von Freunden gehören zur gemeinsamen Bibliothek, denn als "Genussarbeiter" sind sie von Autoren umgeben. Svenja Flaßpöhler will wissen, was sie denken, was sie schreiben.
"Ich glaube, dass das Lesen immer auch etwas, dem wohnt auch etwas Triebhaftes inne - alleine so ein Begriff wie die Neugierde. Die Gier, das ist was ist etwas Triebhaftes und das liegt dem Lesen zugrunde: Ich will da etwas wissen."
Seit ihre Tochter auf der Welt ist, ringt sie täglich um ihre Lesezeit. Doch wenn sie etwas wissen will und ein Autor ihre Gier befriedigt, dann ist so ein Buch ganz schnell gelesen. 2011 war das Buch von Axel Honneth "Das Recht der Freiheit" war so eins. Denn in seinem Buch ist die Philosophin dem Begriff der "Anerkennung" näher gekommen. Honneth zeige, warum dieser Begriff so zentral sei, um den Menschen in der Gesellschaft - den Menschen überhaupt - zu begreifen.
"An dem Buch konkret, das Recht der Freiheit, hat mich besonders interessiert und auch fasziniert, dass Axel Honneth so einen Begriff wie Gerechtigkeit, der eigentlich gerade von Philosophen sehr stark normativ, das heißt von oben gedacht wird, von unten denkt, also das heißt für ihn ist Gerechtigkeit kein Prinzip, was von Philosophen so als Prinzip verordnet wird. Sondern er sagt, Gerechtigkeit ist etwas, was von unten immer schon geschieht und zwar durch Anerkennungskämpfe. Indem die Menschen um Anerkennung kämpfen, entfaltet sich das Prinzip der Gerechtigkeit."
Wenn Svenja Flaßpöhler spricht, ist die Neugierde in ihren blauen Augen nicht zu übersehen. Sie fixiert eine Frage, als stände sie vor ihrem geistigen Auge, sie sucht Antworten, will begreifen. In einem geradezu körperlichen Sinne. Und es ist genau diese Neugierde auf die Welt, auf das Leben, die sie ihren Lesern mit auf den Weg geben will.
"Das andere, denke ich, was der Leser davon hat, ist, dass er sich in dem Problem, was mich interessiert, wiedererkennt und man ihn eben wirklich mitnimmt auf eine Reise, auf eine Erkenntnisreise. Und ihm nicht eine These vor den Kopf knallt und sagt so, die musst du jetzt schlucken und ich beweis' jetzt, dass die stimmt. Sondern zu sagen, ich meine hier etwas zu beobachten oder ich frage mich etwas und dem will ich nachgehen und dieses Nachgehen - also auch tatsächlich da ist etwas sehr Körperliches drin: Es geht ums Gehen. Ich nehme jemanden mit auf einen Spaziergang und dabei entdecken wir etwas."
Svenja Flaßpöhler:
Wir Genussarbeiter. Über Freiheit und Zwang in der Leistungsgesellschaft, DVA, 202 Seiten, 17,99 Euro
978-3421044624
Axel Honneth:
Das Recht der Freiheit, Suhrkamp-Verlag, 628 Seiten, 34,90 Euro,
978-3-518-58562-7
"Also Arbeit ist für uns nicht mehr hinterm Pferdekarren her rennen und abends froh sein, wenn man dann das ganze Zeug an den Haken hängt, sondern wir sitzen heute vor schicken Macs, trinken unseren Latte Macciato und fühlen die Anspannung, die Anstrengung nicht mehr so sehr. Es ist aber Anstrengung. Also Arbeit hat immer etwas, so lustvoll sie auch sein mag, mit Triebverzicht zu tun."
Sie selbst nennt sich eine Perfektionistin. Kennt diese Nächte, in denen sie aufsteht, um das richtige Wort an die richtige Stelle zu setzen. Der Genuss und die Arbeit, das eine vom anderen zu trennen, genau das ist ihr Thema: "Wir Genussarbeiter" hat sie ihr Buch genannt. Die Philosophin geht darin der Frage nach, warum wir uns in der Arbeit mitunter verlieren. Und aus der Arbeit Qual wird - ohne dass wir es uns eingestehen, weil wir doch eigentlich genießen, was wir tun.
"Mich interessiert auch genau zu gucken, was ist das eigentlich für eine Lust, die der Genussarbeiter da am Schreibtisch empfindet? Ist das eine extatische Lust, wo man so aufgeht im Gegenstand und mit ihm etwas tut und ihn verwandelt, so im alten hegelianischen Sinne. Also: Man tut etwas mit diesem Gegenstand und der Gegenstand wird schöner und schöner, weil man Zeit auf ihn verwendet und der spiegelt dann schon durch sich eine Art von Anerkennung zurück auf denjenigen, der die Arbeit verrichtet. Und es gibt eine andere Art von Lust, die meiner Ansicht nach gegenwärtig viel virulenter ist, und das ist eine exzessive Lust, eine zwanghafte Lust."
