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LABOR: Hotspots der deutschen Lernforschung
Schulunterricht unter der Lupe

Das deutsche Bildungssystem ist ungerecht, dies ist seit langem bekannt. Mit welchen Mitteln es besser gemacht werden kann, untersuchen Forscherinnen und Forscher des Hector Institut in Tübingen. Ihr Schwerpunkt ist die Frage, wie effektiv die Förderprogramme tatsächlich sind.

Von Daniela Remus | 28.05.2019
Ein rechtshändiger Junge und ein linkshändiges Mädchen der 1. Klasse der Goethe-Grundschule in Potsdam üben am Montag (22.08.2011) im Unterricht unter Anleitung der Klassenlehrerin das Schreiben der "Eins" an der Tafel.
Praxis und Theorie der Didaktik sollen enger verknüpft werden (picture alliance / Jens Kalaene)
"Man muss verstehen, dass Bildung wahnsinnig wichtig ist für das Land und auch für jeden Einzelnen, ich sage es mal so, die gesamtgesellschaftliche Perspektive ist, dass wir die Zukunft Deutschlands nicht primär am Hindukusch verteidigen, sondern Tag für Tag an den Schulbänken jeder Schule in Deutschland."
Sagt Ulrich Trautwein, Geschäftsführender Direktor, Hector Institut für empirische Bildungsforschung, Tübingen.
Seit 2014 arbeiten an diesem Forschungsinstitut der Universität Tübingen rund 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Erkenntnisse sollen in der Schulpraxis ankommen
Wie gerecht ist das deutsche Bildungssystem? Das ist die zentrale Frage, der die Forscherinnen und Forscher dieses renommierten Instituts nachgehen. Und wodurch können Ungerechtigkeiten vermieden werden? Deshalb untersuchen sie, wie effektiv Förderprogramme tatsächlich sind. Oder auch, ob die Persönlichkeit von Schülerinnen und Schülern formbar ist. Ob zum Beispiel Fleiß durch Schule erlernt werden kann. Darüber hinaus im Fokus: Hochbegabten- und Motivationsforschung. Das herausragende Ziel des Hector-Instituts: Alle Erkenntnisse sollen in der Schulpraxis ankommen. Im aktuellen Projekt geht es um die Unterrichtsqualität.
Vierte Stunde im Gymnasium Königin Olga Stift in Stuttgart. Die zehnte Klasse bekommt Besuch von zwei Wissenschaftlerinnen des Hector Instituts.
"Guten Morgen mein Name ist Ann Katrin Jäckel, wir kommen von der Universität Tübingen, weil wir eine große Studie durchführen, Unterricht aus Schülersicht."
90 Minuten haben die Schülerinnen und Schüler Zeit, den umfangreichen Fragebogen auszufüllen. Denn für das laufende Projekt sollen sie beurteilen, wie gut sie ihre Lehrkräfte finden und wie das den Lernerfolg beeinflusst, erklärt der Psychologe Richard Göllner, der der Projekt leitet:
"Unterrichtsqualität ist vermutlich eine der zentralsten Bestimmungsfaktoren zur Erklärung, warum Schülerinnen und Schüler in der Schule viel lernen oder manchmal auch weniger lernen. Die Qualität der Lehrkraft ist entscheidend. Die Frage ist in der empirischen Bildungsforschung immer, wie erfassen wir, wie messen wir, die Qualität der Lehrkraft? Und in dem Projekt, was wir hier machen, geht es eben darum, Schüler zu befragen."
Die Qualität der Lehrkräfte ist entscheidend
Denn die Tübinger Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass Schülerinnen und Schüler sehr gut in der Lage sind, zu erfassen und zu begründen, was Lehrkräfte können und wo ihre Schwächen liegen.
"Wir haben ein Fragebogeninstrument entwickelt, die wir Schülern zur Bearbeitung geben, dann bearbeiten lassen, beurteilen lassen, um daraus Rückschlüsse zu ziehen, wie gut eine Lehrkraft ist und zwar in zwei Fächern Mathematik und Deutsch."
Mithilfe des Fragebogens, wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise erfahren, inwieweit die Lehrkräfte einen Überblick haben oder auf welchem Niveau sie unterrichten? Der zweite Teil ist ein Leistungstest. Denn im Zentrum des Projekts, bei dem viele Schulen aller Schultypen in Baden-Württemberg mitmachen, steht die Frage, inwieweit die Qualität des Unterrichts die Leistungen der Schülerinnen und Schüler steuert.
"Das was für uns jetzt der zentrale und entscheidende Punkt ist, inwiefern die Schülereinschätzung des Unterrichts auch tatsächlich die Leistungsentwicklung der Schülerinnen und Schüler vorhersagen können."
Denn wenn die Unterrichtsqualität keinen Einfluss auf die Leistungen hätte, könnte dieser Aspekt in Zukunft vernachlässigt werden.
"Damit steht und fällt natürlich alles, wenn die Einschätzungen nicht besonders wichtig sind im Hinblick auf das, was Schüler auch tatsächlich gelernt haben, dann ist eines der wesentlichen Qualitätskriterien zur Beurteilung schwierig."
Vorstellen können sich die Schülerinnen und Schüler das aber nicht:
"Ich glaub, der Lehrer ist sehr wichtig, weil er ist ja die Person, die die Schüler dazu auffordert, das Thema zu lernen und er muss ja auch vermitteln. Insofern finde ich den schon wichtig…"
"Ich find halt auch, dass der Lehrer eine große Rolle spielt, weil die Person es gut erklären können muss unter anderem, und es auch mehrmals erklären können sollte, in verschiedenen Weisen, damit die Schüler das vielleicht besser verstehen."
Verbesserungsbereitschaft der Lehrer das A und O
Am Königin Olga Stift in Stuttgart unterstützt auch die Schulleitung das Projekt. Sie wird hinterher nicht nur ein detailliertes Feedback bekommen, sondern auch Material, damit Lehrerinnen und Lehrer sich selbst überprüfen und verbessern können. Diese Bereitschaft, an sich zu arbeiten, hält der stellvertretende Schulleiter Martin Roll für das A und O, um Unterricht kontinuierlich zu verbessern:
"Weil einfach auch mal die Sicht der Schüler befragt wird und auch eine Evaluation, die valide ist und wir uns auch gewisse Rückmeldungen und Potentiale der Schule, wo wir stehen einfach auch, erwünschen und auch Bereiche sehe, wo wir noch dran arbeiten müssen."
Mehr Praxisorientierung in der Forschung erwünscht
Auch für den Leiter des Hector Instituts Ulrich Trautwein ist die praxisorientierte Forschung der richtige Weg, um die Bildung grundlegend zu verbessern. Zwar sei nach dem PISA Schock viel Geld in die Forschung geflossen, aber deren Erkenntnisse fänden zu selten den Weg an die Schulen, kritisiert der Wissenschaftler.
"Diese Gelenkstelle zwischen Forschung und Praxis, die haben wir bisher in den meisten Bundesländern Deutschlands nicht gut gestaltet. Also diejenigen, die entscheiden, was tatsächlich in den Schulen gemacht werden soll, die wissen häufig gar nicht richtig Bescheid über den Stand der Forschung und die, die es umsetzen, setzen es manchmal nicht so um, wie die Forschung es vorschlagen würde."