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Politik mit anderen Mitteln

In seinem Buch "Vom Kriege" setzte sich der preußische General Carl von Clausewitz mit militärischen Strategien und der Bedeutung von Abschreckung und Verteidigung in Kriegen auseinander. Obwohl der Titel bereits 1832 erschien, ist er auch heute noch - oder gerade heute wieder - aktuell.

Von Michael Stürmer | 09.02.2015
    "Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln."
    Der knappe Satz ist schockierend, und er lädt ein zu Missverständnissen. Aber er ist der Kernsatz der philosophisch-strategischen Abhandlung des Generals von Clausewitz: "Vom Kriege". Doch man muss ihn, um seine Bedeutung zu verstehen, dreimal lesen. Einmal als Feststellung, dass es Krieg gab und gibt und leider Gottes keine Aussicht besteht, dass es anders wird. Zum zweiten als Warnung vor dem absoluten Krieg, der jeden anderen Zweck verschlingt. Und drittens als Aufforderung an die Diplomatie, das Ziel des Friedens auch im Krieg zu verfolgen.
    "Sobald der Kraftaufwand so groß wird, dass der Wert des politischen Zwecks ihm nicht mehr das Gleichgewicht halten kann: So muss dieser aufgegeben werden und der Friede die Folge davon sein."
    In den langen Jahrzehnten des Kalten Krieges war der General von Clausewitz ein Theoretiker des Krieges aus längst vergangenen Zeiten. Eine Gestalt und eine Lehre, die gerade noch in israelischen und russischen Militärkreisen studiert wurde. Die Weltordnung war global, nuklear und bipolar, und für die Lehre von der Politik des Krieges war weder Bedarf noch Raum. Nicht anders stand es auch in den kurzen Jahrzehnten seitdem, als die Friedensdividende wichtiger war als die äußere Sicherheit, kam doch aus Amerika die frohe Kunde, nun nahe das Ende der Geschichte – so etwas wie ein irdisches Paradies. Der ältere Präsident Bush sprach 1991, als nach 100 Stunden der zweite Golfkrieg zum Stehen kam, von der Neuen Weltordnung, the New World Order, gegründet auf Gleichgewicht, Menschenrechte und das Streben nach Glück. Es war eine wunderbare Illusion. Und Clausewitz hatte dazu nichts beizutragen.
    Vorbei all das, die Wunschwelten der 1990er Jahre waren blutig genug, von der jugoslawischen Erbfolge bis zu den Großen Seen Afrikas. Am 11. September 2001 - Nine Eleven - stürzte der Himmel über Amerika ein. Unüberhörbar begann ein neues Zeitalter. Geopolitik ist wieder da. Kriege ohne Maß und Ziel, ohne Anfang und ohne Ende suchen die Welt heim, nicht nur im Nahen und Mittleren Osten, sondern auch an den Rändern Europas. Es sind böse Zeiten, nicht viel anders als in der Epoche der Französischen Revolution und Napoleons, als die Welt eine neue Ordnung suchte nach 25 Jahren Krieg und Bürgerkrieg. Das war die Lehrzeit des Carl von Clausewitz in preußischen und russischen Diensten.
    Es ist an der Zeit "Vom Kriege" wieder aus dem Regal zu holen
    Mit anderen Worten, es ist an der Zeit, die vergilbte Schrift "Vom Kriege" wieder aus dem Regal zu nehmen und noch einmal zu studieren. Was man findet, ist nicht nur die oft wiederholte Warnung vor dem absoluten Krieg, der zum Selbstzweck wird und alle Mäßigung und Diplomatie verschlingt, sondern auch der dringende Rat an den Staatsmann – oder die Staatsfrau - stets zu prüfen, ob Mittel und Ziele einander entsprechen und, zuletzt und vor allem, wie die Politik dem Krieg Grenzen setzen kann. Sanktionen, wie gegenwärtig zwischen der Europäischen Union und Putins Russland, sind halb Frieden und halb Krieg. Hybrid-Krieg ist der neue Name des alten Spiels, das permanent Mittel und Ziele wechselt, die Elemente der Politik und der Psychologie ausspielt und den Gegner im Unklaren lässt, wieweit man zu gehen bereit wäre. Insofern die Lage Krieg niedriger Intensität ist, Wirtschaft statt Waffen, gelten die Clausewitzschen Lehren in all ihrer Strenge:
    "Der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel. Wir sagen mit Einmischung anderer Mittel, um damit zu behaupten, dass dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört, nicht in etwas ganz Anderes verwandelt wird, sondern dass er in seinem Wesen fortbesteht(...) Der Krieg hat freilich seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik."
    Bücher haben ihre Schicksale. Das gilt auch für den General von Clausewitz und seine Abhandlung "Vom Kriege". Sie mag an die 200 Jahre alt sein. Indem sie die Politik für den Frieden in Haftung nimmt, kann sie aktueller nicht sein.
    Carl von Clausewitz' „Vom Kriege". Erhältlich zum Beispiel in einer Ausgabe der Nikol Verlagsgesellschaft, 909 Seiten, 9,99 Euro.