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"Lab dich an Blut!"

Gewalt, Blasphemie, Todeserotik – der Dichter Charles Swinburne provozierte, die Themen des exzessiven Trinkers waren eine Ohrfeige ins fromme Gesicht des viktorianischen Englands. Seine Bücher wurden teilweise zurückgezogen, Swinburne aber ließ sich in seinem Stil nicht aufhalten.

Von Ruth Fühner | 05.04.2012
    You carve him a cross of needles,
    And whet them sharp as your smiles.
    He is patient of thorn and whip,
    He is dumb under axe or dart;
    You suck with a sleepy red lip
    The wet red wounds in his heart.


    Sátia te Sánguine - Lab dich an Blut! Der Liebende ans Kreuz geschlagen, ausgepeitscht und ausgesaugt von blutroten Lippen - eine Hymne auf die homosexuelle Liebe, blasphemisch, voll von Gewalt und Todeserotik. Swinburnes "Poems and Ballads" erschütterten 1866 das viktorianische England. Das Buch musste zeitweilig zurückgezogen werden, aber es konnte den Ruf nicht nachhaltig beschädigen, den sich der junge Dichter gleich mit seinem ersten veröffentlichten Werk, dem erfolgreichen Versdrama "Atalanta in Calydon" erworben hatte. Hier war ein stilistisches Talent am Werk, das virtuos auf der Klaviatur der Bilder, Töne und Rhythmen spielte. Auch wenn seine unverhohlene Anlehnung an den Marquis de Sade eine Ohrfeige ins Gesicht der englischen Hüter von Moral und Frömmigkeit war.

    Charles Algernon Swinburne, geboren am fünften April 1837 in London als Spross einer Adels- und Offiziersfamilie, klein, schwächlich, geschlagen mit einem übergroßen Kopf und epilepsieartigen Anfällen, durchlief die übliche Bildungskarriere der englischen Oberschicht - Prügelknabe in Eton, Student in Oxford. Seine akademische Karriere fand ein vorschnelles Ende, als er es wagte, öffentlich das Attentat eines italienischen Revolutionärs auf den französischen Kaiser, auf Napoleon III., zu billigen.

    Die Einheit und Befreiung Italiens von der Fremdherrschaft, 1861 erreicht, blieb Swinburnes politisches Leitthema noch zehn Jahre später in den "Songs before Sunrise" (Lieder vor Sonnenaufgang):

    Oh Himmel beug dich herab, komm näher!
    Dies ist sie, Italia, das Wunder der Welt und ihr Mündel,
    Alles freut sich mit ihr, doch wir am meisten, die wir sie liebten
    in ihren schwersten Tagen …


    In Oxford hatte Swinburne Freunde gefunden im Kreis der Präraffaeliten. Er teilte ihre Vernarrtheit in Mittelalter und Renaissance, aber seine eigenen Vorlieben und Vorbilder waren breiter gestreut. In "Atalanta in Calydon" zum Beispiel eiferte er der griechischen Tragödie nach; darin tauchte allerdings auch eine der tödlich kalten Femmes Fatales der Schwarzen Romantik auf. Swinburne war einer der frühesten Propagandisten Charles Baudelaires in England – ein Seelenverwandter, der allerdings, bei aller Lust am Kitzel von Perversion und Dekadenz, nicht an die radikale Modernität des Franzosen heranreichte. Ein Zeitgenosse berichtet, wie ihm Swinburne im Club, "Lästerliches und Unzüchtiges hervorstoßend", von einem zotigen französischen Dichter namens "Bourdelaire" vorgeschwärmt habe, der 15 Millionen Mal besser sei als der allseits verehrte Tennyson.

    Er war erkennbar betrunken, saß da, ruderte mit seinen Armen, presste wie üblich seine Beinchen zusammen, redete laut und wild. Er bestellte sich eine Droschke, bestellte sie wieder ab, sprang auf und setzte sich wieder, schüttelte mit trüben Augen meine Hand und torkelte mit der Bemerkung aus dem Zimmer, er müsse ‚seine Aufwartung machen’

    Swinburne war ein exzessiver Trinker, häufig verletzte er sich im Rausch selbst. Als er 42 war, nahm ihn ein Freund für den Rest seines Lebens unter Kuratel. Mit dem Alkohol verschwand auch der anstößige Furor aus Swinburnes Werk. Immer mehr traten Natur und Landschaft in den Vordergrund, die schon in den Anfangsjahren hier und da aufblitzten.

    Die Schwalben des Traums zieh’n im trüben Gefilde
    Wie Schlaf ist in allen Wipfeln der klang
    Dort droht in den Wäldern kein Bellen dem Wilde
    Nur eines heimlichen Vogels Gesang.


    Nach dem skandalösen Auftakt verlief Swinburnes literarische Karriere zunehmend in den Bahnen bürgerlicher Respektabilität – sein manchmal zügelloser Sprachprunk machte ihn allerdings auch zur Zielscheibe zahlreicher Parodien. Neben seinen Gedichten, von denen Edward Elgar einige vertonte und u.a. Stefan George Übersetzungen anfertigte, schrieb er Kritiken, Studien über das Elisabethanische Drama und Artikel für die Encyclopaedia Britannica. Von 1903 an war er fast jährlich für den Nobelpreis nominiert, erhielt ihn allerdings nie. Er starb am 10. April 1909, fünf Tage nach seinem 72. Geburtstag.