Ihrer eigenen Arbeit ist jetzt eine natürliche Grenze gesetzt. Vor drei Jahren hat sie eine Tochter bekommen. Die Betreuung teilt sie sich mit ihrem Mann, dem Autoren Florian Werner. An diesem Mittag ist die Spielecke, die ihren Platz wie der Schreibtisch im Wohnzimmer hat, sehr aufgeräumt. So aufgeräumt, wie sie nur sein kann, wenn das Kind nicht zu Hause ist. Ihre Tochter und die Idee für das Buch, sagt die Autorin, kamen fast gleichzeitig in die Welt:
"Bei Genuss habe ich damals auch noch sehr stark im psychoanalytischen Sinne gedacht, also die 'Jouissance', die ist ja für den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan ganz klar ein Genuss, der stattfindet zwischen Mutter und Kind. Also etwas sehr Grenzenloses und auch potenziell immer auch Gefährliches, was irgendwann auch überwunden werden muss. Aber, ja, das schwebte mir schon vor, wie geht Arbeit und Genuss, wie geht das eigentlich zusammen? Und inwiefern wird gerade heute - und gerade auch bei mir - Arbeit zum Genuss, in einem exzessiven Sinne."
In ihren Büchern geht sie jenen Fragen nach, denen sie selbst - in ihrem persönlichen Leben - begegnet. Sie hat über das Sterben und den Freitod geschrieben, über Liebe und Eifersucht, Lust und Pornografie. Dabei versteht sie sich - und das ist ihr wichtig - als Philosophin, nicht etwa als Ratgeberin. Sie will beschreiben, keine Burnouts verhindern. Und sie will so schreiben, dass sie verstanden wird.
"Wenn ich selber ein Buch schreibe als Philosophin, dann stelle ich mir eigentlich immer meinen Stiefvater vor, der Realschullehrer ist, in Westfalen, und ich möchte, dass der abends auf dem Sofa liest und ein Problem, was mich umtreibt, liest und es versteht und nicht nach drei Seiten denkt, um Gottes Willen, ist das anstrengend."
Jeder Text lasse sich lesen, ohne allzu große Anstrengung, wenn er nur durchdacht sei, vom Anfang bis zu seinem Ende. Kurzum: Wenn der Autor hart genug gearbeitet hat. Das ist ihr Anspruch an die Bücher, die sie liest: Seien es nun Romane oder Sachbücher. In dem Holzregal, das bis unter die Decke reicht, stehen Bücher von Thomas Bernhard und Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Dazwischen: Viele englische Titel, ihr Mann ist Anglist. Auch viele Bücher von Freunden gehören zur gemeinsamen Bibliothek, denn als "Genussarbeiter" sind sie von Autoren umgeben. Svenja Flaßpöhler will wissen, was sie denken, was sie schreiben.
"Ich glaube, dass das Lesen immer auch etwas, dem wohnt auch etwas Triebhaftes inne - alleine so ein Begriff wie die Neugierde. Die Gier, das ist was ist etwas Triebhaftes und das liegt dem Lesen zugrunde: Ich will da etwas wissen."
Seit ihre Tochter auf der Welt ist, ringt sie täglich um ihre Lesezeit. Doch wenn sie etwas wissen will und ein Autor ihre Gier befriedigt, dann ist so ein Buch ganz schnell gelesen. 2011 war das Buch von Axel Honneth "Das Recht der Freiheit" war so eins. Denn in seinem Buch ist die Philosophin dem Begriff der "Anerkennung" näher gekommen. Honneth zeige, warum dieser Begriff so zentral sei, um den Menschen in der Gesellschaft - den Menschen überhaupt - zu begreifen.
"An dem Buch konkret, das Recht der Freiheit, hat mich besonders interessiert und auch fasziniert, dass Axel Honneth so einen Begriff wie Gerechtigkeit, der eigentlich gerade von Philosophen sehr stark normativ, das heißt von oben gedacht wird, von unten denkt, also das heißt für ihn ist Gerechtigkeit kein Prinzip, was von Philosophen so als Prinzip verordnet wird. Sondern er sagt, Gerechtigkeit ist etwas, was von unten immer schon geschieht und zwar durch Anerkennungskämpfe. Indem die Menschen um Anerkennung kämpfen, entfaltet sich das Prinzip der Gerechtigkeit."
Wenn Svenja Flaßpöhler spricht, ist die Neugierde in ihren blauen Augen nicht zu übersehen. Sie fixiert eine Frage, als stände sie vor ihrem geistigen Auge, sie sucht Antworten, will begreifen. In einem geradezu körperlichen Sinne. Und es ist genau diese Neugierde auf die Welt, auf das Leben, die sie ihren Lesern mit auf den Weg geben will.
"Das andere, denke ich, was der Leser davon hat, ist, dass er sich in dem Problem, was mich interessiert, wiedererkennt und man ihn eben wirklich mitnimmt auf eine Reise, auf eine Erkenntnisreise. Und ihm nicht eine These vor den Kopf knallt und sagt so, die musst du jetzt schlucken und ich beweis' jetzt, dass die stimmt. Sondern zu sagen, ich meine hier etwas zu beobachten oder ich frage mich etwas und dem will ich nachgehen und dieses Nachgehen - also auch tatsächlich da ist etwas sehr Körperliches drin: Es geht ums Gehen. Ich nehme jemanden mit auf einen Spaziergang und dabei entdecken wir etwas."
Svenja Flaßpöhler:
Wir Genussarbeiter. Über Freiheit und Zwang in der Leistungsgesellschaft, DVA, 202 Seiten, 17,99 Euro
978-3421044624
Axel Honneth:
Das Recht der Freiheit, Suhrkamp-Verlag, 628 Seiten, 34,90 Euro,
978-3-518-58562-7