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Länder kritisieren Koalitionsvereinbarung

Capellan: Kennen Sie den Unterschied zwischen einer Telefonzelle und der SPD? In der Telefonzelle bezahlt man vor dem Wählen. Dieser etwas böswillige Witz macht derzeit in Berlin die Runde und das nicht nur in Oppositionskreisen, denn auch Sozialdemokraten kritisieren, dass vor der Wahl von höheren Steuern keine Rede war, dass die Bürger jetzt aber zur Kasse gebeten werden sollen. Und manch einer fürchtet die Quittung bei kommenden Landtagswahlen, zum Beispiel im Februar in Hessen und in Niedersachsen. Allerdings, die Bundesregierung rudert offenbar zurück: Am Wochenende war zu hören, dass bei den Koalitionsvereinbarungen das Sparpaket noch einmal überarbeitet werden soll. Da soll noch einmal nachgedacht werden, zum Beispiel wurde bereits beschlossen, die Abzugsfähigkeit von Spenden beizubehalten. Darüber möchte ich nun mit Sigmar Gabriel sprechen, Sozialdemokrat und Ministerpräsident in Niedersachsen. Guten Morgen nach Hannover!

    Gabriel: Guten Morgen, ich grüße Sie, Herr Capellan!

    Capellan: Herr Gabriel, haben Sie Muffensausen bekommen vor der bevorstehenden Wahl im eigenen Land?

    Gabriel: Nein, habe ich nicht. Warum sollte ich auch? Die Koalitionsvereinbarung wird zwar heftig kritisiert, man vergisst dabei aber die 70, 80 Prozent, die wirklich gut sind, auch für unser Land. Beispielsweise in dem Bereich der Kindertagesstätten und der Ganztagsschulen gibt es eine Menge Dinge, die ich sehr, sehr gut finde. Und die Dinge, die wir nicht so gut finden, darüber reden wir jetzt.

    Capellan: Aber es gibt natürlich auch einige Versprechen der SPD mit Blick auf die Steuern, die da gebrochen worden sind. Da könnte doch der Ärger der Wähler auf Sie zukommen.

    Gabriel: Wissen Sie, die gesamte Wahl über, auf jeder Wahlveranstaltung, in jeder Fernsehsendung, ist darüber diskutiert worden, dass die Steuern in Deutschland ungerecht erhoben werden. Das heißt, es ist immer, und ich finde zu Recht, der Vorwurf gemacht worden, dass ein großer Teil der Leistungen in unserem Staat von Arbeitnehmern und von kleinen Betrieben gezahlt werden muss, und dass einige, die Vermögen haben oder die große Unternehmen haben, daran überhaupt nicht mehr beteiligt werden. Und nun zieht die SPD in Berlin die Konsequenz und sagt: Nein, wir wollen Mindestbesteuerung auch bei großen Unternehmen. Wir wollen auch das besteuern, was aus Aktienbesitz hervorgeht. Und nun schreit alle Welt, als habe man darüber im Wahlkampf nicht geredet. Das stimmt doch nicht. Und von daher sage ich: Es ist schon vernünftig, dass wir mal wieder darüber reden, wie gerecht die Lasten im Lande eigentlich verteilt sind.

    Capellan: Dennoch, es gibt wohl einige Punkte, da meinen auch Sozialdemokraten, möglicherweise auch Sie, dass da jetzt nicht so ganz gerecht vorgegangen wird, wenn der Rotstift angesetzt wird. Zum Beispiel die Eigenheimzulage ist im Gespräch. Vielleicht hören wir uns einmal kurz gemeinsam an, was der neue Infrastrukturminister, der Aufbauminister Manfred Stolpe dazu gestern im Deutschlandfunk gesagt hat.

    Gerade als Minister dieses Hauses hier werde ich darauf zu achten haben: Welche Auswirkungen hat das für die Bauwirtschaft? Ist das eine Entscheidung, die möglicherweise eine weitere Gefährdung bedeutet für die Bauwirtschaft, und vielleicht sogar den Verlust von Arbeitsplätzen? Wenn es gelingt, in der gleichen Situation Zug um Zug mit der Veränderung bei der Eigenheimförderung zu einer deutlichen Unterstützung im Aufbau der kommunalen Infrastruktur zu kommen, wo wir ja gewaltige Rückstände haben, dann muss das im Endergebnis keine Schwächung, sondern vielleicht sogar eine Stärkung der Bauwirtschaft sein. Aber, ich will es gerne noch einmal sagen, hier muss sehr genau hingesehen werden. Hier gibt es viele Betroffene, und hier muss das auch mit den Grundzielen der Politik verglichen werden, ob man im Ergebnis das erreicht, was man auch wirklich haben möchte.

