Dienstag, 16. April 2024

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Labor: Lernstile
Nicht immer nur auf das Hirn schauen

Der Entwicklungspsychologe Bruce Hood aus Bristol kritisiert die sogenannten Lernstile als ein Konzept ohne wissenschaftlichen Beleg. Hood stellt es auf eine Stufe mit anderen unwissenschaftlichen Lernmythen wie die Gehirngymnastik oder den Glauben, wir benutzten nur zehn Prozent unseres Gehirns.

Bruce Hood im Gespräch mit Michael Böddeker | 23.03.2017
    Menschliches Gehirn
    Bruce Hood rät: "Wir sollten uns da nicht auf die Hirnforschung verlassen", und stattdessen "mehr auf die Lehrer vertrauen" (imago/Science Photo Library)
    Michael Böddeker: In unserer neuen Rubrik "Labor" berichten wir über Neues aus der Bildungsforschung. Neuigkeiten gibt es jede Menge. So funktioniert Wissenschaft schließlich, tagtäglich werden neue Forschungsergebnisse veröffentlicht.
    Aber zu Wissenschaft gehört auch zu wissen, was nicht funktioniert. Oder wofür es zumindest keine sicheren wissenschaftlichen Belege gibt.
    Eine ganze Gruppe von renommierten Hirnforschern und Psychologen kämpft gerade gegen Lernmythen, für die es keine wissenschaftliche Evidenz gibt. Einer dieser Mythen heißt "learning styles", also "Lernstile". Ich habe mit dem Entwicklungspsychologen Bruce Hood von der Universität Bristol gesprochen, der die Kampagne in Großbritannien angestoßen hat. Ihn habe ich gefragt, was denn genau die Idee hinter diesem Konzept der "Lernstile" ist...
    Was ist die Idee hinter dem Konzept der "Lernstile"?
    Bruce Hood: Das basiert auf dem Glauben, dass man per Fragebogen herausfinden kann, wie jemand am besten lernt. Und anhand dieser Aussagen versorgt man sie dann mit dem entsprechenden Lernmaterial. Zum Beispiel wird jemand dann als visueller Lerner eingestuft, oder auch als auditiver Lerner, also als jemand, der besser durch Zuhören lernt. Und die Behauptung ist: Wenn man ihnen das Lehrmaterial in der passenden Weise liefert, dann liefern sie auch eine bessere Leistung.
    "Lernen ist komplex"
    Böddeker: Das klingt ja zunächst ganz plausibel. Aber Sie und auch andere Wissenschaftler wie Steven Pinker sagen, da ist nichts dran. Warum?
    Hood: Ja, es klingt plausibel. Und auf gewisse Weise ist sicher auch etwas dran, zum Beispiel wenn jemand bestimmte Informationen überhaupt nicht verarbeiten kann, wenn ihm also die Fähigkeit dazu komplett fehlt. Aber Information wird eigentlich immer über mehrere Wege vermittelt, nicht nur auf einem. Und selbst wenn jemand ein bestimmte Art bevorzugt, sollte man sich nicht ausschließlich darauf konzentrieren. Das Lernen ist komplex. Ein guter Vergleich ist Fußball: Viele von uns sind Links- oder Rechts-Füßer. Aber natürlich würde man nicht immer nur mit dem einen Fuß schießen wollen.
    Aber am Wichtigsten finde ich, und das ist dabei das wissenschaftliche Thema: Wenn man nach wissenschaftlichen Beweisen dafür sucht, dass das Konzept der Lernstile effektiv und effizient ist, dann findet man keine Belege dafür.
    "Andere Dinge wären wissenschaftlich gesehen sinnvoller"
    Böddeker: Wissenschaftlich gesehen funktioniert das also vielleicht nicht. Aber warum ist das ein Problem? Glauben denn viele an dieses Konzept?
