Wagener: Herr Müller, 16 plus ein Sieger. Wo sind denn eigentlich die Verlierer?
Müller: Ich glaube, dass es wirklich nur Sieger gab. Der allerwichtigste und allergrößte Sieger ist der Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland. Viele haben nicht geglaubt, dass es uns möglich sein wird, bei dieser Debatte eine gemeinsame Linie zu finden. Wir haben sie gefunden, und damit hat sich der Föderalismus bewährt.
Wagener: Nun haben alle gesagt, jeder hat nun mehr als er vorher hatte. Das heißt, das kostet Geld. Woher kommt denn dieses Geld jetzt genau?
Müller: Wir haben die Möglichkeit erhalten, den Länderfinanzausgleich neu zu gestalten, leistungsgerecht auszugestalten und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass kein Land Mindereinnahmen hinnehmen muss, weil der Bund bereit war, künftig die Tilgung des "Fonds deutscher Einheit" alleine zu übernehmen - die Länder haben in der Vergangenheit dafür mitbezahlt -, und weil auf dieser Grundlage eine Ausgestaltung des Finanzausgleiches stattfinden konnte, die zwar die Systematik verändert, die Leistungsanreize einbaut, die aber gleichzeitig dazu führt, dass niemandem etwas genommen werden muss.
Wagener: Der Bund, um das noch mal zusammenzufassen, übernimmt pro Jahr und das zehn Jahre lang 1,5 Milliarden, was bisher die Länder bezahlt haben. Ist das richtig so?
Müller: Der Bund übernimmt unmittelbar 1,5 Milliarden und darüber hinaus eine weitere Liquiditätshilfe von einer Milliarde, so dass ein finanzieller Spielraum in einer Größenordnung von 2,5 Milliarden entstanden ist.
Wagener: Bei so viel länder- und auch parteiübergreifendem Konsens dürfte sich ja nun das Thema "Aufbau Ost" wohl kaum noch als Wahlkampfmunition der Union gegen die SPD im kommenden Bundestagswahlkampf eignen?
Müller: Das war sicherlich nicht das Thema, über das wir geredet haben, und ich glaube auch nicht, dass es sinnvoll ist, dort jetzt eine Debatte und einen Zusammenhang zu suchen. Es ist sehr erfreulich, dass es gelungen ist, in der Frage des Solidarpaktes II eine Vereinbarung zu finden. Auch dort gibt es eine Übereinstimmung zwischen allen Ländern und dem Bund. Ich glaube damit ist die Perspektive der solidarischen Beteiligung am Aufbau der neuen Länder für einen weiteren Zeitraum von 15 Jahren sichergestellt. Der Prozess braucht mehr Zeit als wir das ursprünglich geglaubt haben und ich denke, die neuen Länder haben jetzt Planungssicherheit. Das ist eine gute Sache.
Wagener: Und wir haben ja nun auch einen Endtermin: 2020. Bis dahin stehen dem Osten insgesamt rund 306 Milliarden Mark zur Verfügung, und zwar degressiv. Das heißt: am Anfang wird pro Jahr mehr ausgeschüttet und im Laufe der Jahre dann immer etwas weniger. Was passiert denn nun, wenn die wirtschaftliche Entwicklung der Ostländer nicht so verläuft, wie man es nun bis 2020 hochgerechnet hat?
Müller: Ich glaube es macht herzlich wenig Sinn, zum jetzigen Zeitpunkt am Beginn der zweiten Phase des Solidarpaktes sich über die Frage zu unterhalten, was denn ist, wenn sich im Jahr 2020 zeigen sollte, dass die Herausforderung nicht erfolgreich bewältigt werden konnte. Wenn wir das Thema so angehen, dann wird es sicherlich auch nicht zu einem Erfolg führen. Wir haben Planungssicherheit geschaffen und jetzt ist es die gemeinsame Verantwortung aller, daraus eine Erfolgsgeschichte zu machen.
Wagener: Gut, für den Osten ist also für die nächsten 18 oder 19 Jahre ab jetzt gerechnet finanziell zunächst einmal Vorsorge getroffen. Was ist mit den armen Westländern, das Saarland, Ihr Bundesland, oder Bremen? Ist auch in diesem Zusammenhang mit dem Länderfinanzausgleich und in Verbindung mit dem Solidarpakt II am Samstag eine Einigung getroffen worden?
Müller: Wir haben uns über den Länderfinanzausgleich geeinigt. Das war unser Thema. Wir haben uns über den Solidarpakt II geeinigt. Das war das zweite Thema. Über andere Dinge ist nicht gesprochen worden. Man kann nicht alles gleichzeitig. Eines ist ganz sicher: Sowohl für das Saarland als auch für Bremen wurde ja die Befürchtung geäußert, dass die Neuregelung des Länderfinanzausgleiches Mindereinnahmen mit sich bringt, die beide Länder in ihrer Existenz bedroht. Wir können heute feststellen: diese Entwicklung ist nicht eingetreten. Beide Länder werden bei der Neuregelung des Länderfinanzausgleiches bessergestellt, erhalten zusätzliche Mittel. Insofern ist auch für das Saarland und für Bremen dieses Ergebnis ein positives, ein zu begrüßendes Ergebnis.
Wagener: Um bei Ihrem Bundesland zu bleiben. Sie haben also Zusagen oder Zulagen bekommen für das Problem der Grenzgänger beispielsweise in Ihrem Land. Zusammengefasst: man arbeitet in Saarbrücken oder im Saarland, wohnt aber in Frankreich und ist dort steuerpflichtig.