    Capellan: Herr Gabriel, sehen Sie das auch so? Müssen die beschlossenen Kürzungen bei der Eigenheimförderung noch einmal überdacht werden?

    Gabriel: Ich habe Manfred Stolpe schon immer für einen klugen Mann gehalten. Natürlich hat er Recht. Wir haben bei den derzeitigen Vorschlägen eine Problematik. Ich finde zwar auch, dass man die Mitnahmeeffekte bei der Eigenheimzulage abbauen muss. Es gibt nach dem, was wir wissen, offensichtlich 30 Prozent Zuschüsse an 10 Prozent der Antragsteller, und dabei sind wohl sehr, sehr viele, die die staatliche Hilfe eigentlich nicht brauchen. Das ist das eine, das ist auch in Ordnung. Aber was nicht geht, ist, dass wir ausgerechnet dort die staatliche Förderung reduzieren, wo sie Familien mit ein oder zwei Kindern hilft oder Schwellenhaushalten, die so zwischen 50.000 und 70.000 Euro innerhalb von zwei Jahren verdienen. Ich denke, dass wir dort die staatliche Förderung brauchen, nicht nur für die Bauwirtschaft - das hat Manfred Stolpe schon richtig gesagt - sondern auch, was natürlich wichtig ist, für die Familien. Wir können ja nicht auf der einen Seite erklären, wir wollen eine gute Familienpolitik machen, und da, wo sie wirklich hilft, zurück schrauben. Aber ich bin sicher, wir werden das in den Beratungen mit der Bundesregierung auch hinkriegen.

    Capellan: Nun würden aber diese ins Auge gefassten Kürzungen bei der Eigenheimzulage ja viel Geld in die Kassen von Finanzminister Hans Eichel bringen, der hat knapp kalkuliert. Sagen Sie uns, woher soll das Geld kommen, mit dem die Haushaltslöcher gestopft werden können?

    Gabriel: Übrigens nicht nur in die Kassen von Hans Eichel. Durchaus auch in die der Länder, denn am Mehraufkommen der Einkommenssteuer wären wir als Länder ja auch beteiligt. Also, von daher geht es nicht nur um die Kassen von Eichel. Woher das kommt? Wir wollen gerne mit dem Bundesfinanzminister weiter über das Thema Subventionen reden. Das ist sicher nicht der einzige Bereich im Bundeshaushalt, wo wir rangehen können. Ich denke, wir müssen uns einfach mehr Mühe geben, dort Einsparpotenziale zu finden, wo Geld des Staates an Familien oder auch an Unternehmen und wen auch immer geht, an Institutionen, die es eigentlich nicht nötig haben. Das kann man nicht so schnell machen, das sehe ich ein. Dafür muss man sich ein bisschen zusammen setzen und das überprüfen. Aber da gibt es garantiert bessere Möglichkeiten, als ausgerechnet bei Familien zu sparen.

    Capellan: Kalkulieren Sie denn möglicherweise schon mit der Wiedereinführung der Vermögenssteuer?

    Gabriel: Sie wissen, dass Kurt Beck und ich gesagt haben: Wir müssen auch darüber reden, wie die Lasten in unserem Land gerecht verteilt werden. Es kann nicht sein, dass fünf bis acht Prozent der sehr Vermögenden ihre Kinder auf Privatschulen schicken, während der Rest der Bevölkerung mit einem immer schlechter werdenden öffentlichen Schulsystem zu kämpfen hat. Und es ist natürlich auch verlogen, permanent zu fordern: Wir müssen in die Bildung investieren, aber dann nicht zu sagen, wo man das Geld herbekommt. Die CDU hat ja einen Wahlkampf geführt, in dem sie drei Dinge versprochen hat: Weniger Steuern, weniger Schulden, aber mehr Ausgaben. Das, glaube ich, kriegt man nur zusammen, wenn man Mathe auf einer ganz schlechten PISA-Schule gelernt hat. Deswegen sagen wir: Lasst uns darüber sprechen, wie in anderen europäischen Ländern über Vermögensbesteuerung Geld in die Kasse kommt. Und lasst uns das ausschließlich für den Bildungshaushalt, nur für die Schulen verwenden. Wir sagen auch, dass wir die Betriebsvermögen nicht besteuern wollen. Das wäre tödlich und falsch. Wir wollen den Unternehmen keine Liquidität entziehen. Aber mir hat gerade ein mittelständischer Unternehmer gesagt: Leute, besteuert ruhig die Unternehmer, aber nicht die Unternehmen. In dem Zusammenhang wollen wir auch über Vermögenssteuer reden.

    Capellan: Also, die private Vermögenssteuer wird wieder kommen?

    Gabriel: Dafür braucht man eine Mehrheit. Ich bin sicher, dass auch die CDU-regierten Länder da einsteigen nach der Landtagswahl in Niedersachsen und in Hessen. Wir haben ja die ersten Signale, dass sie bereit sind, bei so etwas mitzumachen, sich jetzt nur nicht trauen, das zu sagen.

    Capellan: An welche Steuerkürzungen wollen Sie denn nun noch ran. Möglicherweise die Steuerbegünstigung von Dienstwagen, ist das ein Thema für Sie?

    Gabriel: Also, wir haben auch darüber mit der Bundesregierung geredet. Das Problem ist, dass wir natürlich jetzt schon in einer schwierigen Autokonjunktur sind, nicht nur in Deutschland, sondern beispielsweise auch in den USA, in anderen Ländern, und deshalb eine höhere Besteuerung der Dienstwagen keine Hilfe für die Automobilindustrie ist. Niedersachsen ist ein starkes Autoland. Wir wollen über solche Themen mit der Bundesregierung reden. Aber das vordringlichste Thema ist das, was Manfred Stolpe eben angesprochen hat, das Thema Eigenheimzulage.

    Capellan: Wenn die Koalitionsvereinbarung in wichtigen Punkten nach so kurzer Zeit wieder zur Makulatur wird, muss man da nicht sagen: Da ist schlecht verhandelt worden?

    Gabriel: Ach, wissen Sie, ich habe ja auch ein bisschen Erfahrung, wie so etwas läuft. Natürlich wird da viel aufgeschrieben. Die Ministerialbeamten, die politische Führung, die Minister, die Staatssekretäre machen Vorschläge. Natürlich gibt es da auch Fehler, das kann schon passieren, so wie im richtigen Leben. Der Glaube, dass nur weil man in der Politik ist oder in der Bundesregierung nun immer alles ohne Fehler läuft, das ist natürlich falsch. Übrigens solche Beratungen mit Ländern über Steuerfragen, wie zum Beispiel Eigenheimzulagen, die sind ja in der Verfassung auch vorgesehen, weil es unterschiedliche Interessen gibt. Das Interesse des Bundesfinanzministers ist, möglichst viel Geld zu sparen. Das Interesse der Länder ist, für ihre Menschen eine gute Entwicklung voran zu bekommen. Diesen Interessengegensatz finden Sie auch in der Koalitionsvereinbarung. Das ist ganz normal, und dafür gibt es bei uns in der Verfassung den Bundesrat, den Vermittlungsausschuss. Das alles kann doch jetzt in ganz normale Wege geleitet werden. Und Sie sehen ja, dass auch auf der Seite der Bundesregierung nachgedacht wird, wie man den Interessen der Länder entgegenkommen kann.

    Capellan: Herr Gabriel, ganz kurz, haben Sie schon mit Herrn Eichel gesprochen?

    Gabriel: Wir haben natürlich mit der Bundesregierung gesprochen, auch mit Hans Eichel. Es gibt laufende Gespräche darüber. Ich finde die Aufregung, die jetzt existiert, ist ein bisschen zu groß. Ich kann das verstehen, na klar, Koalitionsvereinbarungen haben ein Rieseninteresse. Aber logisch ist doch, dass solche Interessenunterschiede zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verhandelt werden müssen.

    Capellan: Sigmar Gabriel, Ministerpräsident von Niedersachsen. Danke nach Hannover.

    Gabriel: Bitte, tschüß!

    Link: Interview als RealAudio