    Hood: Ja! Das wissen wir aus verschiedenen Untersuchungen, viele Lehrer halten diese Maßnahmen für sinnvoll. Laut einer Studie von vor fünf Jahren zum Beispiel sehen das 95 Prozent der niederländischen und englischen Lehrer so.
    Das Problem dabei ist: Die Schulungen dafür und die Durchführung der Tests kosten viel Zeit und Geld. Das alles für eine Maßnahme, für die es keine wissenschaftliche Evidenz gibt. Und dafür unterlässt man dann andere Dinge, die wissenschaftlich gesehen sinnvoller wären.
    Man muss deshalb immer überprüfen, ob Dinge, die vielleicht so klingen, als ob sie funktionieren, auch tatsächlich funktionieren.
    Die beste Methode, um gegen solche Glaubenssysteme vorzugehen ist glaube ich, mit Experten in die Schulen zu gehen. Dort sollen sie dann darüber sprechen, was wissenschaftlich gesichert ist und was nicht. Meine Organisation, die Speakezee-Kampagne, macht genau das. Wir suchen Fachleute und schicken sie in die Schulen.
    Böddeker: Wie genau machen Sie das, gehen Sie in Schulen und halten einfach einen Vortrag?
    Hood: Wir gehen davon aus, dass Akademiker, die sich für ihr Forschungsthema interessieren, auch gerne freiwillig in Schulen gehen, um darüber zu sprechen. Wir haben also zehn Schulen und zehn Neurowissenschaftler ausgewählt. Die sprechen in den Schulen über ihre eigene Forschung, aber auch über das Konzept der Lernstile, und warum es dafür keine wissenschaftlichen Belege gibt. Wir haben die Schüler und Lehrer vor diesen Besuchen befragt. Und wir werden sie zwei Monate und ein Jahr danach erneut befragen, um herauszufinden, ob sich bei deren Meinung etwas geändert hat, sowohl zu den Lernstilen als auch zu Neurowissenschaft allgemein.
    Trends, Moden und Irrwege
    Böddeker: Es scheint so, als gebe es immer wieder Trends und Moden, wenn es um die besten Lernmethoden gibt. Gibt es da überhaupt irgendetwas, das Sie vom wissenschaftlichen Standpunkt aus empfehlen könnten?
    Hood: Ich würde empfehlen, dass wir nicht immer nur auf das Hirn schauen. Da gibt es jede Menge Hypes und Modeerscheinungen. Da wird versucht, Neurowissenschaft für besseren Unterricht zu nutzen. Ich glaube ehrlich gesagt, wir sollten mehr auf die Lehrer vertrauen, darauf, dass sie merken, was im Unterricht funktioniert. Wir sollten uns da nicht auf die Hirnforschung verlassen. Denn im Moment ist es so, dass wir es einen großen Unterschied gibt dazwischen, was wir einerseits über guten Unterricht wissen, und andererseits darüber, wie das Hirn funktioniert. Wir sind also in keiner guten Position um Lehrern Ratschläge für den Unterricht zu geben
    Böddeker: Abgesehen vom Konzept der Lernstile, fallen Ihnen noch andere Lernmythen ein?
    Hood: Ja. Zum Beispiel das "Brain Gym", also Gehirngymnastik. Da ist die Idee, dass man mit bestimmten Übungen die Verbindungen im Hirn stimulieren kann. Dafür gibt es aber keine Belege aus der Hirnforschung. Dann gibt es den Glauben daran, dass man nur einen kleinen Teil seines Hirns benutzt, den sogenannten Zehn-Prozent-Mythos. Auch nicht wahr. Und so ähnlich wie bei den Lernstilen gibt es die Idee, dass manche beim Lernen eher die linke oder die rechte Hirnhälfte einsetzen. Auch dafür gibt es keine Evidenz. Es gibt zwar Unterschiede zwischen verschiedenen Gehirnen, und auch bei den Fähigkeiten verschiedener Menschen. Aber bisher können wir anhand dessen, was wir darüber wissen, keine Ratschläge für ein besseres Lernen geben.