Müller: Nein, wir haben diesen Sonderansatz für die Grenzgänger nicht erhalten. Wir haben uns auf ein System verständigt, das dazu führt, dass das Saarland Mehreinnahmen in einer Größenordnung von 50 Millionen pro Jahr im Jahr 2005 zu erwarten hat. Vor diesem Hintergrund haben wir es nicht als angemessen erachtet, dann noch weitere Forderungen zu erheben. Sicherlich ist es so, dass der weit überproportionale Grenzgängeranteil - wir haben einen Anteil von sechs Prozent; der Schnitt in allen anderen Ländern liegt niedriger als ein Prozent - eine Sonderlast für unser Land ist. Da im Länderfinanzausgleich die Interessen des Saarlandes an anderer Stelle in hohem Maße berücksichtigt worden sind haben wir gesagt, wir wollen diese Last dann selbst tragen. Kompromiss heißt, dass man die Lasten gleichmäßig verteilt.
Wagener: Was bringt denn nun die Berliner Einigung vom Samstag für den unumstrittenen Sanierungsfall Berlin?
Müller: Auch Berlin hat Mehreinnahmen im Länderfinanzausgleich zu erwarten, und zwar eine überproportionale Marke, wenn man es pro Kopf der Einwohner umrechnet. Insofern hat auch Berlin Solidarität erfahren bei diesen Beratungen. Damit sind die Finanzprobleme in Berlin nicht gelöst, genauso wie sie mit der Neuregelung des Länderfinanzausgleiches nicht im Saarland, nicht in Bremen und nicht in den neuen Ländern gelöst sind. Aus meiner Sicht ist das größte Problem für die Landeshaushalte im Moment die Frage der konjunkturellen Entwicklung und der damit verbundenen Entwicklung der Steuereinnahmen. Dort haben wir dramatische Einbrüche, und wenn es nicht gelingt, die Wirtschaft ans Laufen zu bringen, wenn es nicht gelingt, die Bundesrepublik Deutschland von der letzten Stelle in der Wirtschaftsentwicklung in Europa wieder wegzubringen, dann werden uns Länderfinanzausgleich und andere Solidarsysteme nicht helfen, denn dann ist die Masse, die zur Verteilung ansteht, einfach zu gering. Deshalb ist dies die entscheidende Fragestellung.
Wagener: Herr Müller, in Berlin findet gerade schon der vorgezogene Wahlkampf auf Bundesebene statt. Die CDU steht derzeit nicht sehr gut da, weder in Berlin noch im Bund. Sie gelten als Unterstützer von Angela Merkel, der Parteichefin. Wie kann sie Helmut Kohl, der augenscheinlich Wahlkampf in Berlin macht, überhaupt gegenübertreten? Was empfehlen Sie ihr?
Müller: Ich glaube nicht, dass Angela Merkel Helmut Kohl gegenübertreten muss. Nach meiner Wahrnehmung ist Helmut Kohl Mitglied der gleichen Partei wie dies Angela Merkel ist. Deshalb sehe ich nicht, dass die Notwendigkeit eines Duells besteht.
Wagener: Inhaltlich sicherlich nicht, aber von den Funktionen?
Müller: Auch von den Funktionen her nicht. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich kann ja verstehen, dass es ein journalistisches Interesse gibt, hier Gegensätzlichkeiten aufzubauen. In der Sache ist dies Quatsch.
Wagener: Sie glauben, es wird der CDU nützen und helfen, Wenn Helmut Kohl sich massiv in den Berliner Wahlkampf einbringt?
Müller: Der Berliner Wahlkampf wird von den Berliner Parteifreunden geführt. Sie werden entscheiden, was ihnen in diesem Wahlkampf hilft, und sie haben die Unterstützung der gesamten Bundespartei.
Wagener: Und Frau Merkel wird keinen Schaden nehmen?
Müller: Warum sollte Frau Merkel Schaden nehmen, wenn die CDU solidarisch in Berlin dafür kämpft, dass diese Stadt nicht in die Hände von Menschen fällt, die eine Nachfolgeorganisation zur SED bilden.
Wagener: Das Image von ihr ist derzeit allerdings nicht zum besten. Darüber lässt sich wenig kontrovers streiten.
Müller: Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, dass ich diese ganzen Debatten für ebenso überflüssig wie bewusst provoziert und gegen die CDU gerichtet halte. Natürlich versucht man der CDU mit diesen Debatten zu schaden. Ich bin nicht bereit, diese Debatten zu führen. Wir haben in Deutschland andere Probleme. Deutschland säuft als Wirtschaftsstandort ab. Wir sind in der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa mittlerweile nicht mehr die Lokomotive. Wir sind im letzten Wagen. Die Inflation springt nach oben, die Arbeitslosigkeit stagniert, die Beschäftigungszahlen gehen zurück. Das sind die Probleme und die Themen, über die wir in Deutschland zu reden haben, und nicht Probleme, die möglicherweise für Medien interessant sind, die Situation der Menschen in Deutschland aber nicht betreffen.
Wagener: Herr Müller, es ist aber nicht das Werk der Medien, wenn die CDU an der Spitze offen oder verdeckt, aber immerhin so, dass man es auch in der Öffentlichkeit mitbekommt heftig untereinander streitet?
Müller: Die CDU streitet nicht heftig untereinander, egal wie oft dies wahrheitswidrig behauptet wird.
Wagener: Peter Müller, der CDU-Landeschef aus Saarbrücken für das Saarland. - Ich danke Ihnen recht herzlich für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio