Das Spiel ist fast tausend Jahre alt, aber verkörpert so viel mehr als Traditionsbewusstsein und Nostalgie, sagt Landon Miller, der Sportdirektor der Haudenosaunee Nationals:
"Es wurde im Himmel von unseren Tieren gespielt. Und unser Schöpfer hat es an uns weitergegeben. Deshalb nennen wir es heute das 'Spiel des Schöpfers'."
Die Nachfahren der Kolonialmächte haben es sich angeeignet und im Laufe der Jahrhunderte besonders in den USA, in Kanada sowie in England unter dem Namen Lacrosse zu einer populären Mannschaftssportart entwickelt. Die Attraktion: die besondere Mischung aus Kampfgeist, Athletik und Geschicklichkeit.
Kulturgut mit rituellem Zuschnitt
Bei den "Sechs Nationen" und in ihren Reservaten diesseits und jenseits der kanadisch-amerikanischen Grenze am Sankt-Lorenz -Strom klingt sehr viel mehr mit an. Vor allem eine spirituelle Dimension.
"Wir haben das Spiel genutzt, um Streitigkeiten zwischen verschiedenen Stämmen zu schlichten, anstatt in den Krieg zu ziehen. Und später bei der Heilung von Kranken."
Ein Kulturgut mit rituellem Zuschnitt. Jedes Baby bekommt gleich nach der Geburt einen Schläger geschenkt. Hergestellt in monatelanger penibler Arbeit aus einheimischem Hickory-Holz. So ist Lacrosse Sinnbild für eine eigene Identität geblieben. Mitverantwortlich für eine besondere spielerische Ästhetik, die den deutschen Nationalspieler Leon Böhm fasziniert:
"Wenn man sich das von außen anguckt, das sieht dann immer aus, als wenn die probieren, komische Tricks oder sowas zu machen. Aber die haben einfach so einen natürlichen Spielfluss in sich drin. Weil sie schon, wenn sie ein Jahr alt sind, diesen Holzschläger, diesen traditionellen Lacrosse-Schläger in der Hand haben."
Aufnahme nur unter Vermarktungsgesichtspunkten
Als das IOC Lacrosse mit einer neuen, rasanteren Kleinfeld-Variante von sechs gegen sechs im vergangenen Jahr ins Programm der Olympischen Spiele 2028 aufnahm, war davon allerdings nicht die Rede. Präsident Thomas Bach sah das Projekt hauptsächlich unter Vermarktungsgesichtspunkten. Man werde "der Welt ikonische amerikanische Sportarten präsentieren", die die Spiele von Los Angeles “einzigartig machen“ werden, sagte er in einer Mitteilung. Gleichzeitig öffne sich die Chance, “neue Athleten- und Fangemeinden in den USA und weltweit anzusprechen“.
Wenige Wochen darauf wurde klar, dass sich dahinter eine Haltung verbirgt, wie sie schon zu Kolonialzeiten gepflegt wurde. Für die Haudenosaunee Nationals, so der Name des Teams seit einer Umbenennung vor ein paar Jahren, ist Dabeisein bei Olympia nämlich nicht alles. Sie werden, wenn, dann nur als eigenes Team und mit eigener Flagge antreten. Etwas, was seit 1988 im internationalen Lacrosse-Verband praktiziert wird. Ihre Auswahlmannschaften gehören unbestritten zu den vier besten der Welt.
Wenn es nach Joe Biden ginge, wäre solch ein Auftritt in LA kein Problem. Bei einer Veranstaltung im Weißen Haus sagte der US-Präsident – und Lacrosse-Fan – vor Vertretern indigener Stämme aus allen Teilen der USA:
"Die Sechs-Nationen-Mannschaft hat darum gebeten, unter ihrer eigenen Flagge antreten zu können. Ich unterstütze das. Ihre Vorfahren haben das Spiel erfunden und perfektioniert. Sie selbst gehören zu den besten der Welt. Die Umstände mögen einzigartig sein, aber sie sollten mit einem eigenen Team mitmachen dürfen."
IOC: Kein eigenes Nationales Olympisches Komitee für Haudenosaunee Nationals
Prompt wies das IOC diese Idee zurück: Nur anerkannte Nationale Olympische Komitees könnten gemäß der Olympischen Charta Mannschaften für die Olympischen Spiele melden. Die einzige Alternative? Spieler der Haudenosaunee Nationals sollen sich - je nach Lebensmittelpunkt auf der einen oder anderen Seite der Grenze – “für die Nationalmannschaften von Kanada oder USA qualifizieren.” Für Teams, für die sie noch nie gespielt haben. Und mit denen sie sich nicht identifizieren.
Erstaunlich besonders angesichts gängiger IOC-Praktiken. Was man für Gebiete wie Palästina und Puerto Rico ermöglicht hat oder für die Sportler aus dem offiziell gesperrten Russland, soll auf einmal nicht mehr gehen, wenn es um Menschen geht, die das Erbe einer Sportart bewahrt haben?
Spieler Leon Böhm nimmt kein Blatt vor den Mund. "Also das ist einfach lächerlich. Meiner Meinung nach haben die absolut einen Platz verdient. Das ist eigentlich Wettbewerbsverzerrung, wenn man sich das so überlegt."
Da derzeit hinter den Kulissen um eine Lösung gerungen wird, wie den Haudenosaunee doch noch ein Startrecht zugesichert werden könnte, äußern sich Repräsentanten der Sechs Nationen zum Thema eher verhalten, etwa Sportdirektor Landon Miller:
„Wir wollen einbezogen werden, wollen, dass unsere Souveränität anerkannt wird. Und unsere eigene Flagge. Als Sachwalter des Spiels glauben wir wirklich, dass wir mit am Tisch sitzen sollten.”
Und sie glauben noch etwas anderes: Dass sie 2028 gute Chancen haben, die Goldmedaille zu gewinnen. Wo bei der Siegerehrung diese Hymne erklingen würde.